Antikoagulation bei Vorhofflimmern: Indikation ginge noch individueller

Dr. Sascha Bock

Grundsätzlich gilt: je älter der Betroffene, desto größer das Schalganfallrisiko. Grundsätzlich gilt: je älter der Betroffene, desto größer das Schalganfallrisiko. © iStock/iLexx

Sollte bereits ein 30-Jähriger mit Vorhofflimmern und Hypertonie antikoaguliert werden? Der CHA2DS2-VASc-Score sagt vielleicht, Ihr Bauch sagt nein. Ein Patientenalter von 63 Jahren würde am Score nichts ändern, wohl aber an Ihrem Gefühl. Benötigt wird eine individualisierte Indikationsstellung.

Das Schlaganfallrisiko ist nicht so statisch, wie ein Ja-Nein-Score es einen glauben lässt. Gemäß ESC*-Leitlinie zum Vorhofflimmern (VHF) sollte man nur bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 0 (Männer) bzw. 1 (Frauen) keine oralen Antikoagulanzien einsetzen. Sobald ein Risikofaktor vorliegt, gilt es, die Gerinnungshemmung zumindest zu erwägen. Ein klinisches Dilemma. Denn eine begleitende Hypertonie z.B. könnte je nach Patientenalter unterschiedlich stark ins Gewicht fallen.

NOAK ab einem Apoplexrisiko von 0,9 % pro Jahr sinnvoll

Bei Jüngeren wird die Apoplex­gefahr möglicherweise überschätzt, während ein 63-Jähriger – kurz vor der CHA2DS2-VASc-Altersschwelle – eventuell bereits eine Prophylaxe bräuchte. Gibt es also einen Weg, die Indikation individueller anzupassen, wenn Vorhofflimmerpatienten nur einen Risikofaktor mitbringen, fragte sich das internationale Forscherteam um den Kardiologen Professor Dr. Tze-Fan Chao vom Taipei Veterans General Hospital. Aus Untersuchungen weiß man, dass ab einem Schlaganfallrisiko von 0,9 %/Jahr der Nutzen von NOAK die potenziellen Nebenwirkungen überwiegt. Ab welcher Altersgruppe dieser „Scheitelpunkt“ bei bestimmten Komorbiditäten erreicht wird, errechneten die Kollegen anhand der Datenbank der nationalen taiwanesischen Krankenversicherung.

In den anonymisierten Daten der Jahre 1996 bis 2009 fanden sich etwa 39 000 VHF-Kranke, die ein für den CHA2DS2-VASc-Score relevantes Begleitleiden hatten (Apoplex/TIA ausgenommen): 

  • Hypertonie (n=20 860)
  • Herzinsuffizienz (n=11 766)
  • Diabetes (n=4338)
  • vaskuläre Erkrankung (n=2056)

Weitere 31 000 Patienten wiesen – außer dem weiblichen Geschlecht – keinen Risikofaktor auf. Alle Individuen waren über 20 Jahre alt und nahmen weder Plättchenhemmer noch orale Antiko­agulanzien.

Die Schlaganfallgefahr einer Kohorte ergibt sich bekanntlich aus der Inzidenz. Das kalkulierte jährliche Risiko hängt allerdings vom zugrundeliegenden Rechenmodell ab. Konventionell fließen in eine solche Analyse lediglich Patientencharakteristika zum Zeitpunkt der VHF-Diagnose mit ein. Die Kollegen ermittelten das Risiko nun auch mit einem „idealen“ Ansatz. Dieser berücksichtigt die Altersdynamik im Verlauf: Wann trat ein Apoplex tatsächlich auf? Wann kamen Komorbiditäten hinzu?

Eine Herzinsuffizienz wiegt offenbar besonders schwer

Ziel ist, dass ein NOAK ab dem Alter verordnet wird, ab dem die Ereignisrate 0,9 %/Jahr übersteigt. Laut der „idealen“ Auswertung lag dieser Start für Vorhofflimmerpatienten mit Hypertonus bei 50 Jahren (siehe Kas­ten). In der Altersgruppe zwischen 45 und 49 ermittelten die Forscher ein jährliches Schlaganfallrisiko von 0,79 %. Bei den 50- bis 54-Jährigen betrug es bereits 1,32 %/Jahr.

Hypothetische Schwellen für den NOAK-Einsatz

Liegt gemäß CHA2DS2-VASc gar kein oder nur ein Risikofaktor vor, ergeben sich folgende Altersschwellen, ab denen eine orale Antikoagulation gestartet werden sollte:
  • Herzinsuffizienz: ≥ 35 Jahre
  • Hypertonie: ≥ 50 Jahre
  • Diabetes: ≥ 50 Jahre
  • vaskuläre Erkrankung: ≥ 55 Jahre
  • Alter als einziger Risikofaktor: NOAK bereits ab 60 Jahre

Besonders schwer wog eine begleitende Herzinsuffizienz, sie signalisierte schon in jungen Jahren einen drohenden Apoplex. Der Kalkulation zufolge besteht eine NOAK-Indikation ab 35. An dieser Schwelle kletterte die Rate von 0,49 %/Jahr auf 1,68 %/Jahr. Und sogar ganz ohne Komorbiditäten könnte sich eine frühere Antikoagulation lohnen. In der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen fand sich eine Inzidenz von 1,16 % pro Jahr. Ein Grund, die Altersdefinition im CHA2DS2-VASc-Score zu ändern? Nein, denn die Studie hat einen Haken.

Gefahr für Asiaten höher als für Europäer

Die Autoren geben zu bedenken, dass es sich um eine Kohorte aus Taiwan handelt. Asiaten tragen vermutlich ein höheres Schlaganfallrisiko als Nicht-Asiaten. So fand sich für Taiwanesen mit einem CHA2DS2-VASc von 0 eine jährliche Ereignisrate von 1,15 %, bei Kaukasiern schwankt sie in Registerstudien zwischen 0,04 % und 0,66 %. Ihre Ergebnisse verstehen die Kollegen somit eher als Grundlage für weitere Untersuchungen. Nichtsdes­totrotz sollte das Alter bei der Therapieentscheidung mehr bedacht werden, wenn VHF-Patienten nur ein Begleitleiden aufweisen. Denn: je älter der Betroffene, desto höher das Schlaganfallrisiko. 

* European Society of Cardiology

Quelle: Chao TF et al. Eur Heart J 2019; 40: 1504-1514; doi: doi.org/10.1093/eurheartj/ehy837

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