Albtraum Prostatakrebs-Früherkennung

Mascha Pömmerl

In Deutschland beträgt die altersstandardisierte Prostatakrebs­inzidenz 91,6/100 000 Einwohner. In Deutschland beträgt die altersstandardisierte Prostatakrebs­inzidenz 91,6/100 000 Einwohner. © SciePro – stock.adobe.com

Was tun, damit die Früherkennung eines Prostatakarzinoms nicht in einem Desaster endet? Drei Gedankenexperimente demonstrierten, wo besondere Problematiken in der Diagnose und Behandlung früher Tumoren liegen.

Die Früherkennung des Prostatakarzinoms ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen – schließlich geht es darum, Überdiagnosen und -therapien zu vermeiden, klinisch signifikante Tumoren aber rechtzeitig zu entdecken. Um die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, diskutierten Ärzte und ein Anwalt drei hypothetische Kasuistiken.

Dr. Roderick Van Den Bergh vom St. Antonius Ziekenhuis in Nieuwegein präsentierte den Fall eines 68-Jährigen, der sich aufgrund eines PSA-Werts von 4,4 ng/ml einer upfront MRT-gesteuerten transrektalen Biopsie unterzog. Diese offenbarte zwei von drei positiven Läsionen mit PI-RADS*-Score 4 und ISUP** Gleason Grade Group (GG) 2 im rechten Prostatalappen.

Der Patient entschied sich für eine aktive Überwachung. Die nach 14 Monaten wiederholte MRT zeigte eine stabile 12 mm große Läsion, die Beobachtung wurde fortgesetzt und dabei regelmäßig der PSA bestimmt. Der Wert blieb zunächst stabil, stieg aber dann auf 6,1 ng/ml. Die Ärzte wiederholten deshalb das MRT drei Jahre nach der Diagnose.

Die Bildgebung ergab eine auf 14 mm gewachsene Läsion mit Kapselkontakt und der Einstufung PI-RADS 5. Retrospektiv gesehen wäre der Kapselkontakt schon früher erkennbar gewesen. Die erneut ausschließlich gezielte Biopsie führte zu einem Upgrading auf einen ISUP Gleason GG 3 in 4/4 Stanzen. Die Diagnose nach Prostatektomie und erweiterter pelviner Lymphadenektomie lautete: pT3 R1 ISUP GG 3 pN1 (1/15). Ein PSMA-PET offenbarte eine Wirbelsäulenmetastase.

Die im ersten Fall durchgeführte aktive Überwachung sollte bei ISUP GG2 nur sehr ausgewählten Patienten angeboten werden, erklärte Professor Dr. Steven ­Joniau, Universitätskrankenhaus Leuven. In seinem Kreuzverhör merkte der auf medizinische Rechtsstreitigkeiten spezialisierte Anwalt Bertie Leigh, London, zunächst an, dass ein auf die Urologie spezialisierter Pathologe die Untersuchungsergebnisse hätte beurteilen sollen. Der Mann wurde zu wenig untersucht, so der Experte. Er sprach von einem groben Versagen, nicht nach 12 Monaten eine erneute Gewebeprobe entnommen zu haben. 

Stockholm3-Test zur Risikostratifizierung

Dr. Tobias Nordström vom Karolinska Institut in Stockholm präsentierte eine Methode, mit dem sich die Risikostratifizierung vor einer MRT weiter verbessern lässt.1 Es handelt sich dabei um den Stockholm3-Test, der Protein- und genetische Marker sowie klinische Daten umfasst und in der STHLM3 MRI-Studie geprüft wurde. Das Ergebnis: Die Kombination aus Stockholm3-Test und MRT-gerichteter Biopsie verringert Überdiagnosen, während die Rate an detektierten signifikanten Prostatakarzinomen gleich bleibt.

