Somatische Versorgung Psychiater plus Hausarzt plus Gesundheitsbegleiter
„Patienten mit Severe Mental Illness (SMI) wie bipolarer Störung, schwerer unipolarer Depression, Schizophrenie oder Borderline-Störung leiden häufig auch an somatischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Herz-, Gefäß- oder Lungenerkrankungen“, erläutert Professor Dr. Stefan Wilm, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsklinik Düsseldorf. Diese Komorbiditäten könnten zu einer reduzierten Lebenserwartung beitragen. In Deutschland leiden bis zu einer Million Menschen an SMI.
Eine Studie der Universität Düsseldorf und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung aus dem Jahr 2019 kam zu dem Ergebnis, dass schwer psychisch erkrankte Menschen je nach Erkrankung durchschnittlich drei bis zwölf Jahre früher sterben als die Allgemeinbevölkerung. Drei Viertel dieser Todesfälle seien auf somatische Erkrankungen zurückzuführen.
Mehrere Faktoren, die zur Übersterblichkeit beitragen
Die meisten somatischen Erkrankungen seien lebensstilbedingt. Zudem seien Arzneinebenwirkungen zu beachten. Es gebe auch Hinweise, dass „gesundheitssystembedingte Faktoren signifikant zur Übersterblichkeit beitragen“, so die Studie.
„Im Versorgungsalltag liegt der Fokus der Behandlung von SMIPatienten auf ihrer psychischen Erkrankung“, sagt Prof. Wilm. Die psychiatrischen Kollegen in den Institutsambulanzen (PIA) oder Praxen konzentrierten sich auf diese Krankheiten. In die Hausarztpraxis würden die Patienten seltener gehen, denn sie seien häufig in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt. Hier setzt das Projekt „PSY-KOMO“ an.
Schnittstellenmanagement zwischen Praxen und PIA
An vier Modellstandorten werden Strukturen aufgebaut, in denen Psychiater und Hausärzte enger kooperieren sollen. Gesundheitsbegleiter unterstützen Betroffene niederschwellig dabei, somatische Versorgungs- und Präventionsangebote in Anspruch zu nehmen. Zu deren Aufgaben zählt auch das Schnittstellenmanagement zwischen den behandelnden Praxen und den PIA. Dafür werden Pflegekräfte und MFA durch eine Fortbildung qualifiziert.
Für die beteiligten Psychiater wurde ein Fragebogen entwickelt, der den Blick auf die somatischen Aspekte lenken soll und nach dem Lebensstil der Patienten fragt. Am Ende könnte eine Überweisung an den Hausarzt stehen und ein Kontakt zum Gesundheitsbegleiter – „wenn der Patient es wünscht“, so Prof. Wilm. Dafür erhalten diese Fachkollegen „ein gutes finanzielles Inzentiv“.
So sollen regionale multiprofessionelle Netzwerke entstehen aus Gesundheitsbegleitern, Psychiatern und Hausärzten. Die Gesundheitsbegleiter stehen als Kontaktpersonen den Patienten und den Ärzten zur Verfügung. Um unerwünschte Wechselwirkungen zu vermindern, können sich die Ärzte zusätzlich telefonisch mit Experten über eine individuelle, mit der somatischen Medikation abgestimmte Psychopharmakotherapie beraten.
PSY-KOMO wird zunächst in Neuss, Frankfurt a.M., Göppingen/Ulm und Greifswald aufgebaut. Das Projekt wird durch den Innovationsfonds des G-BA über drei Jahre mit insgesamt 8,8 Millionen Euro gefördert. Konsortialführer der 15 Partner ist die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Versorgungsforscher begleiten das Projekt wissenschaftlich. Geplant ist, mehr als 7.700 SMI-Patienten einzuschreiben. Auf Basis der Abrechnungsdaten der beteiligten KVen wird die Zahl der somatischen Diagnosen und Vorsorgeuntersuchungen mit der Anzahl vor der Einschreibung sowie mit denen einer Kontrollgruppe verglichen. Bei Erfolg könnte aus dem Projekt PSY-KOMO einmal ein DMP SMI werden.
Medical-Tribune-Bericht