Gesichtsschmerz ist nicht immer eine Trigeminusneuralgie

Dr. Dorothea Ranft

Eine Optikusneuritis (links im Bild) kann quälende Gesichtsschmerzen verursachen. Eine Optikusneuritis (links im Bild) kann quälende Gesichtsschmerzen verursachen. © Science Photo Library/Living Art Enterprises

Der bekannteste Gesichtsschmerz ist die Trigeminusneuralgie. Doch diese Diagnose wird zu häufig und oft irrtümlich gestellt, während andere Formen fazialer Neuralgien unerkannt und unbehandelt bleiben.

Die diagnostisch populäre Trigeminusneuralgie präsentiert sich als einseitiger Gesichtsschmerz mit heftigen, stromstoßartigen Attacken im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Äste des Gesichtsnervs, ohne Ausstrahlung darüber hinaus. Die Episoden dauern zwischen dem Bruchteil einer Sekunde und zwei Minuten, schreibt Professor Dr. Dr. ­Stefan ­Evers vom Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge. Ausgelöst werden sie durch Trigger wie Berührung, Kauen oder Schlucken (s. Kasten). Zusätzlich können sich Dauerschmerzen mittlerer Intensität im betroffenen Dermatom entwickeln. Neurologische Ausfälle passen nicht ins Bild.

Kriterien der Trigeminusneuralgie

Rezidivierender, einseitiger paroxysmaler Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminus-Äste. Zusätzlich müssen die folgenden Kriterien erfüllt sein:
  • Dauer: Sekundenbruchteil bis zwei Minuten
  • starker Schmerz
  • stromstoßartiger, einschießender, stechender oder scharfer Charakter
  • vorangegangene harmlose Reize im Dermatom des N. trigeminus
  • Schmerz nicht durch andere Diagnose besser erklärbar

Die Trigeminusneuralgie ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Sie beginnt meist mit einzelnen Episoden und chronifiziert im Verlauf. Am häufigsten betroffen ist der zweite Trigeminusast. Vor allem beim Befall des ersten Astes – was formal als Kopfschmerz klassifiziert werden müsste – ist eine sekundäre Form auszuschließen, etwa infolge einer Multiplen Sklerose, eines Tumors oder Schlaganfalls. Deshalb gehört zur Erstdiagnostik auch bei eindeutigen klinischen Symptomen zwingend eine MRT. Therapeutisch bieten Oxcarbazepin und Eslicarbazepin die besser verträgliche Alternative zu dem in den Leitlinien noch als Medikament der ersten Wahl genannten Carbamazepin. Ansonsten kommen Baclofen, Pregabalin, Gabapentin, Amitriptylin und Lamotrigin in Betracht.

Okzipitalisneuralgie ebenfalls zu oft diagnostiziert

Von der Trigeminusneuralgie abzugrenzen ist eine Neuropathie, die zwingend den Nachweis einer Nervenschädigung voraussetzt. Zudem manifestieren sich auch Neuralgien anderer Nerven im Gesicht, etwa des N. glossopharyngeus. Nach Ansicht des Autors zu oft diagnostiziert wird die seltene Okzipitalisneuralgie, die zu einschießenden Schmerzen im Versorgungsgebiet des N. occipitalis major führt. Eine weitere Ursache quälender Gesichtsschmerzen sind Läsionen in Nerven, die das Auge versorgen, die aber normalerweise keine Schmerzen vermitteln. Die Optikusneuritis macht sich bei Bulbusbewegungen unangenehm bemerkbar und spricht auf eine Kortisonstoßtherapie an. Seltener kommt es zu ischämischen Veränderungen in N. oculomotorius, N. trochlearis oder N. abducens, bei denen zusätzlich zum Schmerz mindestens ein Augenmuskel gelähmt sein muss. Zu diesem Typ gehört auch die diabetische Ophthalmoplegie. Das Tolosa-Hunt-Syndrom entsteht durch eine unilaterale Entzündung eines der drei Augenmuskelnerven. Am häufigsten betroffen ist der N. oculomotorius. Erstes Zeichen sind orbitale Schmerzen. Später kommt es zu einer Augenmuskelparese, die sich mit Steroiden erfolgreich behandeln lässt. Auf einer einseitigen Entzündung des N. oculomotorius beruht die rezidivierende schmerzhafte ophthalmoplegische Neuropathie. Betroffen sind meist jüngere Patienten bis zum 30. Lebensjahr. Die Episoden mit Schmerz und Okulomotoriusparese dauern bis zu zwei Wochen an. Die Erkrankung spricht oft auf Steroide an, kann aber jahrelang rezidivieren. Zu selten diagnostiziert wird der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz, der sich auch im Mundbereich manifestieren kann, aber nicht mit neurologischen Defiziten einhergeht. Er quält seine Opfer über mehr als drei Monate hinweg und mindestens zwei Stunden täglich mit dumpfen oder bohrenden Schmerzen. Sie verstärken sich durch Stress, wobei es zu schweren Exazerbationen kommen kann. Betroffen sind überwiegend Frauen. Häufig bestehen psychiatrische Begleit­erkrankungen. Auslöser sind oft kleine operative Eingriffe oder Verletzungen, etwa im Gesicht, an Oberkiefer oder Zähnen, nach deren Abheilung der Schmerz fortbesteht. Die Behandlung ist schwierig. Meist ist eine multimodale Therapie erforderlich, bei der unter anderem trizyklische Antidepressiva und/oder Antikonvulsiva eingesetzt werden.

Vitamin- und Eisenmangel als weitere potenzielle Ursachen

Ein Subtyp des anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes ist die atypische Odontalgie. Sie ist gekennzeichnet durch persistierende Schmerzen, die ohne dentalmedizinischen Grund an den Zähnen oder einer Zahnhöhle nach Extraktion auftreten. Eine weitere, schwer zu fassende Erkrankung ist das Syndrom des brennenden Mundes. Dabei kommt es ohne ersichtliche Läsion zu Missempfindungen oder Sensibilitätsstörungen. Zeitdauer und Therapie der primären Form entsprechen dem idiopathischen Gesichtsschmerz. Symptomatische Formen infolge Vitamin- oder Eisenmangels können kausal behandelt werden.

Quelle: Evers S. Schmerzmedizin 2020; 36: 32-37; DOI: 10.1007/s00940-020-1708-y

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Eine Optikusneuritis (links im Bild) kann quälende Gesichtsschmerzen verursachen. Eine Optikusneuritis (links im Bild) kann quälende Gesichtsschmerzen verursachen. © Science Photo Library/Living Art Enterprises