Nachhaltige Praxisführung Gesundheitsgefahr Klimawandel

Autor: Dr. Susanne Gallus

Im Gesundheitsbereich wird immer noch viel zu viel Müll produziert. Im Gesundheitsbereich wird immer noch viel zu viel Müll produziert. © panaramka – stock.adobe.com

Praxisalltag, zusätzliche Hygienemaßnahmen durch die Pandemie und jetzt auch noch Nachhaltigkeit und Umweltschutz: Die To-do-Liste der Ärzte wird gefühlt immer länger. Doch hinten anstellen kann man nichts davon. Zu lange wurden die beiden Themen in der Medizin vernachlässigt.

Nur in vier von den 34 medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland findet sich eine nachhaltige Initiative. Dr. Susanne­ Saha, Biologin und Fachärztin für Dermatologie aus Karlsruhe, hat 2020 zusammen mit Kollegen den DDG Arbeitskreis Plastik und Nachhaltigkeit in der Dermatologie (s. Kasten) ins Leben gerufen und mit uns über ihr Engagement gesprochen. 

Nachhaltig in der Dermatologie

Der DDG Arbeitskreis „Plastik und Nachhaltigkeit“ wurde im April 2020 gegründet und ist eine von insgesamt vier nachhaltigen Initiativen in Deutschland, die es innerhalb der Fachgesellschaften zum Thema Klimawandel gibt. Die Dermatologen beschäftigen sich auch mit der Umweltverschmutzung durch Kunststoffe und frei verkäufliche Arzneimittel. Auf ihrer Internetseite (www.akdermaplastik.de) bündeln sie Informationen für Kollegen aller Fachrichtungen. Gleichzeitig werden dort verschiedene Qualitätsmanagement (QM)-Vorlagen zur nachhaltigen Praxisführung bereitgestellt. Wer sich aktiv einbringen möchte, ist immer willkommen, betont Dr. Saha – sei es für einen einzelnen Beitrag oder die kontinuierliche Mitarbeit, die ebenfalls flexibel gestaltet werden könne.

„Plastik und Nachhaltigkeit“ klingt im ersten Moment nach keinem typischen DDG-Thema. Warum muss es auch in diesem Umfeld so einen Arbeitskreis geben?

Dr. Saha: Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Medizin bisher leider vernachlässigt worden. Auch in der Dermatologie. Dass wir als Arbeitskreis zusätzlich das Thema Plastik gewählt haben, liegt daran, dass gerade Dermatologen sehr viele Externa verwenden, die Mikroplastik enthalten und auch sehr viele Kosmetika in Plastikumverpackungen empfehlen. Wenn sich Mediziner mit der Gesundheit von Menschen auseinandersetzen, aber gleichzeitig unwissentlich so viel Treibhausgase und damit Umweltschäden verursachen, dass sie damit die Gesundheit von Patienten in Gefahr bringen, lässt sich das mit unserem Berufsstand nicht vereinbaren.

Wann haben Sie entschieden: Jetzt muss ich aktiv werden?

Ich habe vor zwei Jahren angefangen, mir sehr große Sorgen zu machen. Mit der „Fridays for Future“-Bewegung bekam das Thema Klimawandel mit eindrucksvollen Grafiken und den Berichten des Weltklimarates sowie der Wissenschaftler zunehmende Aufmerksamkeit. Eines Tages stand ich bei uns in der Praxis vor dem prall gefüllten Probenschrank und dachte mir, „Was mache ich hier eigentlich?“ Die Muster sind oft mehrfach umverpackt und beinhalten je eine kleine Probe meist aus zwei verschiedenen Plastiksorten mit einem Inhalt von 2–3 ml, der auch Mikroplastik enthalten kann. Das bedeutet nach Gebrauch eine ungeheure Menge Plastikabfall. Wir erhalten jede Woche unglaublich viele dieser Proben. Viele werden an die Patienten gar nicht weitergegeben, sondern früher oder später je nach Verfallsdatum entsorgt. Das ist sinnlos.

Was kann eine einzelne Hautarztpraxis ausrichten?

Selbst wenn sich nur einzelne Praxen für nachhaltige Praxisführung interessieren, führt dies am Ende des Tages zu einer Treibhausgaseinsparung. Derzeit entscheiden sich viele Menschen dazu, nachhaltiger zu leben. Wir können damit dem Patienten zeigen, dass nachhaltige Maßnahmen nicht unbedingt eine Einschränkung bedeuten und zudem gesundheitsfördernd sind. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, können wir z.B. nur erreichen, wenn jeder Einzelne dazu beiträgt.

Wie reagierte Ihr Umfeld auf Ihr Engagement? Wurden Sie in die „grüne Ecke“ geschoben?

Ich erhalte durchweg positive Rückmeldungen. In die „grüne Ecke“ wurde ich bisher nie gestellt. Uns sollte aber auch bewusst werden, dass es diese „grüne Ecke“ nicht gibt, sondern dass wir alle von unserer Umwelt unmittelbar abhängig sind. Wir Menschen haben uns in den letzten Jahren zunehmend eine künstliche Umwelt erschaffen. Die Pandemie zeigt uns gerade, dass diese wie ein Kartenhaus zusammenfallen kann. So lange wir die reale Umwelt wie Natur, Wetter und alles was uns beeinflusst nicht integrieren und beachten, werden wir scheitern.

