„Ein virtuelles Studium macht noch keinen echten Arzt“

Gesundheitspolitik Autor: Petra Spielberg

Die Theorie sollen sich die Studenten online beibringen. Die Theorie sollen sich die Studenten online beibringen. © metamorworks – stock.adobe.com

Der Mangel an Studienplätzen in der Humanmedizin ruft Kooperationen privater Träger auf den Plan, um ärztlichen Nachwuchs auszubilden und zu rekrutieren. Doch bei Franchise-Konstruktionen wird die Kritik laut.

Medizin studieren, ohne NC und ohne jemals einen Hörsaal betreten zu haben – seit dem Wintersemester 2018/19 geht dies und zwar in Form eines grenzübergreifenden Franchise-Studiengangs in der privaten Trägerschaft einer digitalen Bildungseinrichtung (EDU) in Malta in Kooperation mit dem Helioskonzern. Die als fünfjähriger Masterstudiengang angelegte Ausbildung schließt mit der ärztlichen Approbation nach maltesischem Recht ab. Dabei werden die theoretischen Lerninhalte ausschließlich online vermittelt, während die Studenten die klinischen Abschnitte in Einrichtungen von Helios an unterschiedlichen Standorten in Deutschland absolvieren sollen.

EDU ist das jüngste Beispiel einer Reihe grenzüberschreitender Franchise-Modelle zur Ausbildung ärztlichen Nachwuchses, bei denen sich kommunale oder private Krankenhausträger mit ausländischen Bildungsanbietern zusammentun. Weitere Kooperationen, die seit einigen Jahren mit den staatlichen Hochschulen konkurrieren, gibt es unter anderem zwischen Kassel und Southampton, Bielefeld bzw. Hamburg und Ungarn, Nürnberg und Salzburg oder Split und Coburg. Professor Dr. Peter Dieter, Präsident der Association of Medical Schools in Europe (AMSE), schätzt, dass es europaweit ca. 20 solcher Modelle gibt.

Der Aufbau, die Gesamtstudiendauer, die Kosten sowie die Studien­abschnitte, die hierzulande absolviert werden können, variieren von Modell zu Modell. Im Schnitt kostet ein Studium in privater Trägerschaft rund 50 000 bis 115 000 Euro.

Immatrikulation ist nicht nur eine Frage der Abinote

Die Initiativen machen sich zum einen das seit Jahrzehnten bestehende Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei Studienplätzen im Fach Humanmedizin an staatlichen Hochschulen zunutze. Zum anderen wollen sie das Studienfach Medizin auch denjenigen zugänglich machen, die aufgrund des Numerus Clausus an einer Zulassung zum Studium gescheitert sind, da in der Regel bei den Privaten lediglich ein Einstiegstest und persönliche Auswahlgespräche über die Immatrikulation entscheiden.

Aber auch für die Klinikträger sind die Modelle attraktiv, da sie sich als Lehrkrankenhäuser anbieten und zugleich ärztlichen Nachwuchs für ihre Einrichtungen rekrutieren können. „Wir versprechen uns gute, praxiserfahrene, teamfähige Mediziner für unsere Kliniken von morgen“, bestätigt Professor Dr. Andreas Meier-Hellmann, Geschäftsführer der Helios-Kliniken, Berlin.

Bundesärztekammer (BÄK), der Medizinische Fakultätentag (MFT), die AMSE und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmed) verfolgen die Entwicklung der Franchise-Studiengänge mit Skepsis. Die bvmed moniert, dass die diversen Kooperationen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen an das Studium den Bestrebungen, ein vergleichbares Studium in Deutschland anzubieten, zuwiderlaufe. Zugleich bestehe die Gefahr, dass zwischen privaten und staatlichen Fakultäten eine Konkurrenz um Lehrkrankenhäuser erwachse, wodurch weniger Kapazitäten für Studierende staatlicher Fakultäten zur Verfügung stünden. Kritisch sieht die Studentenvertretung auch die von den privaten Anbietern verlangten hohen Studiengebühren: Diese könnten zu einer sozialen Selektion führen.

Europäisches Recht erlaubt die privaten Modelle

„Ein virtuelles Studium macht noch keinen echten Arzt“, kritisierten wiederum BÄK und MFT in einer gemeinsamen Reaktion auf den Start des maltesischen Modells. MFT und der Verband der Universitätsklinika Deutschlands äußerten zudem Zweifel an der Qualifikation der Lehrenden und Prüfenden bei den Franchise-Konstruktionen.

„Die klinische Lehre übernehmen im besten Fall außerplanmäßige Professoren ohne die für die Lehre und Forschung notwendigen Ressourcen“, so die Vertreter der deutschen Hochschulmedizin. Private Anbieter müssten sich jedoch ebenso wie staatliche Hochschulen an die EU-rechtlich vorgeschriebenen Standards für eine wissenschaftlich fundierte Medizinerausbildung halten, lautet ihre Forderung. Dies setze unter anderem eine forschungsbasierte Lehre durch hauptamtlich tätige Professoren voraus.

Die Kritik richtet sich allerdings nur gegen Modelle, die nicht gemäß der hiesigen Approbationsordnung ausbilden und nicht mit einem Staatsexamen abschließen. Anbieter, wie die private Medical School Hamburg, die den Status einer wissenschaftlichen Hochschule genießt und mit den Helios Kliniken Schwerin ab Oktober 2019 die ersten Medizinstudenten ausbilden will, sind hiervon ausgenommen, da sie allen deutschen Qualitätsanforderungen an ein Medizinstudium genügen.

„Nach europäischem Recht sind aber grundsätzlich alle privaten Modelle erlaubt“, erklärt AMSE-Präsident Prof. Dieter. Da die Qualitätskontrollen der Ausbildungen bei ausländischen Anbietern dem jeweiligen Sitzland unterlägen, sei jedoch oft unklar, ob sie auch die deutschen Standards erfüllen. „Hier besteht hinsichtlich der Evidenz noch Nachholbedarf“, meint Prof. Dieter.

„Wir sind überzeugt davon, allen in Deutschland gestellten Qualitätsansprüchen zu genügen“, so Professor Dr. Andreas Hoeft, Sprecher der Gründungsfakultät der EDU und Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Bonn. Das fünfjährige Masterstudium verfüge über ein ausformuliertes Curriculum von insgesamt 5500 Unterrichtsstunden, das sich sowohl am deutschen „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin“ als auch an internationalen Lernzielkatalogen orientiere. Damit erfülle die Ausbildung die Voraussetzungen der EU-Richtlinie 2005/36 zur automatischen Berufsanerkennung. Die Absolventen des Studiums könnten daher später in jedem EU-Mitgliedstaat eine ärztliche Zulassung beantragen, meint Prof. Hoeft.

Auch Prof. Meier-Hellmann verteidigt das Modell: „Wir sind überzeugt, dass diese Form der Ausbildung der Gesundheitsversorgung und unseren Patienten enorme Chancen bieten wird.“ Die praktische Präsenzausbildung in Form von vierwöchigen Modulen an den Einrichtungen von Helios biete den Studenten maximale Patientennähe sowie die vollständige Integration in den Klinikalltag.

Medical-Tribune-Recherche