Cannabis auf Rezept – so geht's

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Therapiehoheit liegt beim Arzt, immer mit niedriger Dosis beginnen. Therapiehoheit liegt beim Arzt, immer mit niedriger Dosis beginnen. © pixabay

High auf Rezept oder Segen für Schwerkranke: Das neue Gesetz zur Cannabisverordnung wird natürlich heftig diskutiert. Experten sehen aber in erster Linie Vorteile – vorausgesetzt, die Indikation stimmt.

Seit dem 10. März dieses Jahres haben gesetzlich Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis – wenn der Behandler sie für notwendig hält. "Damit liegt die Therapiehoheit allein beim Arzt und geht nicht an GKV oder MDK", berichtete Dr. Johannes Horlemann vom Regionalen Schmerzzentrum DGS* in Geldern auf einer Pressekonferenz.

Patient muss nicht erst alle Alternativen durchlaufen

Das heißt auch, dass der Patient nicht erst alle theoretisch denkbaren Alternativen durchlaufen muss. Erstattungsfähig sind eine ganze Reihe von Zubereitungen (s. Kasten), bezüglich der Einnahmemodalität (z.B. inhalative Darreichung, Tropfen, Kapseln) existieren keine Vorschriften. Die Wirksamkeit wird immer durch das THC bestimmt, das über eine ganze Reihe von Effekten verfügt (s. Kasten). Als mögliche Indikationen nannte Dr. Horlemann:

  • Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitanregung bei HIV/AIDS-Patienten
  • chronische, v.a. neuropathische Schmerzen, vorwiegend als Koanalgetikum
  • Spastik bei MS und Paraplegie
  • Tourette-Syndrom

Eher ungeeignet ist Hanf bei Depression, Angstzuständen, Schlafstörungen und Psychosen. Die Einstellung sollte immer mit einer niedrigen Dosis beginnen, die Auftitrierung erfolgt dann nach engmaschiger Rücksprache (ggf. telefonisch) mit dem Patienten.

Erstattungsfähige Wirkstoffe

  • Cannabisblüten (THC-haltig)
  • Cannabisextrakte (THC-haltig)
  • Dronabinol: reines THC, aus Blüten oder halbsynthetisch hergestellt
  • Nabilon: vollsynthetisches THC-Analogon
  • Nabiximols: Mischung aus zwei Extrakten, enthält THC und Cannabidiol ungefähr im Verhältnis 1:1

Professor Dr. Sven Gottschling vom Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar fasste kurz die Datenlage zusammen: Tatsächlich gibt es bereits gute Evidenz für Cannabis, vor allem in der Palliativversorgung. Er selbst hat inzwischen die Daten von mehr als 250 Erwachsenen und knapp 100 Kindern aus seinem Zentrum ausgewertet – mit durchweg positiven Ergebnissen. Allerdings verwendet er ausschließlich synthetische Produkte mit standardisierter Dosis-Wirkungs-Beziehung, keine Blüten.

Prof. Gottschling wies zudem nachdrücklich auf den Unterschied zwischen der meist gerauchten Freizeitdroge und dem Medikament hin. Während es nach der Inhalation zu einem schnellen Peak, gefolgt von einem raschen Abfall des Wirkstoffspiegels kommt, verläuft die Kurve nach Ingestion langsam ansteigend und lang anhaltend. So besteht bei oraler Anwendung seiner Aussage nach praktisch keine Suchtgefahr.

Drei Wochen altes Baby mit Cannabis behandelt

Generell gibt es nur wenig Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Müdigkeit oder Benommenheit, die meist kurzfristig in der Titrationsphase auftreten. Wegen des günstigen Profils verwendet Prof. Gottschling Cannabis bei Bedarf auch schon bei ganz kleinen Kindern, "das jüngste war drei Wochen alt".

Eigenschaften von THC

  • appetitanregend
  • muskelrelaxierend/spasmolytisch
  • antiemetisch
  • analgetisch
  • anxiolytisch
  • sedierend
  • entzündungshemmend
Die hohe Sicherheit unterstrich er abschließend mit einer Grafik jährlicher Todesursachen. Spitzenreiter: Tabak mit 435 000 Fällen. Auf dem vorletzten Rang finden sich Erdnüsse mit 100 Opfern und Marihuana bildet mit null Toten das positive Schlusslicht. "Marihuana ist also sicherer als Erdnüsse", so das Fazit des schmunzelnden Kollegen.

Quelle: Schmerz- und Palliativtag 2017
* Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin