Zwangseinweisungen Bloßes Randalieren ist noch kein Grund

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Anouschka Wasner

Der Zwangseinweisung wegen drohender Eigen- oder Fremdgefährdung mit psychischen Ursachen sind mit Artikel 2 des Grundgesetzes hohe Hürden gesetzt. Der Zwangseinweisung wegen drohender Eigen- oder Fremdgefährdung mit psychischen Ursachen sind mit Artikel 2 des Grundgesetzes hohe Hürden gesetzt. © adzicnatasa – stock.adobe.com

Dass Zwangsunterbringungen in Einzelfällen nötig sind, dem kann sich ein praktisch tätiger Arzt kaum entziehen. Grundkenntnisse zur Unterbringung psychisch erkrankter Menschen sind dann dringend notwendig.

Eine COPD-Patientin mit Psychose widersprach wiederholt einer vom Arzt für notwendig befundenen Klinikeinweisung. Dem Arzt war bewusst, dass sich die Patientin damit auf lange Sicht selbst gefährden werde und zog deshalb eine Richterin hinzu. Diese stimmte einer Zwangseinweisung allerdings erst zu, nachdem die Patientin in eine CO2-Narkose gefallen war. Hätte die Einweisung zu einem früheren Zeitpunkt durchgesetzt werden können oder sogar müssen? 

Die Zahl der Unterbringungen nach den öffentlich-rechtlichen Landesgesetzen – also den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder (meist: PsychKG) – ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung besonders im gerontopsychiatrischen Bereich ist von einer weiteren Zunahme auszugehen. 

Das Recht, sich frei zu bewegen, ist aber ein hohes Gut. Geschützt wird es in Artikel 2 des Grundgesetzes. Eine Zwangsunterbringung muss sowohl deswegen als auch in Erwägung, dass eine Freiheitsbeschränkung für die Betroffenen ein traumatisierendes Erlebnis sein kann, gut begründet sein. Um eine Zwangseinweisung durchzusetzen, müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen. 

Zu den Voraussetzungen gehören: 

  1. Eine unmittelbar bevorstehende bzw. jederzeit zu erwartende, nicht anders abwendbare 
  2. erhebliche Eigen- oder Fremdgefährdung 
  3. aufgrund des Vorliegens einer behandlungsbedürftigen Psychose oder einer vergleichbaren anderen psychischen Störung oder einer vergleichbaren Sucht- oder Abhängigkeitserkrankung.

Die vage Möglichkeit des Eintretens eines Schadens ist für eine konkrete Gefährdung nicht ausreichend, erläutert dazu Dr. Carsten Köber, Notfall- und Allgemeinmediziner aus Bad Mergentheim. Es muss also eine konkrete Gefahr erkennbar sein. Beispiele für Situationen, in denen eine Nichtbehandlung zur Lebensgefahr führen kann, seien etwa das C2-Entzugsdelir oder eine C2-Intoxikation mit Verlust der Schutzreflexe. 

Vor einer Behandlung ohne die Einwilligung der gefährdeten Person muss geprüft werden, ob sich die Gefahr nicht durch andere Maßnahmen abwehren lassen würde. Das könne bei einer suizidgefährdeten Person sein, dass sie bei einer Vertrauensperson verbleibt, bzw. bei einem Alkoholisierten, dass ihm die Autoschlüssel abgenommen werden. Eine drohende Verwahrlosung oder die Gefahr von Hab und Gut durch z.B. das Demolieren von Möbeln stellt keinen Grund für eine Zwangsbehandlung dar!

Psychische Erkrankung ist entscheidende Voraussetzung

Liegt keine medizinische Ursache in Form einer psychischen Erkrankung für eine Selbst- oder Fremdgefährdung vor, ist ärztliches Handeln weder möglich noch erforderlich, betont Dr. Köber. Um eine entsprechende Erkrankung festzustellen, genügt allerdings die Diagnoseeingrenzung auf Symptomebene in der konkreten Situation, also etwa die Einschätzung als paranoid, delirant, desorientiert oder intoxikiert. 

In manchen Fällen ist schlicht die Polizei zuständig

Somatische Erkrankungen wie etwa Myokardinfarkt oder ein Schlaganfall gelten nicht als medizinische Ursachen, genauso wenig wie ein Bilanzsuizid oder eine Fremdgefährdung ohne psychische Ursache – im letzteren Fall ist schlicht die Polizei zuständig. 

Bei drohender Fremdgefährdung mit psychischen Ursachen muss eine konkrete Gefahr bestehen. Beschimpfungen, ungebührliches Verhalten und verbale Drohungen sind also nicht ausreichend, um ärztlich veranlasste Zwangsmaßnahmen zu begründen. In solchen Fällen muss gut abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich eine Umsetzung der Drohungen tatsächlich ist, unterstreicht der Notfallmediziner.

Aber Achtung: In den meisten Bundesländern muss bereits der Transport der betroffenen Person von einer zuständigen Stelle wie etwa dem Ordnungsamt oder der Polizei angeordnet werden. Lediglich in Baden-Württemberg kann die „fürsorgliche Aufnahme und Zurückhaltung“ für maximal 24 Stunden alleine durch eine ärztliche Anordnung erfolgen. 

Dokumentiert werden muss eine Zwangsbehandlung bzw. die Ablehnung von Behandlungsmaßnahmen entsprechend der Dimension des Eingriffes recht genau. Dazu gehören: 

  • die stattgehabte Aufklärung,
  • die fehlende oder eben vorhandene Einwilligungsfähigkeit,
  • die Selbst- oder Fremdgefährdung mit dem konkret zu erwartenden Schaden und
  • die ursächliche medizinische Dia­gnose.

Um die schnelle und vollständige Dokumentation abzusichern, empfiehlt Dr. Köber ggf. mit einem Formular zu arbeiten.

Darum hat die Richterin wohl erst so spät zugestimmt 

Im Fall der COPD-Patientin ging die Richterin offensichtlich zunächst davon aus, dass die Selbstgefährdung nicht unmittelbar bevorstand und dass somit die Grundlagen für eine Zwangseinweisung nicht gegeben waren. Erst mit Eintreten der CO2-Narkose veränderte sich dieser Sachverhalt und der ärztlichen Maßnahme wurde stattgegeben. An der späten Zustimmung der Richterin zur Maßnahme lasse sich erkennen, wie hoch das Rechtsgut der Freiheit bzw. die Autonomie des Patienten heute geschätzt werde, so Dr. Köber.

Kongressbericht: 26. Practica in Bad Orb