Gleichberechtigt sind wir Ärztinnen immer noch nicht
Gerade haben wir ihren 100. Geburtstag gefeiert. Den der MWIA, der Medical Women International Association, auf deutsch: des Weltärztinnenbundes. Dieser Zusammenschluss von ursprünglich drei nationalen Ärztinnenverbänden fand 1919 in New York statt. In einer Zeit, als in vielen Ländern Frauen noch nicht einmal zum Medizinstudium zugelassen wurden.
Mittlerweile hat der internationale Verband Mitglieder aus 52 Nationen, die sich alle drei Jahre treffen. Was lag näher als den runden Geburtstag am „Geburtsort“ gebührend zu feiern. 1200 Ärztinnen aus aller Welt kamen Ende Juli in New York zusammen und als ehemaliges Vorstandsmitglied unseres Deutschen Ärztinnenbundes konnte ich mir dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Eine starke deutsche Delegation war da – vielleicht auch, weil die Weltpräsidentin, die bis zum Abschluss des Kongresses im Amt war, aus Deutschland kommt.
Ich bin gerne auf diesen internationalen Kongressen. Ich genieße die persönlichen Gespräche mit Kolleginnen aus aller Welt, freue mich über die oft mehr frauenspezifischen Themen. Auch die Berichte über Gesundheitsprobleme in anderen Winkeln der Welt und viele neue medizinische Themen, die in der allgemeinen ärztlichen Diskussion erst in ein paar Jahren bei uns auftauchen werden, machen diese Treffen für mich zu einem oft spannenden intensiven Erlebnis.
Ein besonderes Highlight – ich will es nicht abstreiten – ist für uns alle der Galaabend. Die Kolleginnen kommen in ihrer Nationaltracht: die Japanerinnen in ihren bunten Kimonos, die Koreanerinnen in diesen wunderschönen Kleidern mit der hoch angesetzten Taille und den weit ausstehenden Röcken, die Neuseeländerinnen in der ländlichen Tracht der Pionierinnen des 19. Jahrhunderts, die Inderinnen in ihren leuchtenden Saris und die Afrikanerinnen in ihren buntgemusterten maßgeschneiderten Kleidern mit dem hohen Kopfputz. Ein wunderbares farbenprächtiges Bild, ein munteres Stimmengewirr, fröhliche Beiträge der einzelnen Nationen auf der Bühne.
Nun bekomme ich oft kritische Fragen in meiner Umgebung zu hören, wenn ich den Ärztinnenbund erwähne und vielleicht sogar jungen Kolleginnen eine Mitgliedschaft vorschlage. Mittlerweile seien doch weit mehr als die Hälfte der Studienanfänger Frauen, Ärztinnen arbeiteten völlig gleichberechtigt, alle Karrierechancen stünden ihnen offen; wozu brauchen wir also noch einen Ärztinnenbund?
Nun, anlässlich des runden Geburtstages fand auch ein Empfang in der UNO statt. Tolle Sache, die einem nur einmal im Leben geboten wird, dachten wir uns alle. Und so ertrugen wir die strengen Sicherheitsvorkehrungen auf dem schattenlosen Pflaster in der New Yorker Hitze mit Engelsgeduld. Natürlich erwartete niemand, dass António Guterres zu uns sprechen würde, aber einen würdigenden Vortrag zur 100-Jahr-Feier einer NGO hätten wir schon sehr geschätzt. Was wir erhielten, war nur der Vortrag eines drittrangigen Repräsentanten ... über Frauengesundheit!!
Auch wurden die Präsidentinnen des Weltbundes und des amerikanischen Ärztinnenbundes als Gastgeberinnen nicht aufs Podium gebeten wie sonst üblich. Sie „durften“ lediglich in der ersten Publikumsreihe sitzen. Ob das wohl bei einem von Männern dominierten erfolgreichen NGO-Verband auch so stattfinden würde? Ich wage es zu bezweifeln.
Und genau deshalb ist für mich die Gleichstellung von Männern und Frauen noch lange nicht erreicht. Und genau deshalb brauchen wir einen Ärztinnenbund, der es uns ermöglicht, unsere spezifischen Probleme miteinander offen zu diskutieren, unsere Ansprüche zu formulieren und durchzusetzen und uns gegenseitig schwesterlich zu unterstützen.