Telematikinfrastruktur Erste Instanz befindet Zwangsanbindung für zulässig

Gesundheitspolitik Autor: Anouschka Wasner

1 % ihres Honorars wurde den nicht an die TI angebundenen Praxen im ersten Quartal 2019 abgezogen. Gestritten wird jetzt u.a. darum, ob der entsprechende Paragraf zu jenem Zeitpunkt gegen andere Rechtsnormen verstoßen hat. Dann wäre der Honorarabzug hinfällig. 1 % ihres Honorars wurde den nicht an die TI angebundenen Praxen im ersten Quartal 2019 abgezogen. Gestritten wird jetzt u.a. darum, ob der entsprechende Paragraf zu jenem Zeitpunkt gegen andere Rechtsnormen verstoßen hat. Dann wäre der Honorarabzug hinfällig. © iStock/chanut iamnoy

Der Honorarabzug in 1/2019 wegen Nicht-Anschluss an die Telematikinfrastruktur war rechtskonform, urteilte das Sozialgericht Stuttgart in erster Instanz. Die Gematik ist zufrieden. Der Kläger wird in Berufung gehen. Es geht um mehr als Geld.

Vor dem Sozialgericht Stutt­gart wurde in einem Musterprozess ein Arzthonorar verhandelt. Geklagt hatte der Medi-Vorstandsvorsitzende und Allgemeinarzt Dr. Werner Baumgärtner gegen die Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Er wollte seinen Honorarbescheid aus dem ersten Quartal 2019 nicht hinnehmen. In dem Bescheid war ihm 1 % seines Honorars abgezogen worden – ein mittlerer dreistelliger Betrag –, weil seine Praxis zum Stichtag nicht an die Telematik­infrastruktur (TI) angeschlossen war.

Wäre es in der Klage um ein späteres Quartal gegangen, hätte man von mehr Geld gesprochen: Seit März 2020 werden Praxen ohne TI-Anschluss 2,5 % des Honorars von ihrer KV abgezogen. Eine Medical-Tribune-Abfrage im September 2021 hatte ergeben, dass in den 17 KV-Bezirken zwischen 4 und 13 % der Ärztinnen und Ärzte noch nicht angeschlossen waren.

Der juristische Vorstoß des Klageführers Dr. Baumgärtner sollte die Rechtswidrigkeit des Honorarab­zugs feststellen – zum Zeitpunkt der Klagestellung im Januar 2020 war das ursprüngliche Ziel sogar noch, den Zwangsanschluss möglichst zu verhindern.

Entwicklungen haben die Justiz teils überholt

„Seitdem ist viel Zeit verstrichen“, erklärt Frank Hofmann aus dem Mediverbund AG-Vorstand. Denn genau wie eine weitere von Medi Geno unterstützte Klage in Rheinland-Pfalz wurde auch die Stuttgarter Verhandlung mehrmals verschoben. Und ein für November 2021 vor dem Sozialgericht München angesetzter Termin – hier klagt ein Vertreter des Bayerischen Facharztverbandes mit ähnlichem Anliegen – wurde genauso pandemiebedingt wieder abgesagt.

In der Zeit, die seit der Klagestellung verstrichen ist, hat sich die Situation aber verändert. Der Gesetzgeber habe zwischenzeitlich nachgebessert und mit den neuen Funktionen wie ePA, eAU und eRezept seien die Probleme heute ganz anders gelagert, so Hofmann. Aus der juristischen Warte zählte in Stuttgart aber trotzdem nur jenes Quartal, aus dem der umstrittene Bescheid stammt.

Zumindest zum damaligen Zeitpunkt sei die TI unter Verstoß gegen die höherrangige Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz betrieben worden, so die Argumentation des Klageführers. So sei etwa die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit für den Konnektor und das Kartenlesegerät sowie die Aufteilung von Verpflichtungen bei gemeinsamer datenschutzrechtlicher Verantwortlichkeit gesetzlich nicht geregelt gewesen. Genausowenig wie die Datenschutzfolgeabschätzung, Wartungsvorgaben, die Betroffenenrechte, eine sichere Installation und ein Alternativverfahren.

Als Arzt, der seine Praxis an die TI anschließt, wäre er, der Kläger, somit als datenschutzrechtlich Mitverantwortlicher, Teil einer rechtswidrigen Datenverarbeitung geworden und dem Risiko einer Mithaftung nach DSGVO ausgesetzt gewesen. In Relation zum Nutzen des Ver­sichertenstammdatenmanagements (VSDM), – die Funktion, um die es damals ausschließlich ging –, habe der Anschlusszwang außerdem einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dargestellt, so die Argumentation des Arztes.

Einige der beanstandeten juristischen Mängel seien mit dem Patientendatenschutzgesetz (PDSG), das zum 20.10.2020, also deutlich nach dem betreffenden Quartal, in Kraft trat, nachträglich vom Gesetzgeber aufgegriffen worden, argumentierte der Klageführer vor Gericht. Zuletzt sei auch die Verantwortlichkeit für die Datenschutzfolgeabschätzung geregelt worden, nämlich mit dem DVPMG, das am 09.06.2021 in Kraft trat. Aber: Gerade diese nachträgliche Aktivität des Gesetzgebers sei klares Anzeichen dafür, dass bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Gesetze eine Regelung gefehlt habe.

Diesem Vortrag des klagenden Mediziners folgte das Gericht jedoch nicht. Es unterstrich stattdessen, der Gesetzgeber habe mit der expliziten Regelung der Dinge lediglich bereits Geltendes noch einmal klargestellt. Schließlich habe die DSGVO zu diesem Zeitpunkt Gültigkeit gehabt. Die Frage der Verantwortlichkeit sei unbestreitbar schwierig und komplex, aber unter anderem über die DSGVO bestimmbar gewesen, ein übliches juristisches Verfahren.

Prüfungsmaßstab sei – so betonte es das Gericht mehrmals – die Frage: Ist die Anfang 2019 geltende Fassung des Paragrafens, der Ärzte gegen Androhung von Honorar­abzug dazu verpflichtet, das VSDM durchzuführen, wegen Verstoß gegen ein höherrangiges Recht nichtig oder eben nicht?

Gericht kann keinen Verstoß gegen DSGVO erkennen

Das Gericht wies die Klage ab – mit der mündlichen Begründung, dass es in der damaligen Gesetzesfassung weder einen Verstoß gegen die ­DSGVO noch gegen die Verfassung erkennen kann. Zur Wahrung des Datenschutzes und der Datensicherheit sei die im Gesetz vorgesehene Beteiligung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und des Bundesdatenschutzbeauftragten ausreichend gewesen. Die detaillierte schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus.

Wenig eingegangen ist das Gericht auf die umfassende Darstellung des Klägers zu den technischen Sicherheitsmängeln in der TI. Dazu hatte die klagende Seite zum Beispiel den Einsatz veralteter Software mit bekannten Sicherheitsproblemen, eine zu niedrige Sicherheitsstufe der TI („niedrigeres Schutzniveau als ein Fahrtenschreiber“), das Fehlen einer Zwei-Faktor-Authentifizierung der Fernwartung, zu niedrige Verschlüsselungsanforderungen an den Konnektor und zu geringe Firewall-Funktion desselben angeführt.

„Es ist unverständlich, dass das Sozialgericht Stuttgart trotz einer Verfahrensdauer von zwei Jahren die technischen Sicherheitsmängel der TI-Konnektoren nicht näher betrachtet hat“, kommentiert Dr. Baumgärtner. Deswegen müsse die gerichtliche Klärung in der nächsten Instanz fortgesetzt werden.

Trotz der ablehnenden Entscheidung vertreten MEDI GENO und MEDI Baden-Württemberg weiterhin die Position, dass die Anschlusspflicht an die Telematikinfrastruktur vor dem Hintergrund der datenschutzrechtlichen Unzulänglichkeiten und der Sicherheitsmängel der TI-Struktur am Ende keinen Bestand haben kann. Es könne keine Haftung übernommen werden für Komponenten, „die unter Zwang in den Praxen installiert werden müssen, ohne diese wirklich prüfen zu können“.

KV sieht sich im Dilemma und will sich lieber nicht äußern

Die KV, die eigentliche Beklagte bei diesem Termin, erklärte, sie befände sich in einem Dilemma. Sie müsse die gesetzlichen Vorgaben umsetzen, aber gleichzeitig die Interessen ihrer Mitglieder wahren. Als KV könne man sehr gut nachvollziehen, dass der Kläger die Frage des Honorarabzuges einer gerichtlichen Prüfung unterziehen möchte. Man selbst habe sich immer für die Vernetzung ausgesprochen – doch die Umsetzung stelle sich zunehmend schwierig dar. Mittlerweile seien auch die Folgeanwendungen von Pannen geprägt, das eRezept erneut verschoben. Deswegen wolle man sich zu dieser rechtlichen Auseinandersetzung nicht äußern.

 

Zufrieden zeigte sich Holm Diening, Leiter Sicherheit der Gematik, mit dem Ausgang des Verfahrens. Das Gericht habe ausgeführt, „dass es nicht davon überzeugt ist, dass sich aus dem Vortrag des Klägers ein Verstoß der damaligen gesetzlichen Regelungen zur Pflicht zum Anschluss an die TI gegen höherrangiges Recht herleiten lässt“. Seines Erachtens sind politische und auch wirtschaftliche Interessen Treiber des Geschehens. Schließlich unterhalte der Mediverbund mit der eAV zusammen mit dem Hausärzteverband selbst eine Infrastruktur zur Vernetzung von Ärzten.

André Schmolke, Bereich Recht der Gematik, ergänzte, dass das Urteil zwar voraussichtlich nicht das letzte zu diesem Sachverhalt sei – aber es stelle "eine konsequente Fortsetzung der vorangegangenen Rechtssprechung dar".

Fazit: Es ging natürlich nicht nur um ein Arzthonorar. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens hat das Gericht trotz des niedrigen Streitwertes die Berufung zugelassen. In der nächsten Instanz wird also weitergestritten. Um Honorar, um die Rechtmäßigkeit eines Paragrafens und vielleicht auch um politische und wirtschaftliche Interessen – wo auch immer diese liegen. Und hoffentlich „in letzter Instanz“, wie man umgangssprachlich sagt, auch um Datenschutz.

Medical-Tribune-Recherche