
Bei Angina cutis droht die Nekrose

Als „Sommerulzerationen“ bezeichnet, stammen die ersten Beschreibungen der Erkrankung aus den 1950er-Jahren. Heute weiß man, dass es sich um ein ganzjähriges Krankheitsbild handelt, schreiben Dr. Marie-Luise Schiffmann und Prof. Dr. Tobias Görge von der Hautklinik des Universitätsklinikums Münster. Betroffen sind vor allem Frauen, der Altersgipfel liegt zwischen 32 und 53 Jahren. Auch die historische Bezeichnung Livedovaskulitis ist falsch, da entzündliche Mechanismen keine pathogenetische Rolle spielen.
Gestörte Hämostase führt zur kutanen Ischämie
Tatsächlich beruht die zugrunde liegende Okklusion der Gefäße der oberen und mittleren Dermis auf einer Dysregulation der Hämostase mit einem Übergewicht prokoagulatorischer Faktoren. Dadurch kommt es zu einer Thrombusbildung und nachfolgend zur kutanen Ischämie. Der genaue molekulare Mechanismus ist unklar – z.T. findet man Veränderungen der Gerinnungsparameter, die aber nicht pathognomisch sind und auch fehlen können.
Die Erkrankung verläuft chronisch rezidivierend. Man unterscheidet dabei drei Stadien, die sich auch überlappen können.
Stadium 1 (Disposition):
Zuerst tritt eine Livedo-racemosa-Zeichnung mit lividen, unregelmäßig begrenzten netzförmigen Maculae auf (siehe Abb.). Ursache ist eine Minderperfusion, die noch über angrenzende Gefäße kompensiert wird.
Stadium 2 (Prodromalphase):
Im weiteren Verlauf kommt es zu einer manifesten Ischämie des Gewebes, mit einem zunächst punktuellen stechenden Schmerz. Dies wird auch als „Angina cutis“ bezeichnet.
Stadium 3 (Manifestation):
1–3 Tage später entstehen Nekrosen und Ulzerationen.
Zwischen Stadium 2 und 3 hat man noch die Chance, irreversible Gewebeschädigungen durch eine schnelle Therapieeinleitung zu verhindern. Daher wird empfohlen, dass Betroffene ein Schmerztagebuch führen, um die Schmerzzunahme schnell zu registrieren und sofort therapeutisch reagieren zu können. Bei Chronifizierung der Prozesse sieht man eine Atrophie blanche in den betroffenen Regionen mit blitz- und sternförmigen porzellanfarbenen Narben.
Diagnostische Kriterien
Hauptkriterien:
- Ulzerationen im Bereich von Knöchel, Fußrücken und Unterschenkel
- Angina cutis (lokalisierte stechende oder brennende Schmerzen)
- Atrophie blanche (kleinfleckige, weiße, atrophische Narbenherde)
- Livedo racemosa
- Histologie (intraluminale Fibrinthromben, subintimale hyaline Ablagerungen, keine primär entzündlichen Veränderungen, endotheliale Proliferation)
Nebenkriterien:
- prothrombotische Parameter (häufig Erhöhung von Lipoprotein(a) oder Antithrombin III, Hyperhomozysteinämie – seltener andere Parameter)
- Komorbiditäten (BMI > 25 kg/m2, Hypertonie)
- weibliches Geschlecht
- therapeutisches Ansprechen auf Antikoagulation
- beide Beine betroffen
Die Diagnose fußt auf Klinik und Histologie
Die Diagnose wird anhand des klinischen Bildes und der Histologie gestellt (siehe Kasten). Die histologische Sicherung sollte im Stadium der akuten Ischämie durchgeführt werden. Für die initiale Labordiagnostik werden Antiphospholipid-Antikörper, Protein C und S, Homozystein und Lipoprotein(a) empfohlen.
Differenzialdiagnostisch muss an zahlreiche Erkrankungen gedacht werden. Dazu gehören:
- Ulcus cruris venosum
- Ulcus cruris arteriosum und mixtum
- Ulcus hypertonicum Martorell
- medikamentös verursachte Ulzerationen (z.B. durch Hydroxyurea)
- Polyarteriitis nodosa
- Antiphospholipid-Syndrom
- Kalziphylaxie
- ANCA-positive Vaskulitiden
- Kryoglobulinämie
- Sneddon-Syndrom
Die Therapie sollte nach erfolgter Diagnosestellung so rasch wie möglich begonnen werden, um dem Auftreten von Nekrosen und Narben vorzubeugen.
Man startet in der Regel mit der volltherapeutischen Dosis eines niedermolekularen Heparins oder eines direkten oralen Antikoagulans, was meistens zu einem schnellen Abklingen der Schmerzen führt. Bei stabilem Befund oder abgeheilten Ulzerationen kann die Dosis halbiert werden und später auch ein Auslassversuch erfolgen. Sobald erneut Schmerzen auftreten, ist dann wieder eine volltherapeutische Dosis erforderlich.
Auch intravenöse Immunglobuline sind in der Erstlinie empfohlen. Sie sollen aufgrund der hohen Kosten aber vor allem in therapierefraktären Fällen zum Einsatz kommen. Vitamin-K-Antagonisten sind als Zweitlinientherapie in Ausnahmefällen möglich, etwa bei Vorliegen von Antiphospholipid-Antikörpern. Die ergänzende Gabe von Iloprost ist zudem eine Option bei Patienten mit therapierefraktärer Erkrankung.
Zusätzlich wird gegebenenfalls eine spezielle Wundtherapie, bei sehr starken Schmerzen auch eine Schmerzbehandlung nach dem WHO-Stufenschema benötigt. Eine Kompressionstherapie tolerieren die meisten Patienten im akuten Stadium nicht. Sie kann aber im beschwerdefreien Intervall genutzt werden, um dem Auftreten von Rezidiven vorzubeugen.
Quelle: Schiffmann ML, Görge T. „Livedovaskulopathie“, Akt Dermatol 2022; 48: 505-518; DOI: 10.1055/a-1886-2853 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York
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