Familienhausarzt Einer für alle?

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Ruth Bahners

45,6 % wollen in der gleichen Hausarztpraxis behandelt werden wie die restliche Familie. 45,6 % wollen in der gleichen Hausarztpraxis behandelt werden wie die restliche Familie. © Kurhan – stock.adobe.com

Ein Hausarzt für die ganze Familie – dieses Konzept bietet sowohl dem Arzt als auch den Patienten Vorteile. Geeignete Rahmenbedingungen für die familienmedizinische Versorgung müssen allerdings noch geschaffen werden.

In der ersten und nach Aussage der Autoren bisher einzigen repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu Präferenzen für die Versorgung von Angehörigen äußerten 45,6 % den Wunsch, dass möglichst alle Familienmitglieder in derselben Hausarztpraxis betreut werden sollten. Lediglich 6,5 % wünschten explizit, dass ihre Angehörigen in verschiedenen Hausarztpraxen behandelt werden. Befragt wurden rund 2.000 Menschen im Alter zwischen 14 und 96 Jahren.

„Das Ergebnis hat uns positiv überrascht“, sagt Prof. Dr. Stefan Wilm. Er ist Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf und für die Studie verantwortlich.

Die Präferenzen unterschieden sich nicht nach den räumlichen Lebensumständen wie Stadt oder Land oder nach Herkunftsländern. Allerdings spiele das Einkommen und der Familienstand eine Rolle. Personen, die in größeren Haushalten und in festen Partnerschaften lebten, präferierten den Familienhausarzt. Je höher das Haushaltsnettoeinkommen war, desto geringer war die Neigung zum Familienhausarzt. Rund 45 % war der gemeinsame Hausarzt nicht so wichtig.

„Auch wenn der Versorgungswunsch teilweise organisatorische Gründe haben könnte,“ so Prof. Wilm, „bietet er durch die gemeinsame Betreuung mehrerer Familienmitglieder in einer Praxis das Potenzial für eine Versorgung im engeren familienmedizinischen Sinne.“ Die Vorteile lägen auf der Hand: gute Kenntnisse der biologischen und psychosozialen Zusammenhänge und etwaiger Belastungen durch familiäre Ereignisse. Diese Kenntnisse könnten vor allem in der langfris­tigen Begleitung von Bedeutung sein.

Sozialarbeiter runden das Versorgungsangebot ab

Insbesondere Menschen aus größeren Haushalten und mit niedrigeren Einkommen zögen die gemeinsame Behandlung beim Hausarzt vor – dies lasse auf einen möglichen erhöhten Versorgungsbedarf dieser sozioökonomisch schlechter gestellten Personen schließen. Daher plädiert Prof. Wilm für die Möglichkeit, neben der Pflege auch mit Sozialarbeitern regelhaft zusammenarbeiten zu können. Denn bei der Unterstützung von Menschen in prekären Verhältnissen seien auch Familienärzte nur bedingt kompetent.

Um das Potenzial der Hausarztpraxen für die familienmedizinische Versorgung nutzen zu können, sind nach Auffassung von Prof. Wilm „förderliche Rahmenbedingungen“ notwendig. Der EBM müsse an die Erfordernisse der Familienmedizin angepasst werden, indem etwa Familienkonferenzen oder Fallkonferenzen mit Sozialarbeitern honoriert würden. „Wenn ein Ehepaar mit dem dementen Vater und den Kindern kommt, kann das schon mal eine halbe bis eine dreiviertel Stunde dauern“, so Prof. Wilm. „Aber das wird bisher nicht vergütet.“ Er plädiert für eine Vernetzung auf Gemeinde- und Quartiersebene. Trotz fehlender Vergütung sollten die Strukturen jetzt schon aufgebaut werden. Die Kollegen sollten zudem niedrigschwellige, räumlich und zeitlich für Familien geeignete Sprechzeiten, z.B. in den früheren Abendstunden, anbieten.

Eine Konkurrenz zu den Pädiatern sieht Prof. Wilm nicht. „Kinderärzte sind auch Grundversorger, die bei der Versorgung ihrer Patienten die Lage der Eltern berücksichtigen.“ Aber sie dürften die Eltern nicht behandeln. Prof. Wilm wünscht sich mehr Kooperation mit den Kinderärzten, vor allem in der Transitionsphase, wenn die Jugendlichen mit 18 Jahren nicht mehr vom Kinderarzt behandelt werden dürften. Eine regelhafte Übergabe sei sinnvoll.

Medical-Tribune-Bericht

Prof. Dr. Stefan Wilm, Direktor des Instituts
für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums
Düsseldorf Prof. Dr. Stefan Wilm, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf © privat