Quelle: Nordström T et al. 36. Annual EAU Congress virtual; Abstract P1014

Antibiotika und Desinfektion zur Infektionsprophylaxe

Prof. Joniau rief dazu auf, sich nicht nur auf die MRT zu verlassen und wiederholte Biopsien einzuplanen. Optimalerweise sollte man die MRT-zielgerichtete Gewebeentnahme durch eine systematische ergänzen, wenn eine bestätigende Biopsie durchgeführt wird. Professor Dr. Isabel Heidegger,­ Universitätsklinikum Innsbruck berichtete über eine Urosepsis nach transrektaler Biopsie mit Folge einer chronischen Nierenerkrankung im Stadium 3. Professor Dr. ­Christian Stief, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München betonte, dass es wichtig sei, den Patienten aufzuklären und Vor- und Nachteile der Methoden zu diskutieren. Das Risiko von Infektionen sei während einer transrektalen Biopsie sehr hoch, betonte Bertie Leigh in seinem Kreuzverhör. In einer Metaanalyse fanden sich signifikant weniger infektiöse Komplikationen bei einer transperinealen Gewebeentnahme gegenüber einem transrektalen Verfahren1 und die aktuellen EAU-Leitlinien empfehlen die trans­perineale Vorgehensweise, betonte Privatdozent Dr. Adrian Pilatz vom Universitätsklinikum Gießen. Als antibiotische Prophylaxe hatte der Mann ein Fluorchinolon erhalten, die Substanzgruppe ist aber aufgrund der Toxizitäten zur Prophylaxe im Zuge einer Prostatabiopsie nicht mehr zulässig, so der Diskutant. Stattdessen sollten gezielte Antibio­tika basierend auf einem rektalen Abstrich oder eine Kombination in Betracht gezogen werden. Außerdem sollte eine Povidon-Iod-Desinfektion der Rektalschleimhaut erfolgen. Das letzte Beispiel, vorgestellt von Dr. Armando Stabile, IRCCS Ospedale San Raffaele, Mailand, umfasste die Kasuistik eines 64-Jährigen, der sich aufgrund eines erhöhten PSA-Werts einer TRUS***-Bio­psie unterzog. Die Pathologie ergab ein low-risk ISUP GG1-Karzinom und der Patient wurde daraufhin ein Jahr lang aktiv überwacht.

Niedriggradige Karzinome – Vorsicht vor Übertherapie

Auf sein Drängen hin führten die Ärzte eine radikale Prostatektomie durch. Drei Tage nach der OP kam es zu einer tiefen Beinvenenthrombose und einer Lungenembolie. Ein Jahr danach persistierten eine residuelle Stressinkontinenz und eine schwere erektile Dysfunktion (IIEF-Score 5). Außerdem litt der Patient unter den Folgen einer pulmonalen Insuffizienz. Aufgrund der Familienanamnese sei der Mann verunsichert und vulnerabel gewesen, sodass eine Detailberatung und ggf. ein Gespräch mit einem Psychiater notwendig gewesen wären. Auch hätte eine Besprechung in einem multidisziplinären Team stattfinden müssen. Man hätte dem Betroffenen die OP verweigern müssen, um in seinem besten Interesse zu handeln, so das Fazit der Diskussion.

* Prostate Imaging Reporting and Data System
** International Society of Urological Pathology
*** Transrektaler Ultraschall

1. Pradere B et al. J Urol 2021; 205: 653-663; DOI: 10.1097/JU.0000000000001399

Quelle: Van den Berg R, Joniau S, Leigh B, Heidegger I, Stief C, Pilatz A, Stabile A. 36th Annual EAU Congress virtual; Plenary Session 01

36th Annual EAU Congress virtual

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


In Deutschland beträgt die altersstandardisierte Prostatakrebs­inzidenz 91,6/100 000 Einwohner. In Deutschland beträgt die altersstandardisierte Prostatakrebs­inzidenz 91,6/100 000 Einwohner. © SciePro – stock.adobe.com