Viel putzen, viel Asthma – oder doch nicht?

Autor: Manuela Arand

Laut einem europäi­schem Konsensus sind Reinigungstätigkeiten mit berufsbedingtem Asthma assoziiert.
Laut einem europäi­schem Konsensus sind Reinigungstätigkeiten mit berufsbedingtem Asthma assoziiert. © fotolia/kucherav

Kein Zweifel, der Lunge tut es nicht gut, wenn sie längere Zeit Irritanzien einatmen muss. Aber kann das ein Asthma entstehen lassen? Gibt es ein Asthma als Berufskrankheit infolge einer Irritanzien-Belastung?

Für das allergische Asthma konnte man die Pathogenese relativ gut aufklären. Dagegen sind die Erkenntnisse beim irritanzieninduzierten Asthma (IIA) recht mager, räumte Professor Dr. Dennis Nowak, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums München, ein. Die Vorstellung ist, dass irritativ wirksame Substanzen auf die Mukosa treffen, das Epithel schädigen, daraufhin Sauerstoffradikale, Neurokinine und Substanz P ausgeschüttet werden und eine neutrophile Entzündung resultiert.

Nach Bhopal-Unfall Tausende asthmaähnliche Syndrome

Bei kurzer Exposition gegenüber hohen Konzentrationen entsteht ein persistierendes, dem Asthma ähnliches Syndrom, das als Reactive Airways Dysfunction Syndrome (RADS) bezeichnet wird. Per definitionem sollte der Patient vor dessen Manifestation keine Atemwegssymptome gehabt haben und binnen 24 Stunden nach der Exposition erkrankt sein. Kürzlich wurde vorgeschlagen, die Kriterien weicher zu fassen, z.B. Patienten mit Asthma in der Kindheit nicht auszuschließen.

Nach dem Chemieunfall im indischen Bhopal beispielsweise, bei dem große Mengen Methylisocyanat frei wurden, kam es zu Tausenden RADS-Fällen. Auch nach 9/11 wurden viele Erkrankungen berichtet, die durch die massive Staubexposition verursacht waren. Sogar häusliche Fälle sind bekannt, wenn z.B. beim Putzen Chlorbleiche und quartäre Ammoniumverbindungen gemeinsam ins Wasser gelangen und Chlorgas entsteht.

Die kritische Frage ist, was bei chronischer pulmonaler Belastung mit geringeren Konzentrationen passiert. Gibt es so etwas wie ein „Low-level-RADS“, das sich schleichend entwickelt? Menschen in Putzgewerbe und Landwirtschaft, Maler und Lackierer scheinen z.B. dafür prädestiniert, und tatsächlich weisen Statistiken für diese Berufe zwei- bis dreifach höhere Raten von bronchialer Hyperreagibilität und Asthma aus.

Die Euro­pean Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) hat vor wenigen Jahren in einem Konsensus­papier konstatiert, dass Reinigungs- tätigkeiten sowohl auf professioneller Ebene als auch im Haushalt „mit berufsbedingtem Asthma assoziiert“ sind, vor allem wenn Produkte verwendet werden, die leicht flüchtige Substanzen enthalten. Möglicherweise ist das eine Erklärung für die höhere Asthmaprävalenz beim weiblichen Geschlecht, spekuliert die EAACI.

Eine aktuelle Auswertung der SOLAR-II-Studie, in der Kinder vom neunten bis elften Lebensjahr langfristig beobachtet werden (mittlerweile schon bis zu 15 Jahre), zeigt, dass das Asthmarisiko mit dem Verbrauch an Sprays und Desinfektionsmitteln im Haushalt korreliert. „Wer viel putzt, kriegt viel Asthma“, kommentierte Prof. Nowak.

„Exposition ist der Trigger und nicht die Ursache“

Professor Dr. Roland Buhl von der Universität Mainz ist das ganze Konzept vom Asthma IIA zu schwammig: „An der Definition wird ständig herumgemäkelt, die Epidemiologie ist völlig unklar, zur Pathologie gibt es wenig – da ist viel Wunschdenken dabei.“ Der Pneumologe ist davon überzeugt, dass es sich schlicht um eine Koinzidenz zweier häufiger Phänomene handelt und nicht um einen Kausalzusammenhang: „Wenn bei Menschen, die eine Asthmadisposition haben, eine Irritanzien-Exposition dazukommt, bekommen sie Probleme.“ Die Exposition ist demnach Trigger und nicht Ursache der Asthmaerkrankung.

Spekulationen drücken nur die Hilflosigkeit aus

Der Vergleich mit dem gastroösophagealen Reflux drängt sich hier auf. Von dem hatte man ebenfalls lange geglaubt, er komme als Asthmaursache infrage. „Das gründete auf ähnlichen epidemiologischen Studien wie das IIA, und flugs war auch hier ein kausaler Zusammenhang abgeleitet“, so Prof. Buhl.

Doch als endlich eine große Interventionsstudie mit einem Protonenpumpenhemmer gemacht wurde – wohlgemerkt bei Asthmapatienten ohne Refluxsymptomatik –, löste sich die ganze Theorie in Wohlgefallen auf. „Das ist ein Beispiel dafür, in welche schiefe Ecke man laufen kann, wenn man epidemiologisches Zusammentreffen als Kausalität interpretiert.“

Kritisch sieht Prof. Buhl auch die Überlegungen zu Pathomechanismen: „Die Aussagen dazu sind hochgradig spekulativ.“ Die von Prof. Nowak geschilderte Theorie von Epithelschädigung, Neurokininen plus Radikalen und neutrophiler Entzündung bezeichnete er als „Ausdruck von Hilflosigkeit“, weil ein plausibles Modell fehle.

Quelle: 49. Bad Reichenhaller Kolloquium