Und nun zu den Coronaaussichten
Lange Zeit wurden die SARS-CoV-2-Infektionszahlen täglich aufs Neue von den Medien spektakulär in Szene gesetzt. Erst war man schockiert, dann folgte der Sommer mit den Lockerungen. Bei der zweiten Welle harrte man nur noch der 7-Tage-Inzidenzwerte, die da kamen. Dennoch hielt sich bei mir unterbewusst diese fixe Idee, dass es irgendwann durchgestanden ist.
Dann, etwa eine Woche vor Ostern, hörte ich Radionachrichten und staunte nicht schlecht, als der Nachrichtensprecher die aktuellen Coronazahlen der jeweiligen Landkreise im Sendegebiet verkündete. Unaufgeregt und völlig selbstverständlich, als wäre es der Wetterbericht und das Normalste der Welt. Und das, während wir mitten in der dritten Welle steckten.
In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass Corona wohl keine Ausnahmesituation mehr ist, sondern nun zum Alltag gehört. Was mir nach über einem Jahr Pandemie zwar logisch, aber gleichzeitig irgendwie absurd und ein bisschen erschreckend vorkam. Wirft man einen Blick in Parks und Fußgängerzonen, hat man das Gefühl, dass von vielen „normal“ leider als „nicht mehr so schlimm“ fehlinterpretiert wird. Einige nehmen das Risiko, auch andere zu gefährden, schlichtweg in Kauf. Man könne sich ja schließlich nicht ewig einschränken ... Die immer wieder aufs Neue steigenden Infektionszahlen, die die Intensivstationen an ihr Limit bringen zeigen, wie gefährlich solches Verhalten ist.
Gleichzeitig bin ich froh, dass ich mich an die Situation gewöhnt habe. Dass ich nicht mehr unverrichteter Dinge nach Hause zurücklaufen muss, weil ich zwar mit Einkaufszettel, aber ohne Mundschutz losgezogen bin. Statt mit Freunden koche oder laufe ich nun eben häufiger „in Gesellschaft“ von Podcasts, ohne es schlimm zu finden. Die benötigten Apps für Videocalls sind auch alle auf dem Handy installiert – ich glaube, es sind mittlerweile fünf, je nach Gegenüber. Und wird der alltägliche Coronavirenbericht zum Standard, könnte man ja zukünftig sogar seine Freizeitaktivitäten regional besser planen – „Bundesnotbremse“ außen vor. Ist es also gut, dass wir uns an Corona gewöhnt haben? Schwer zu sagen, denn es bleibt die Frage: Wie viel Gewöhnung ist ok?
Dr. Susanne Gallus
Redaktion Medizin