Pränataltest auf Trisomie 21 provoziert rege Debatten um Werteordnung
Ausgangspunkt der Diskussion ist die Frage, ob die Kosten der nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollen. Der eigentlich für die Beantwortung zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der nach Nutzen und Kosten entscheidet, sieht sich hier an seine Grenzen gestoßen. Vom Test würden „fundamentale ethische Fragen unserer Werteordnung berührt“, schrieb der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Professor Josef Hecken, Ende 2018 an den Gesundheitsausschuss des Bundestages. Fraktionsübergreifend haben Bundespolitiker deshalb eine Orientierungsdebatte auf den Weg gebracht.
Amniozentese oft nicht mehr notwendig
Professor Dr. Karl Lauterbach, (SPD), befürwortet die Kostenübernahme, sofern es sich um eine Risikoschwangerschaft handelt. Der Bluttest sei extrem verlässlich, sagte der Mediziner bezüglich des Tests auf Trisomie 21, der bereits seit 2012 zugelassen ist.
Der Test suche nach DNA-Schnipseln des Kindes im Blut der Mutter. Sei er negativ, könne man eine Behinderung ausschließen, erläuterte Prof. Lauterbach. Die mit dem Risiko eines Aborts und einer Schädigung des Kindes verbundene Amniozentese wäre somit nicht notwendig. Bei einem positiven Testergebnis sei die Wahrscheinlichkeit für eine tatsächlich vorliegende Anomalie jedoch sehr hoch. Hier würden dann weitere Untersuchungen folgen müssen.
Er sei aber nicht nur aus ärztlicher, sondern auch aus ethischer Sicht für den Bluttest, betonte der Politiker. Denn man dürfe den „schlicht viel besseren Test“ nicht jenen Frauen vorenthalten, die kein Geld hätten, ihn zu bezahlen. Bisher wird der Test auf Trisomie 21 für Selbstzahler angeboten, für mehrere Hundert Euro.
Die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus betonte, es wäre ein Widerspruch, einen riskanten Eingriff zu bezahlen – die Amniozentese ist Kassenleistung – und einen ungefährlichen Bluttest nicht. Wenn für den neuen Test andere Regeln gelten würden als für den alten, wäre das „weder rational, noch ethisch oder medizinisch zu erklären“, bemerkte die Patientenbeauftragte und Herzchirurgin Professor Dr. Claudia Schmidtke (CDU). Mit der Kostenübernahme könnte jedoch eine verpflichtende psychosoziale Beratung einhergehen.
Eine solche Beratung hält auch Prof. Lauterbach für erforderlich. Frauen könnten sich dann bewusster entscheiden und auch auf die Versorgung und Erziehung des behinderten Kindes besser vorbereiten. Das betreffe ggf. auch die Auswahl der richtigen Klinik, wenn sich beim Kind mit Downsyndrom ein Herzfehler zeige.
Der Politiker spricht sich zudem für ein Gremium aus, das sich mit neuen molekulargenetischen Tests hinsichtlich Zulassung, Erstattung und Anwendung befasst. Das schließt medizinische und sozialpolitische Aspekte ebenso ein, wie die Vermeidung von Diskriminierung und Selektion. Dabei seien die Tests nicht pauschal zu betrachten, so Prof. Lauterbach. „Es geht um eine spezifische Entscheidung im spezifischen Fall.“ Vielleicht müsse auch die Gesetzgebung für entsprechende Entscheidungen dann im G-BA geändert werden.
Auch Kathrin Vogler (Die Linke) forderte eine Regulierung, denn solche Tests seien hochprofitabel und würden mit dem Argument hoher Sicherheit beworben.
Kritiker befürchten u.a., dass die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen zu einem Dammbruch führt, also sich deutlich mehr Frauen im Wissen um die Behinderung des Ungeborenen für einen Abbruch entscheiden. Der Bluttest auf Trisomie 21 diene der Selektion, denn die meisten Föten würden dann abgetrieben, mahnte z.B. Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen).
Schwangere haben auch ein Recht auf Nichtwissen
Eltern von Kindern mit Downsyndrom warnen eindringlich davor, dass ein routinemäßiger Bluttest zur Ausgrenzung von Kind und Eltern führen könnte. Die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt, selbst Mutter eines Sohnes mit Downsyndrom, sagte, es gehe in der Debatte längst nicht nur darum, eine Individuelle Gesundheitsleistung zu einer Kassenleistung zu machen.
Mit dem Thema „vorgeburtliche Untersuchungen“ seien viel mehr Fragen verbunden. So gehöre „zum Recht auf Nichtwissen der Wunsch nach einer Schwangerschaft, in der man sich nicht ständig mit Risiken, Wahrscheinlichkeiten, ihren möglichen Folgen, daraus resultierenden weiteren Tests usw. beschäftigen muss, sondern sich einfach voller Hoffnung auf sein Kind freut“.
In einem Interview im „Tagesspiegel“ erklärte Schmidt, sie habe die Entscheidung für das Kind nie bereut. Sie äußerte zudem: „Wo sind die Grenzen eines Tests? Bei Neigung zu Diabetes, zu Adipositas, zu Krebs? In ein paar Jahren wird es noch mehr Tests geben. Haben die Eltern dann einen Zettel mit Dutzenden Anomalien, auf dem sie ankreuzen müssen, was getestet werden soll?“
Familien müssen unterstützt, Kinder gefördert werden
Es sei „eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, den Bluttest zu erstatten bei gleicher Indikation“, erklärte der Ethikratvorsitzende Peter Dabrock gegenüber der Wochenzeitung „Das Parlament“. Einen Dammbruch befürchtet er nicht. „Wir haben jetzt schon eine sehr hohe Zahl an Abbrüchen nach identifizierter Trisomie 21. Die würde vielleicht noch etwas steigen, aber es würde nicht auf ein Vielfaches hochschnellen mit der Neuregelung“, so der Theologe von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er fordert jedoch von der Gesellschaft ein, ethische und rechtliche Grundsätze zu achten. So müssten Familien unterstützt und Menschen mit Behinderung gefördert werden.
Zahlreiche Abgeordnete aus dem Deutschen Bundestag haben sich für die Kostenübernahme des Pränataltests auf Trisomie 21 ausgesprochen. Eine Entscheidung des G-BA wird damit aber nicht vorweggenommen. Weitere Diskussionen stehen an, denn der Gemeinsame Bundesausschuss hat im März auch das Stellungnahmeverfahren zu Anwendungsmöglichkeiten von NIPT zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 bei Risikoschwangerschaften eröffnet.
Medical-Tribune-Bericht