Nachhaltig bedeutet teuer und für das Praxisteam eine Mehrbelastung. Stimmt das?

Derzeit wächst der Markt für nachhaltige Produkte und damit auch der Wettbewerb. Ich rechne damit, dass viele Produkte auf Dauer günstiger werden. Im Bereich der Praxisführung betrachtet man außerdem verschiedene Aspekte, die jeweils für sich genommen erhebliche Vorteile haben. Soziale Nachhaltigkeit kann helfen, eine gute Teamführung zu erreichen, u.a. über Ideen und Mitbestimmung der Mitarbeiter. Ergreift man ökonomische Maßnahmen, reduziert z.B. Strom- und Wasserverbrauch, lässt sich Geld und Zeit einsparen. Zudem verkleinert man seinen CO2-Fußabdruck. Das wirkt sich nicht nur auf die ökologische Nachhaltigkeit aus, sondern verschafft zudem ein gutes Gefühl.

Ist Nachhaltigkeit eine Ganz-oder-gar-nicht-Entscheidung?

Von keiner Praxis und keiner Klinik wird gefordert, dass sie innerhalb einer Woche komplett nachhaltig wirtschaftet. Jede Praxis oder Klinik soll die Maßnahmen ergreifen, die sie zu diesen Zeiten aktuell ergreifen kann und möchte. Natürlich freuen wir uns, wenn wir Kollegen überzeugen können, noch mehr zu tun. Auf unserer Internetseite gibt es dazu bereits zahlreiche QM-Vorschläge.

Oft ist der erste Schritt der schwerste. Welcher war das für Sie?

Ehrlich gesagt, gab es den bei mir gar nicht. Am schwersten war für mich vielleicht, den Arbeitskreis zu initiieren. Auf der anderen Seite empfand ich es als Notwendigkeit, denn ich habe das Gefühl, dass wir mit dem Arbeitskreis zur Aufklärung von Kollegen beitragen können. Gerade im Bereich Mikroplastik und Umweltverschmutzung gibt es so viele Informationen im Internet. Bisher existierte jedoch kein Informationsportal für Ärzte, das diese Informationen zusammenführt.

Wie begegnet man der Skepsis von Kollegen am besten?

Durch freundliche Gespräche. Viele Menschen sind sich der Lage einfach nicht bewusst. Daher ist es so wichtig, die Informationen weiterzutragen, auf seriöse Quellen hinzuweisen und immer wieder ins Gespräch und in die Diskussion zu gehen.

Wo lässt sich am einfachsten Plastik einsparen?

Ideen gibt es viele. Welche die besten sind, lässt sich pauschal nicht sagen. Ich empfehle „schau, was du hast und sieh, was du weglassen kannst“. Das heißt z.B. mal darauf zu achten, was sich an Müll über den Tag ansammelt. Aber nicht nur Weglassen ist wichtig, sondern auch die Frage „was kann ich wiederbenutzen?“ Kurz gesagt: reduce, reuse and refill.

Wo verzichten Sie bisher nicht auf Einwegplastik bzw. Einwegartikel?

Überall dort, wo es gesetzlich vorgeschrieben ist. Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitskreises, den Bereich der Hygiene im ärztlichen Umfeld zu bewerten. Hier gibt es andere Institutionen, denen diese Aufgabe obliegt.

Wie wirkt sich die „Nachhaltigkeit“ auf den Alltag mit Patienten aus?

Wir haben viele Patienten, die selbst nachhaltiger leben wollen. Ich versuche fast in jedem ärztlichen Gespräch, das Thema auch im Zusammenhang mit Erkrankungen zumindest einmal zu erwähnen, und habe festgestellt, dass ich offene Türen einrenne. Mittlerweile sind viele Menschen für das Thema sensibilisiert und hoch erfreut, wenn man es anspricht.

Viele arbeiten derzeit am Limit. Haben Klima- und Umweltschutz Zeit bis nach der Pandemie?

Nein. Natürlich werden viele es als Zusatzbelastung empfinden, weil es für sie ein relativ neues Thema ist. Doch wir müssen jetzt in jedem Bereich in den Klima- und Umweltschutz investieren. Extremwetterereignisse wie Hochwasser und Vektorerkrankungen könnten deutlich zunehmen, es wird auch mehr Menschen geben, die unter der Hitze leiden, wenn wir alle so weitermachen wie bisher. Auch wenn dafür viele kleine Schritte nötig sind, werden wir in der Summe mehr Zeit für weitere Maßnahmen gewinnen.

Welche Projekte stehen derzeit an?

Die Nachhaltigkeit muss vor allem in den AWMF-Leitlinien implementiert werden, nur so findet sie Einzug in Forschung, Lehre und Curriculum. Hier haben wir erste Diskussionen angestoßen. Zudem erarbeitet unser Arbeitskreis kontinuierlich QM-Dokumente zur nachhaltigen Praxisführung und stellt Infos zu gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen in Externa online. Wer an News interessiert ist, kann sich gerne auf unserer Homepage umschauen.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht