Corona in Österreich „Es macht keinen Sinn, die Impfpflicht auszusitzen“
An dem Tag, an dem der Nationalrat in Wien für den Gesetzentwurf zur allgemeinen Impfpflicht stimmte, betrug die 7-Tage-Inzidenz in Österreich und in Vorarlberg über 1.500 je 100.000 Einwohner. Der Anteil der Menschen mit „gültigem Impfzertifikat“ belief sich in der Republik wie in dem Bundesland auf rund 70 %.
Die Vorarlberger Landesrätin Martina Rüscher erklärt im Gespräch mit Medical Tribune, was mit „gültig“ gemeint ist: Beispielsweise gilt das Vakzin von Johnson & Johnson jetzt als Zweifachimpfstoff. Auch der Abstand für Zweitimpfungen wird ab Februar von neun auf sechs Monate verkürzt. Dazu kommen Auffrischungsimpfungen. Das heißt: Was ein kompletter Impfstatus ist – wie ihn die allgemeine Impfpflicht umfasst –, wechselt je nach offizieller Definition. Gleichwohl will Österreich den jeweils aktuellen Status bei seiner Wohnbevölkerung überprüfen. Dafür bedient man sich eines zentralen Impfregisters.
Wie viele von den 30 % Ungeimpften werden sich aufgrund dieser neuen Maßnahmen noch für die Spritze entscheiden? Für einige davon – Kinder und Jugendliche – gilt die Impfpflicht gar nicht. Ängstliche Personen können durch persönlichen Dialog und korrekte Informationen noch erreicht werden, hofft Rüscher. Die „Zauderer“ lassen sich vielleicht durch die drohenden Strafen umstimmen. Bei der kleinsten, aber lauten Gruppe des „Widerstands“ erwartet die Landesrätin dagegen kein Einlenken. Im Gegenteil: „Die Proteste werden sich eher noch verstärken.“ Behörden und Gerichte werden aufgrund von Einsprüchen und Klagen mehr Arbeit bekommen.
Anfang Februar tritt die allgemeine Impfpflicht in Österreich in Kraft. Überprüft wird sie ab dem 15. März. Allerdings zunächst nur durch „Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes“ bei anderweitigen Kontrollen, etwa von Coronaschutzmaßnahmen oder dem Verkehr. Bei unzureichendem Impf- oder Genesenenstatus bzw. fehlendem Ausnahmenachweis kann die Polizei umgehend eine Geldstrafe veranlassen. „Bei der ersten Amtshandlung wird das nicht im vollen Maß der Fall sein“, sagt Rüscher. Aber Wiederholungsfälle addieren sich zu stattlichen Summen. Stellt die Polizei bzw. Bezirksverwaltungsbehörde einen ungültigen Impfstatus fest, wird im „abgekürzten Verfahren“ eine Strafverfügung von bis zu 600 Euro verhängt – und das bis zu viermal im Jahr. Kommt es aufgrund eines Einspruchs zu einem „ordentlichen Verfahren“ steigt das Maß auf bis zu 3.600 Euro, ebenfalls maximal viermal im Jahr. Die Vermögensverhältnisse werden dabei berücksichtigt.
Datenverknüpfung von Melde- und Impfregister
„Keinesfalls kann eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt oder die Impfung mit physischem Zwang durchgesetzt werden“, heißt es auf der Website des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Rüscher ergänzt: Es gibt auch Anreize, sich impfen zu lassen, etwa eine „Impflotterie“ sowie Fördergelder für Gemeinden, die Impfquoten von 80 bis 90 % erreichen. Über eine Mrd. Euro sind dafür vorgesehen.
Es wird wohl Mitte Mai werden, bis die technischen Voraussetzungen für registerbasierte Erinnerungs- und Mahnschreiben der Verwaltungen gegeben sind, schätzt Rüscher. Dabei erfolgt eine „Datenverschränkung“ des Melderegisters mit dem zentralen Impfregister. Das zentrale Impfregister hält die Landesrätin für eine wesentliche Grundlage zur Umsetzung der Impfpflicht – in Deutschland gibt es so etwas bislang nicht.
Jedoch: Es ist nicht sicher, ob es zu dieser lückenlosen Kontrolle mit breitem Strafvollzug kommt. Denn das sei eine Entscheidung des zentralen Monitorings und hänge u.a. von der Immunisierung durch Omikron und der Boosterimpfung ab, erklärt Rüscher. „Ich halte es für wichtig, dass das Gesundheitsministerium die Möglichkeit hat, flexibel Parameter zu verändern.“
„Es ist ein sehr flexibles Gesetz“, sagt die ÖVP-Politikerin zum begleitenden Monitoringprozess. Alle drei Monate beurteilt eine Fachkommission, ob die Rahmenbedingungen zur epidemiologischen Lage und zum Stand der Wissenschaft passen, z.B. wie lange Impfzertifikate noch gültig sein sollen bzw. wie schnell der Schutz aufgefrischt werden muss. „Man kann diese Grundlagen jederzeit anpassen. Das ändert aber nichts daran, dass wir grundsätzlich eine Impfpflicht haben.“
Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2022
Für die Hausärzte ändert sich übrigens nichts. Sie hatten die Befürchtung, von Patienten belagert und bedrängt zu werden, Befreiungsatteste auszustellen. Nun wurde aber festgelegt, dass es nur eine kurze Liste mit Risikogruppen geben soll, die für eine Befreiung infrage kommen. Außerdem muss diese Bescheinigung durch einen Amtsarzt, einen vom Land bestellten Epidemiearzt oder in ausgewählten Ambulanzen der Spitälern erfolgen. Die Ausnahmemeldungen werden von diesen Ärzten im Epidemiologischen Meldesystem hinterlegt.
Die Ausbreitung der Omikron-Variante lässt sich mit der Impfpflicht nicht mehr stoppen, weiß Rüscher. Die neue Pflicht diene der schützenden Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2022 und der Verhinderung eines weiteren Lockdowns.
Die Landesrätin hält es für wichtig, dass eine allgemeine Impfpflicht eingeführt wird und nicht nur eine berufs- oder bereichsbezogene. „Es geht um das Vertrauen in der Bevölkerung, dass sie mit der Impfung das Richtige tut.“ Um aus der Coronakrise mit ihren freiheitsbeschränkenden Maßnahmen und mittlerweile vier Lockdowns herauszukommen, „führt an der Impfpflicht nichts vorbei“. Es sei wichtig, eine klare Linie zu fahren. Dafür gibt es in Österreich eine politische Mehrheit von ÖVP, Grünen und SPÖ.
Die Laufzeit des Gesetzes bis Ende Januar 2024 diene der Planbarkeit: „Es macht also keinen Sinn, die Impfpflicht auszusitzen.“ Eine vorzeitige Beendigung kann sich Rüscher für den Fall vorstellen, dass eine Impfquote von 90 % oder mehr erreicht wird. Doch allein angesichts der Variabilität des Infektionsgeschehens und der Impfschemata ist das so bald nicht absehbar.
Medical-Tribune-Bericht