„Post-Vac-Syndrom“ Ärzte melden Nebenwirkung zu selten
Wenn Patienten in der Sprechstunde erklären „Ich bin eigentlich kein Impfgegner, aber ...“ , sollten Mediziner aufhorchen. Oft klagen die Betreffenden, dass sie seit der Impfung gegen COVID-19 unter Beschwerden leiden, die vorher nicht da waren. Mag sein, dass mancher nur etwas überbesorgt bzw. überempfindlich ist. Möglicherweise liegen aber tatsächlich Impfnebenwirkungen vor – und die müssen dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Die Ämter informieren dann wiederum das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Ärzte scheinen der Meldepflicht bei Impfnebenwirkungen jedoch nicht immer nachzugehen. In einem ARD-Bericht wird von einer „Untererfassung“ beim PEI gesprochen.
Auch Elisabeth Schneider aus Hameln stieß bei ihrer Hausärztin auf taube Ohren. Die 33-Jährige arbeitet als Wissenschaftlerin an einem Institut für Solarenergieforschung. Bis Mitte 2021 war sie sportlich sehr aktiv: Bouldern, Radwandern, Kanufahren, Akrobatik. Nun ist sie arbeitsunfähig. Seit ihrer zweiten Impfung Ende Juli 2021 mit dem Vakzin von Moderna fühlt sie sich konstant erschöpft, hat Kopfschmerzen, kann sich nur schwer konzentrieren und empfindet bereits leichteste körperliche Anstrengungen als Schwerstarbeit. Ihr ist oft schwindelig, ihre Lymphknoten schmerzen, dazu kommen Muskelzuckungen und Hitzewallungen. „Aktuell stehe ich morgens um 9 Uhr auf und frühstücke, danach muss ich mich wieder hinlegen.“
Schneider hat sich nachweislich nie mit Corona infiziert. Zweimal – einmal im Dezember 2021, einmal im Februar 2022 – hat sie ihr Blut auf Nucleocapsid-Antikörper testen lassen. Beide Male war dem Laborbericht zu entnehmen, es gebe keinen serologischen Hinweis auf eine akute oder zurückliegende Coronainfektion. Dafür offenbarte eine von Schneider selbst beauftragte Laboruntersuchung, dass ihr Blut Autoantikörper aufweist, wie sie sich auch bei Patienten mit Chronischem Fatigue-Syndrom (CFS) häufig auftreten. Und neuerdings auch bei Long- bzw. Post-COVID.
PEI wird Zusammenhang in Studie untersuchen
In Patienten-Communities werden Long-COVID-Symptome, die nach der Impfung auftreten inzwischen als „Post-Vac-Syndrom“ bezeichnet. Die Symptome ähneln denen des CFS. Beim PEI sind nach eigenen Angaben bislang insgesamt 41 CFS-Verdachtsfälle im zeitlichen Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung erfasst worden. Man beobachte sie und nehme sie „sehr ernst“, habe bisher aber „kein mit einem Impfstoff assoziiertes Risikosignal erkennen können“. Insbesondere liege die derzeit vorliegende Zahl an Verdachtsfallmeldungen zu CFS „deutlich unter der bisher beobachteten Prävalenz in der Bevölkerung“. Allerdings werde das Institut gemeinsam mit weiteren Experten eine methodisch robuste Studie zur Untersuchung eines Zusammenhangs von CFS und COVID-19 aufsetzen und bemühe sich derzeit um Universitätskooperationen.
Langzeitfolgen von COVID
Eindeutige Diagnose ist schwierig
Hausärzte sind mit Äußerungen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Coronaimpfung und Long-COVID-Symptomen sehr vorsichtig. Ausschließen möchte die Landesvorsitzende des Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz, Dr. Barbara Römer, ihn zwar nicht. Schließlich sei es vereinzelt zu thrombotischen Ereignissen gekommen, die auch zu CFS-artigen Symptomen führen könnten. Sie gibt allerdings zu bedenken: „Bei Post-COVID handelt es sich um einen ganzen Strauß funktioneller Symptome, die häufig strukturell bislang nicht nachweisbar sind. Und auch ein CFS ist nichts, das man so eindeutig diagnostizieren kann wie einen entzündeten Blinddarm. Das ist oft ein mühsamer und langer Weg.“Erklärungsansätze und Anlaufstellen
- Ein Artikel in Science von Januar 2022 (doi: 10.1126/science.ada0394) schildert einzelne Fallbeispiele und diskutiert u.a. den Einfluss von Autoantikörpern, die sich gegen den ACE2-Rezeptor richten.
- Ein Medizinreport im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2022; 119: A-438 / B-359) befasst sich mit vorbestehenden Risikofaktoren für Long-COVID und streift auch das Auftauchen von Autoantikörpern allein durch das mit der Impfung verabreichte Spike-Protein.
- Die AG Long-COVID & ME/CFS am Universitätsklinikum Erlangen unter Leitung von Prof. Dr. Christian Mardin untersucht und behandelt auch Patienten mit Post-Vac-Syndrom. In Erlangen gelangen Mitte 2021 die ersten erfolgreichen Heilversuche von Patienten mit Long-COVID. Sie wurden mit dem Medikament BC 007, das Autoantikörper unschädlich machen soll, behandelt.
- Das Universitätsklinikum Gießen Marburg behandelt in seiner interdisziplinären Spezialambulanz Patienten mit Long-COVID und Patienten mit Nebenwirkungen nach der Coronaimpfung.
- Im Patientenforum „Nebenwirkungen der Covid Impfungen“ tauschen sich Betroffene über das Post-Vac-Syndrom aus.
Ohne Nachweis kein Zugang zu Ambulanzen
Auch der HNO-Arzt Dr. Dirk Heinrich, bis Ende August 2021 einer der ärztlichen Leiter des Hamburger Impfzentrums, hegt Zweifel: „Das sind bislang alles nur Verdachtsfälle. Erkrankungen wie CFS tauchen ja auch sonst auf, ein Zusammenhang ist schwer zu belegen.“ Ein Vergleich der Häufigkeit während der Impfkampagne mit früheren Inzidenzen sei erst auf lange Sicht möglich. Hier müsse man auf entsprechende Sicherheitsberichte des PEI warten. Für Schneider ist die Ungewissheit zermürbend. Denn ohne einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Impfung und Symptomatik wird ihr vielerorts der Zugang zur medizinischen Versorgung verwehrt. So verlangen z.B. Long-COVID-Ambulanzen in der Regel den Nachweis einer zurückliegenden Infektion, bevor sie Patienten aufnehmen. Außerdem sorgt sie sich um ihre berufliche Zukunft und fürchtet, ohne klare Diagnose gegenüber ihrer Krankenkasse in Erklärungsnöte zu geraten. Als belastend empfindet sie auch, dass sie mit ihrer Erkrankung sowohl Impfbefürworter ebenso wie Impfgegner gegen sich aufbringt. „Manche Ärzte scheinen meine Beschwerden als Angriff gegen die Impfkampagne zu sehen. Ich habe dann das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen und beginne das Gespräch immer mit dem Hinweis, dass ich für die Impfung bin“, berichtet sie. „Sie ist das entscheidende Instrument, um aus dieser Pandemie herauszukommen.“ Menschen, von denen sie weiß, dass sie die Impfung ablehnen, erzählt sie deshalb lieber nicht von ihrer Erkrankung – aus Sorge, von ihnen instrumentalisiert zu werden.Medical-Tribune-Bericht