Medizinstudium Von der Klinik in die Hausarztpraxis finden
Medizinstudierende wünschen sich an ihrem späteren Arbeitsplatz vor allem eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie geregelte und flexible Arbeitszeiten. Etwas weniger relevant, aber dennoch wichtig sind ihnen die Teamarbeit mit anderen Ärzten, die Behandlung eines breiten Krankheitsspektrums sowie das Wissen um die Krankengeschichte und die Lebensumstände der Patienten. Rund drei Viertel der Studierenden sind weiblich.
Diese Ergebnisse brachte das „Berufsmonitoring Medizinstudierende“, das alle vier Jahre die Präferenzen des Nachwuchses offenbaren soll. Rund 8.600 Medizinstudierende nahmen an der Befragung teil. Sie wird von vier Akteuren initiiert: Von der KBV, der Uni Trier, dem Medizinischem Fakultätentag und der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd).
Die Präsentation der Ergebnisse verband die KBV mit einer Podiumsdiskussion mit Experten aus Lehre, Studium und Wissenschaft. Sie machten ihre Standpunkte deutlich.
Allgemeinmedizin wird beliebter
Angehende Ärzte haben inzwischen offenbar etwas mehr Interesse an der Allgemeinmedizin: Hätten die Befragten spontan entscheiden müssen, welche Weiterbildung sie absolvieren möchten, hätten rund 37 % diese Disziplin gewählt. 2010 waren es nur 29 %. Prof. Dr. Rüdiger Jacob von der Uni Trier, der die Befragung mitinitiierte, spricht von einem „erfreulichen Trend“. Doch nach wie vor sammeln Studierende kaum Eindrücke von der primärärztlichen, insbesondere landärztlichen Tätigkeit, kritisiert Katharina Freitag von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Sie weist darauf hin, dass der Großteil des Studiums in der Klinik absolviert wird. Große Hoffnungen ruhen daher auf der novellierten Approbationsordnung, die ab Oktober 2025 gelten soll und zu mehr allgemeinmedizinischen Inhalten verpflichtet.
Auch die Chirurgie findet kaum Nachwuchs. Nur 26 % der Befragten können sich eine Weiterbildung in diesem Bereich vorstellen. Ein Aufwärtstrend ist nicht abzusehen.
Selbstständig oder angestellt?
Ganze 74 % der Befragten können sich eine Niederlassung vorstellen – allerdings nur 42 % in der hausärztlichen Versorgung. 71 % könnten sich für eine Facharztpraxis begeistern. Eine Anstellung finden hingegen so gut wie alle Teilnehmer attraktiv. Kliniken sind als Arbeitsstätte begehrter als Praxen oder MVZ. Hinsichtlich des Arbeitsorts sind viele der Studierenden heimatorientiert: Für mehr als drei Viertel kommen das eigene Bundesland und die nähere Heimatregion infrage. Ländliche Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern bleiben jedoch unbeliebt. Die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen, ist seit 2010 deutlich gesunken – von 64 % auf 40 %.
MFA in der Lehre einsetzen
Gesundheitsberufe sind vielfältig und akademisieren sich zunehmend. Studierende müssten daher eigentlich lernen, mit diesen Berufsgruppen zusammenzuarbeiten, meint bvmd-Vertreterin Freitag. Stattdessen bleibe in der Lehre unübersichtlich, wo der ärztliche Kompetenzbereich ende und wo ein anderer beginne. Bei Studierenden bestehe der Wunsch nach Schnittstellen mit anderen Berufsbildern. Unter anderem könnten Medizinische Fachangestellte bestimmte Inhalte lehren, regt Dr. Irmgard Streitlein-Böhme an, Vertreterin der Gesellschaft für Hochschullehre in der Allgemeinmedizin. Bei manchen Tätigkeiten seien die Fachkräfte routinierter als die Ärzte selbst, etwa wenn es um geriatrische Assessments gehe oder um die Digitalisierung innerhalb der Praxis. Sie seien eine ungeheure Ressource.
KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister wendet ein, für eine Lehrtätigkeit der ohnehin am Limit arbeitenden MFA sei das System nicht konzipiert. Die Strukturen – insbesondere die Finanzierung der Niedergelassenen – müssten dafür verändert werden. Angesichts der wachsenden Zahl medizinischer Berufsbilder betont er, die größte Verantwortung müsse weiterhin bei Ärzten als „Superspezialisten“ liegen.
Insgesamt befinde Deutschland sich bei einer interprofessionelleren Gestaltung des Studiums noch in einer „Findungsphase“, erklärt Prof. Dr. Thomas Rotthoff vom Medizinischen Fakultätentag. Auch, weil man erst spät mit der Akademisierung von Gesundheitsberufen begonnen habe. Gemeinsame Studienabschnitte oder eine Ko-Edukation seien schwer umsetzbar. Es werde eher darauf hinauslaufen, dass Studierende ihre Perspektive punktuell um die anderer Berufe erweitern.
Digitalisierung geht besser
Der Digitalisierung der medizinischen Versorgung stellen die Studierenden ein schlechtes Zeugnis aus. Während sie die Zielsetzung des Projekts an sich noch befriedigend finden, bewerten sie die Umsetzung mit der Schulnote 5. Ein gutes Beispiel für Mängel sei die schleppende Einführung der elektronischen Patientenakte, so Prof. Jacob. Er halte das Urteil der Studierenden noch für gnädig – er selbst hätte eine „glatte 7“ vergeben. Insgesamt sehen die Befragten viele Chancen in digitalen Fortschritten, sei es bei Diagnose, Behandlung oder Delegation. Allerdings sind sie besorgt um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.
Studieren während der Pandemie
Seit 2020 ist das Studium von der Coronapandemie geprägt, beispiesweise fanden viele Veranstaltungen nur digital statt oder entfielen. 58 % der Befragten meinten, dass dies negative Auswirkungen auf die Entwicklung wichtiger Kompetenzen hatte. Sie stellen zwar eine bessere Selbstorganisation fest, sehen aber Verschlechterungen beim Erlernen der Kommunikation mit ärztlichen Kollegen und Patienten sowie bei praktischen Fertigkeiten bei Untersuchung und Behandlung. In Frankreich und der Schweiz zeigt sich ein anderes Bild.
Erstmals wurden für das Berufsmonitoring auch Medizinstudierende in Frankreich und der Schweiz befragt. Allerdings waren die Stichproben mit nicht mal 400 Personen so klein, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind. Auffällig ist: In beiden Ländern meinen die Befragten, die Pandemie habe sich positiv auf das Erlernen wichtiger Kompetenzen im Studium ausgewirkt. Man müsse untersuchen, was dort besser gemacht wurde, meint Prof. Jacob. In Frakreich stach hervor, dass geregelte Arbeitszeiten als weniger wichtig empfunden werden, die Kenntniss der Lebensumstände der Patienten hingegen als sehr viel bedeutender als in Deutschland.
Medical-Tribune-Bericht