Lockdown-November-Blues

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Lockdown und Winterdepression machen den Menschen zu schaffen – da gilt es, den Ausgleich in den kleinen Dingen zu suchen. Lockdown und Winterdepression machen den Menschen zu schaffen – da gilt es, den Ausgleich in den kleinen Dingen zu suchen. © koszivu – stock.adobe.com

Der Winter ist da und mit ihm ein erneuter Lockdown. Unsere Kolumnistin erzählt, was ihr aktuell am meisten an die Substanz geht – und was ihr Trost spendet in diesen Zeiten.

Was macht frau nicht alles, wenn der Lockdown am Wochenende viele der gewohnten Unternehmungen unmöglich macht? Ich habe mal gründlich Zeitung gelesen und auf der Witzeseite unseres Lokalblatts einen Cartoon gesehen, der mich zum Schmunzeln gebracht hat: Eine Reporterin mit Mund-Nasen-Schutz hält einer älteren Frau, ebenfalls mit Maske geschützt, ein Mikro unter die Nase mit der Frage: „Was fürchten Sie am meisten beim nächsten Lockdown?“ und die Dame antwortet: „Dass ich mir wieder ständig dieses Gejammere anhören muss!“ Ich gebe zu, da habe ich mich verstanden gefühlt.

Nicht, dass ich zu den Corona­leugnern gehöre. Nein, die Gefahr ist da und macht weder vor meinen Patienten noch vor meinen Freunden Halt – und nimmt die Menschen zum Teil schwer mit. Aber irgendwie nervt es schon: das Maske-Tragen, das ständige Lüften, die ängstlichen Klagen der Patienten, die stündlichen Pressemitteilungen, das Verbot von Chorproben und Musikstunden, die Schließung von Ausstellungen und Museen. Dazu kommt die Sorge, dass wir wieder einen kompletten Shutdown bekommen, wenn die Zahl der Neuinfizierten nicht abnimmt.

Im Seniorenheim erlebe ich, dass die Bewohner zunehmend desorientiert, teilweise sogar apathisch werden, weil die gewohnten Gruppenveranstaltungen und die Gottesdienste ausfallen.

Grundschullehrer und -lehrerinnen haben mir berichtet, dass es verboten ist, im Musikunterricht zu singen und Instrumente zu spielen. Stattdessen gibt es, kaum zu glauben: Arbeitsblätter! Kann da Musik noch Freude machen oder einen Ausgleich zum Leistungsdruck in den anderen Fächern bieten? Gut, es ist ein kleiner Fortschritt zum Homeschooling, in dem einige Kinder den Anschluss an das Lernen komplett verloren haben. Ein bisschen haben unsere Politiker doch dazu gelernt ...

Einen anderen Lehrer musste ich arbeitsunfähig schreiben, da er es nicht mehr erträgt, ständig Drohmails von Eltern zu erhalten. Sie sind entweder besorgt, weil ihnen die Hygienemaßnahmen zu „lasch“ sind und sie um die Gesundheit ihrer Kinder fürchten. Oder sie sind verärgert, weil sie die Maßnahmen für völlig überzogen halten und sie die freie Entwicklung ihrer Sprösslinge in Gefahr sehen. Der arme Mann ist seelisch völlig erschöpft, im Burnout.

Oder die Patientin mit ihren hysterischen Ängsten, die meine Mitarbeiterinnen täglich anruft. Oder die Angehörige, die den MFA vorschreiben will, was sie bei ihren Eltern machen bzw. nicht machen sollen. Und diejenigen, die ihre ach so gefährlichen Termine bei mir kurzfristig wieder absagen. Das nagt langsam an den Nerven. Nicht nur an meinen. Der Corona-Lockdown-November-Blues.

Im Münchner Stadtteil Giesing hat eine Kirche, noch vor Coronazeiten, neue Fenster bekommen. Die riesigen Glasscheiben werden von Hunderten bläulicher Röntgenaufnahmen von Lungenflügeln geschmückt. Luft – Pneuma – Atem – Leben. Beim Betrachten stellt sich in mir das Gefühl von Freiheit ein, von frischem Wind. Ein wunderbarer Trost in dieser Zeit.

Und dann, wie ein unverhofftes Geschenk, beschert uns das Wetter noch so manchen schönen milden Novembertag mit viel Sonne, Licht und Wärme. Tage, an denen wir einfach raus müssen, an die frische Luft, einen ausgedehnten Spaziergang machen. Und siehe da, draußen treffe ich viele Bekannte und Patienten, die es auch aus dem Haus gezogen hat.

Oft habe ich das Gefühl, ich rede gegen den Wind, wenn ich moderate  Bewegung empfehle. Jetzt, im Lockdown, tun die Menschen etwas für sich. Vielleicht erinnern sich doch manche an meine Empfehlungen, manchmal zumindest. Und das ist auch ein Trost für mich. Es ist nicht alles vergebens.