Medizinische Fachangestellte Hausärzteverband macht neues Angebot für nebenberufliches Studium
Herr Dr. Beier, Sie arbeiten in einer Gemeinschaftspraxis in Erlangen. Wird dort jemand mit dem Bachelor-Wissen „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“ gebraucht?
Auch bei uns in der Praxis nimmt die Belastung immer weiter zu. In der Corona-Zeit war und ist das natürlich besonders extrem. Das betrifft nicht nur die eigentliche Versorgung der Patientinnen und Patienten, sondern auch die Verwaltung drumherum. Viele Kolleginnen und Kollegen sind froh, wenn sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusätzliche Aufgaben delegieren können, bei denen nicht zwingend ärztliche Kompetenzen erforderlich sind. Da geht es uns in der Praxis nicht anders. Die Verah übernehmen bereits sehr viel. Das Studium ist nun der logische nächste Schritt. Also: Ja, bei uns ist der Bedarf da. Die Anmeldung zum Studium für eine unserer Mitarbeiterinnen ist abgeschickt.
Das Studium läuft nebenberuflich, online und mit Präsenzphasen. Beginn ist im September. Mit wie vielen Einschreibungen rechnen Sie?
Das kann ich noch nicht sagen. Wir befinden uns noch mitten im Einschreibeprozess. Es ist sehr erfreulich zu sehen, dass sich bereits nach der ersten Infoveranstaltung vor einigen Wochen sehr viele Interessierte bei uns und der FOM gemeldet haben. Am Ende werden wir sicherlich einen gut gefüllten Studiengang haben.
Bachelor-Studium der FOM: Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement
Information und Beratung von Patienten, Untersuchungsvorbereitung, Basisuntersuchungstechniken, Praxisorganisation, Personalplanung, sektorenübergreifendes Case-Management – das sind Bestandteile des Bachelor-Studiums für Verah und NäPa an der Hochschule für Oekonomie & Management (FOM).
- Vier Semester Studium plus ein Semester Abschlussarbeit und Prüfung; Anmeldeschluss: Ende Juni, Semesterbeginn: September
- Nebenberuflich mit Online-Seminaren mittwochs und freitags sowie an zwei Samstagen pro Monat plus eine Blockwoche pro Semester Präsenzunterricht am FOM Hochschulzentrum Dortmund, Mannheim oder München
- Studiengebühr: 8.850 Euro, einmalige Prüfungsgebühr 300 Euro
- Detaillierte Infos »
Was tut der Hausärzteverband, um Praxisinhaberinnen und -inhaber zu überzeugen, ihre NäPa und Verah zu „akademisieren“?
Das Studium ist ein Angebot an die MFA und die Hausärztinnen und Hausärzte. Die Rückmeldungen zeigen, dass es einen Bedarf gibt. Die Inhalte und die Ausgestaltung scheinen also zu überzeugen. Als Verband informieren wir über das Angebot. Wir werden aber sicherlich niemanden überreden. Die Kolleginnen und Kollegen und die MFA können selbst am besten einschätzen, ob sie das Studium weiterbringt und ihnen später im Praxisalltag hilft. Wir sind davon überzeugt, dass es viele gibt, die hiervon profitieren werden.
Warum kostet das Studium 9000 Euro?
Das ist der übliche Preis für ein Studium an der FOM. Andere, vergleichbare Studiengänge sind in der Regel deutlich teurer. Als Verband erhalten wir hiervon keinen Euro. Mit dem Studium verdient der Hausärzteverband nichts. Im Gegenteil: Wir investieren vielmehr in das Projekt.
Wer soll das finanzieren – die Praxisleitung für ihre erste Kraft?
Das müssen die MFA und die Hausärztinnen und Hausärzte miteinander besprechen. Es wird hier wahrscheinlich sehr unterschiedliche Modelle geben. Grundsätzlich ist es wichtig, dass das Studium gemeinsam von der Verah oder NäPa und der Hausärztin oder dem Hausarzt unterstützt wird. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um mögliche Freistellungen, denn auch wenn das Studium berufsbegleitend ist, gibt es immer wieder Präsenztermine.
Wie sieht die Refinanzierung aus – heute und künftig, z.B. via HzV?
In der Hausarztzentrierten Versorgung gibt es für Chroniker einen Aufschlag, wenn die Hausärztin oder der Hausarzt eine Verah beschäftigt. Ähnliche Modelle sind auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Bachelor-Abschluss denkbar. Das ist aber eine Frage, die in Verhandlungen mit den Krankenkassen geklärt werden muss. Wir werden uns jedenfalls dafür stark machen.
Welchen Einfluss hatte der Hausärzteverband bei der Entwicklung des Curriculums? Was wurde festgelegt?
Viele Inhalte des Studiums wurden gemeinsam mit dem Hausärzteverband entwickelt, besonders diejenigen mit Bezug zur Patientenversorgung. Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag in der Praxis arbeiten, waren dabei beteiligt. Das war auch zwingend notwendig, denn es geht nicht darum, sich irgendwelche theoretischen Inhalte am grünen Tisch zu überlegen, sondern Wissen zu vermitteln, das konkret in der hausärztlichen Versorgung gebraucht wird. Das Studium ist ganz klar praxisbezogen.
Jedes Modul wird von Patinnen und Paten begleitet. Das sind hausärztliche Kolleginnen und Kollegen und Verah-Dozentinnen, die vom Deutschen Hausärzteverband entsendet werden und die ihre Expertise fortlaufend einbringen. So wird sichergestellt, dass die hausärztliche Perspektive nicht zu kurz kommt.
