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Im zweiten Anlauf zur Neoadjuvanz?
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Auch für die rund 15 % der lokalen Prostatakarzinome, die bei der Diagnose als Hochrisikofälle eingestuft werden, ist die Therapieintention kurativ, betonte Prof. Dr. Mary-Ellen Taplin vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Sie stellte daher die Frage in den Raum: „Wie kann es sein, dass 2022 kein validierter kombinierter Ansatz für die systemische und chirurgische Therapie beim aggressiven Prostatakarzinom existiert, wo ein solcher doch beim Brustkrebs seit den 1980er-Jahren ein Standardvorgehen ist?“
Ein Grund dafür sei, dass die Neoadjuvanz-Studien der 1990er-Jahre hauptsächlich Patienten einschlossen, die man heute als low risk bezeichnen würde, erklärte die Referentin. Diese hätten ohnehin eine sehr gute Prognose. Dass sich durch die damals untersuchten LHRH-Agonisten mit oder ohne Erstgenerationsantiandrogene kein Überlebensvorteil ergab, sei daher wenig überraschend. Außerdem wurden pathologische Remissionen nicht systematisch erfasst und die Nachbeobachtungszeiten waren nicht lang genug, erklärte Prof. Taplin. Danach wurde der Ansatz in Studien lange Zeit nicht mehr weiterverfolgt.
In den vergangenen zehn Jahren gab es jedoch wieder Arbeiten zur Neoadjuvanz: Im Unterschied zu früher rekrutierten die Studienärzte dafür mehrheitlich Hochrisiko-Patienten. Die jetzigen Studien beinhalten einen zentralen Pathologiereview und längeres Follow-up. Zudem kommen wirksamere Androgendeprivationstherapien (ADT) zum Einsatz.
OS als ungeeigneter Endpunkt in der Neoadjuvanz
Für entsprechende Untersuchungen hält die Referentin kürzere bis mittelfristige Messgrößen für sinnvoll. „Das Gesamtüberleben ist in neoadjuvanten Prostatakrebsstudien kein erreichbarer Endpunkt“, betonte sie. Für Phase-2-Studien eignen sich ihrer Ansicht nach z.B. die Rate an pathologischen Komplettremissionen (pCR), die minimale Resterkrankung (MRD) oder mittelfristige Messgrößen wie das PSA-Ansprechen. „Damit lässt sich die Wirksamkeit evaluieren, jedoch nicht der klinische Langzeitnutzen“, räumte sie ein. „Um den klinischen Nutzen zu ermitteln, sind ausreichend gepowerte Phase-3-Studien nötig.“ Ein geeigneter Phase-3-Endpunkt anstelle des OS sei das metastasenfreie Überleben (MFS).
Die Analyse mehrerer prospektiver Phase-2-Studien habe ergeben, dass unter 117 Patienten ein sehr gutes pathologisches Ansprechen mit 95%iger Freiheit von einem PSA-Rezidiv einherging, begründete sie ihre Position. Und das gehe einer Metastasierung schließlich voraus. Auf Basis dieser Daten sei Optimismus gerechtfertigt, dass das Ansprechen mit späteren klinischen Endpunkten korreliere, so Prof. Taplin. Auch beim frühen Mammakarzinom sei die pCR ein validierter Marker für den klinischen Benefit und bereits für Medikamentenzulassungen herangezogen worden.
Aktuelle Ansätze: Apalutamid und zielgerichtete Substanzen
Derzeit rekrutiert die internationale Neoadjuvanz-Studie PROTEUS. Primäre Endpunkte der Phase-3-Studie sind sowohl das MFS als auch die pCR. Die Patienten erhalten vor der radikalen Prostatektomie sechs Monate lang eine neoadjuvante ADT in Kombination mit Apalutamid oder Placebo. Nach der OP wird jeweils dasselbe Regime noch einmal sechs Monate adjuvant gegeben. Zusätzlich kann bei Bedarf eine salvage Radiotherapie durchgeführt werden. Die Teilnehmer werden über 4,5 Jahre nachbeobachtet. „Die Rekrutierung von 2.000 Patienten mit sehr hohem Risiko ist voraussichtlich im März 2022 beendet“, so Prof. Taplin. Erste Ergebnisse der PROTEUS-Studie seien frühestens 2026 zu erwarten.
