Auswirkungen des fäkalen Mikrobiomtransfers noch weitgehend unbekannt
Wir verstehen derzeit von dem Mikrobiom im Darm höchstens ein Prozent – das sollten wir bedenken, wenn wir da eingreifen“, sagt einer, der es wissen muss: Professor Dr. Dr. André Gessner vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg. Er ist dort unter anderem damit befasst, eine Standardisierung im Bereich fäkalen Mikrobiomtransfers (FMT) voranzutreiben.
Außerdem hat sich mit der tiefen Gensequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS) quasi ein neuer Kontinent aufgetan. „Unser Mikrobiom ist größer als wir“, betonte Prof. Gessner mit Blick auf die riesige Zahl von Bakterien, Einzellern, Viren, Phagen und Pilzen, ihre enorme Genzahl und die Auswirkungen des Mikrobiota-Stoffwechsels auf die menschliche Physiologie. „Die meisten Plasmametaboliten des Menschen sind bakteriell“, erklärte der Experte. „Das Darmmikrobiom hat bei vielen Erkrankungen größeren Einfluss als das Patientengenom.“
In den Magen oder Darm? Das ist durchaus relevant!
Das würde den FMT als Therapieform unterstützen. Allein: Die meisten Darmbewohner sind noch gar nicht charakterisiert, lassen sich nicht kultivieren und es ist völlig unklar, was ein „gesundes“ Darmmikrobiom ist und was den „richtigen“ Spender ausmacht.
Die Analytik des Darmmikrobioms ist noch völlig unzuverlässig, wie Prof. Gessner bei Ringversuchen mit einem Verfahren zur tiefen Gensequenzierung herausfand. Die zuvor standardisierten Stuhlproben ergaben in jedem Labor ein anderes Bild der mikrobiellen Zusammensetzung. „Es gibt einen Riesenbedarf an Standardisierung!“ Prof. Gessner forderte daher, den Einsatz des FMT auf lebensbedrohliche Situationen wie eine schwere Clostridium-difficile-Infektion und Graft versus Host Disease zu beschränken. Zuerst muss das Darmmikrobiom besser charakterisiert werden, dann können spezielle Präparationen entwickelt und geprüft werden. Dass in zehn Jahren noch Stuhl von einem Spender auf einen Empfänger übertragen wird, hält er für unwahrscheinlich.
Privatdozentin Dr. Maria J. G. T. Vehreschild von der Klinik für Innere Medizin I, Uniklinik Köln rät ebenfalls zur Zurückhaltung. Sie wies darauf hin, dass schon die Applikation des Transplantats nicht gut definiert ist. So weiß man nicht, ob die Gabe am besten über den Magen, in den Zwölffingerdarm oder den Dickdarm erfolgen sollte. Das ist durchaus relevant, betonte Prof. Gessner. Das Mikrobiom unterscheidet sich in den einzelnen Teilen des Gastrointestinaltraktes deutlich voneinander. Auch die optimale Applikationsweise ist noch offen. Kapsel, Einlauf oder endoskopisch? „Der Einlauf ist nicht so effektiv“, sagte Dr. Vehreschild. Allerdings kommt der Einlauf im deutschen FMT-Register auch kaum mehr vor. Derzeit spielt bei der Wahl des Verfahrens weniger die Effektivität als die Präferenz der Patienten eine Rolle: „Die älteren Patienten wünschen sich eher die Kapsel“, erläuterte die Expertin.
„Wir sollten das Verfahren noch nicht anwenden“
Die Effektivität der Therapie ist im Übrigen nicht unbedingt durch die Veränderung der Dysbiose bestimmt: In einer randomisierten kontrollierten Studie zum FMT beim Reizdarm veränderte der Kapsel-FMT zwar die Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Den Patienten der Placebogruppe ging es aber nach drei Monaten deutlich besser als denen der FMT-Gruppe. „Das haben wir noch nicht verstanden, deshalb sollten wir den FMT da auch noch nicht anwenden“, betonte Dr. Vehreschild.
Völlig risikolos ist der FMT nicht. Wie Dr. Ulrich Rosien vom Israelitischen Krankenhaus, Hamburg, berichtete, kann es nicht nur bei Endoskopie und Sedierung zu Komplikationen kommen. Trotz Screening ist die Übertragung von Erregern nicht auszuschließen. Zu denken gibt zudem beispielsweise ein Fallbericht, wonach der FMT von einer adipösen Tochter auf die schlanke Mutter bei dieser auch zu einer progredienten Adipositas führte, die sie nicht mehr loswurde. Das Langzeitrisiko des FMT ist derzeit völlig unbekannt.
Quelle: Kongressbericht, Viszeralmedizin 2018