Eine Qualifikation als NäPa oder Verah verkürzt das FOM-Studium um zwei auf fünf Semester. Macht das die Verah-Qualifikation attraktiver? Könnte das Angebot auch mehr junge Leute mit Abitur für eine Praxistätigkeit interessieren?
Absolut! Mit dem Studium wollen wir zum einen den Kolleginnen und Kollegen ein Angebot machen, wie sie im Praxisalltag entlastet werden können. Wir wollen aber auch dazu beitragen, den MFA-Beruf attraktiver zu machen. Der MFA-Mangel ist in sehr vielen Praxen inzwischen ein echtes Problem. Die Kolleginnen und Kollegen suchen händeringend nach Fachkräften.
Viele MFA wollen nachvollziehbarerweise wissen, welche Perspektiven der Job mit sich bringt. Die Möglichkeit, ein Studium in dem Bereich zu absolvieren, ist mit Sicherheit ein starkes Argument für den MFA-Beruf. Das wird helfen, Fachkräfte an die Praxis zu binden. Gleichzeitig wird die Perspektive helfen, den Beruf für mehr junge Menschen attraktiv zu machen.
„Über konkrete Umsetzungen in der Praxis entscheiden dabei immer die Hausärztinnen und Hausärzte“, heißt es im Info-Flyer. Bleibt damit für Studierende nicht unklar, was sie mit dem Abschluss am Ende anfangen können?
Das ist ja bis zu einem gewissen Grad bei einem Studium immer der Fall. Wenn ich Maschinenbau studiere, weiß ich auch nicht im Detail, welche Aufgaben ich später übernehme. Das hängt dann von der konkreten Arbeitssituation ab. In der Hausarztpraxis ist es im Grunde das Gleiche. Durch das Curriculum ist jedoch klar, welche Inhalte im Zentrum stehen. Jeder weiß vorab, über welche Kompetenzen die Absolventinnen und Absolventen am Ende verfügen werden. Welche Aufgaben die Studierenden später in der Praxis konkret übernehmen, hängt aber von vielen Faktoren ab – von der Praxisgröße über das Patientenklientel bis zu Versorgungsschwerpunkten.
Werden mit der akademisierten Verah/NäPa auch die Delegationsmöglichkeiten erweitert?
Die Hausarztpraxis der Zukunft ist eine Teampraxis. Verschiedene Mitglieder des Teams haben unterschiedliche Kompetenzen, die sie einbringen. Die Verantwortung trägt am Ende immer die Hausärztin oder der Hausarzt. Sie oder er müssen daher immer das letzte Wort haben.
Wenn Verah oder NäPa durch das Studium neue Kompetenzen erwerben, dann werden sie diese auch einbringen – sprich neue Aufgaben übernehmen, die an sie delegiert werden. Die Idee ist natürlich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach dem Studium noch mehr Verantwortung übernehmen können als davor.
Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, nochmals zu betonen: Verah und NäPa sind hervorragend qualifiziert. Sie übernehmen in sehr vielen Hausarztpraxen bereits heute umfassende Delegationsaufgaben. Das Studium ersetzt dies nicht, sondern erweitert die Kompetenzen.
Wer sollte das definieren – die Ärztekammer oder der Hausärzteverband und seine Vertragspartner?
Die Hausärztinnen und Hausärzte müssen das für ihre jeweilige Praxis entscheiden. Ich halte überhaupt nichts davon, irgendwelche pauschalen Vorgaben zu machen, wer in welcher Praxis was konkret übernehmen darf und soll. Das wäre ja auch komplett praxisfern. Der Hausarztberuf ist ein freier Beruf. Das bedeutet, dass die Hausärztinnen und Hausärzte die Verantwortung tragen, aber natürlich auch, dass sie, mit gewissen Leitplanken, die Beinfreiheit brauchen, am Ende gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu entscheiden, wie in der Praxis gearbeitet werden soll.
Mit welcher Höhergruppierung im MFA-Tarif ist der Studienabschluss verbunden?
Da gibt es keine pauschale Vorgabe. Klar ist, dass eine Verah oder NäPA nach dem Studienabschluss mehr Verantwortung trägt und daher in der Regel auch mehr verdienen wird. Wie das im Detail verhandelt wird, ist Sache zwischen den jeweiligen Hausärztinnen und Hausärzten sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Wie unterscheidet sich der FOM-Bachelor vom Physician Assistant, der ja auch von Teilen des Hausärzteverbandes empfohlen wird?
Da gibt es einiges. Ein großer Unterschied ist, dass durch das Studium „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“ kein neues Berufsbild geschaffen wird. Wir bauen stattdessen auf die Weiterqualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit Jahren in der hausärztlichen Versorgung tätig sind. Außerdem ist das Studium konkret auf die Bedürfnisse in den Hausarztpraxen zugeschnitten. Was im Studium heute gelernt wird, kann morgen bereits in der Praxis angewendet werden.
Es gibt schon einen bunten Strauß an Zusatzqualifikationen für Gesundheitsfachkräfte an Akademien und Hochschulen. Fehlt noch etwas, etwa die Praxisassistenz für Digitalisierung und Datenschutz?
Nein, das glaube ich nicht! Natürlich kann es Sinn machen, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem konkreten Bereich, der für die jeweilige Praxis besonders relevant ist, gezielt weiterqualifizieren. Ich halte aber nichts davon, immer mehr Berufsbilder einzuführen. Stattdessen werbe ich dafür, dass wir als Hausärztinnen und Hausärzte auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen und in sie investieren.
Medical-Tribune-Interview