Außerdem läuft die Multi-Arm-Multi-Stage-Studie GUNS (Genomic Umbrella Neoadjuvant Study). Beruhend auf einer genomischen Charakterisierung untersuchen die Studienautoren darin zielgerichtete Kombinationen:
- ohne behandelbare Mutation: ADT + Apalutamid +/- Abirateron
- bei Verlust von PTEN / RB / p53: ADT + Abirateron +/- Docetaxel
- bei DNA-Reparaturalterationen: ADT + Abirateron + PARP-Inhibitor (Niraparib)
- bei immunogener Mismatchreparaturdefizienz / CDK12: ADT + Apalutamid + PD-L1-Inhibitor (Atezolizumab)
„So soll den heterogenen Treibern des Tumorwachstums Rechnung getragen werden“, kommentierte die Referentin.
In der einarmigen, neoadjuvanten Phase-2-Studie NEPTUNE untersuchen Kollegen zudem Olaparib + ADT bei 32 Patienten mit BRCA-Mutation. „Eine kleine Studie, aber mit äußerst wichtigem Konzept und starker Rationale, die Heilungsrate dieser Patienten zu verbessern“, so Prof. Taplin. In einer weiteren Phase-1/2-Studie werde der Einsatz von Darolutamid mit oder ohne den CDK-4/6-Inhibitor Abemaciclib in der Neoadjuvanz getestet.
Neues zur primären Strahlentherapie
Die Autoren der Studie RTOG 0815 verglichen eine alleinige Radiotherapie (RT) mit RT plus sechsmonatiger ADT. Zwar ergab sich durch die Kombination keine Verbesserung des Gesamtüberlebens nach fünf Jahren, aber es kam zu signifikant weniger PSA-Rezidiven (HR 0,52), Fernmetastasen (HR 0,25) und prostatakarzinomassoziierten Todesfällen (HR 0,10). Damit bleibe dieses Vorgehen Standard, so die Referentin.
Außerdem wurde im Rahmen der STAMPEDE-Studie belegt, dass Patienten mit nicht-metastasiertem Hochrisiko-Prostatakarzinom von einer Hinzunahme von Abirateron über zwei Jahre zur ADT + RT profitierten: Sowohl das MFS (HR 0,53) als auch das OS (HR 0,60) verlängerten sich signifikant. Damit sei ADT + Abirateron (+ Prednison/Prednisolon) + RT ein neuer Therapiestandard. Zusätzliches Enzalutamid verbessere die Wirksamkeit nicht nennenswert, erhöhe aber die Toxizität.
Methoden zur feineren Risikostratifizierung
In den USA laufen des Weiteren Studien, in denen die Kollegen Apalutamid und Darolutamid in der Adjuvanz mit salvage RT, teilweise basierend auf einer genomischen Risikoeinteilung, untersuchen. Aus Prof. Taplins Übersicht über aktuelle Konzepte ging hervor, dass neben genomischen Tests wie Decipher zur Vorhersage des Metastasierungsrisikos auch die PSMA-PET/CT und verschiedene Biomarker zur Beurteilung des individuellen Risikos und zur Therapiesteuerung Beachtung finden. Das spiegelte sich auch in der Diskussion der Session wider: „Wir müssen uns von den NCCN-Risikogruppen weg bewegen“, kommentierte Prof. Dr. Daniel Spratt, University Hospitals, Cleveland Medical Center.
Quelle:
Taplin ME et al. 2022 ASCO Genitourinary Cancers Symposium; Vortrag „Combined Modality Therapy in Localized Disease: Changing Horizons”
2022 ASCO Genitourinary Cancers Symposium
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