Keine Chance für Infektionen

Dr. Miriam Sonnet

Impfungen sind eine wichtige Infektionsprophylaxe für Patient:innen mit Multiplem Myelom. Impfungen sind eine wichtige Infektionsprophylaxe für Patient:innen mit Multiplem Myelom. © guerrieroale – stock.adobe.com

Da für Erkrankte mit Multiplem Myelom eine erhöhte Gefahr besteht, sich mit pathogenen Keimen zu infizieren, sind prophylaktische Maßnahmen unentbehrlich. Da es keine allgemein anerkannten Leitlinien für das Vorgehen gibt, veröffentlichten 36 Expert:innen ihre Empfehlungen in einem Konsens. 

Infektionen sind Hauptgrund für Morbidität und Mortalität unter Betroffenen mit Multiplem Mye­lom. 36 Forschende der International Myeloma Working Group veröffentlichten kürzlich ein Konsensus-Statement, in dem sie die verfügbare Evidenz bezüglich des Risikos und der Komplikationsprophylaxe zusammentrugen und individualisierte Strategien für Patient:innen im Alltag beschreiben. 

Die höchste Infektionsgefahr be­stehe während der ersten drei Monate nach der Diagnose sowie während der Behandlung einer rezidivierten/refraktären Erkrankung, konstatieren die Autor:innen um Prof. Dr. Noopur­ S. Raje, Massachusetts General Hospital Cancer Center, Boston. Diese resultiert u.a. aus der Immunparese, sie kann aber auch aus einer Neutropenie entstehen oder durch Myelomtherapien bedingt sein. Mit geeigneten Maßnahmen ließen sich einige Infektionen jedoch verhindern.

Bewertung der Empfehlungen

  • Kategorie 1: basierte auf einer hohen Evidenz, d.h. meist Daten von randomisiert-kontrollierten Phase-3-Studien und einem allgemeinen Konsens, dass das Vorgehen angemessen ist
  • Kategorie 2A: basierte auf einer niedrigen Evidenz und einem allgemeinen Konsens, dass das Vorgehen angemessen ist 
  • Kategorie 2B: basierte ebenfalls auf einer niedrigen Evidenz und einem Konsens, dass das Vorgehen angemessen ist, dem allerdings nicht alle Expert:innen zustimmen mussten

Antibakterielle Strategie

Während des Zeitraums, in dem eine erhöhte Infektionsgefahr für Patient:innen besteht, kann eine antibakterielle Strategie mit Levofloxacin in Betracht gezogen werden (NCCN 2A). Eine Aciclovir-Prophylaxe wird bei Personen eingesetzt, die seropositiv für Herpes-simplex- und Varicella-Zoster-Viren sind. Die Expert:innen empfehlen ein entsprechendes Vorgehen auch für Betroffene, die Proteasom-Inhibitoren oder zielgerichtete monoklonale Antikörper erhalten (NCCN 1). 

Trimethoprim-Sulfamethoxazol sollte Erkrankten mit Risiko für eine durch Pneumocystis jiroveccii bedingte Pneumonie vorbehalten werden – z.B. Patient:innen mit rezidiviertem/refraktärem Myelom oder solchen, die hohe Dosierungen von Dexamethason bekommen. Alternativen wie Dapson können für Personen mit Schwefel-Allergie erwogen werden.

Vakzinierung

  • Betroffene sollten jährlich eine Impfung mit einer inaktivierten Influenza-Vakzine bekommen, ebenso eine Immunisierung mit einer S.-pneumoniae-Impfung, gefolgt von PPSV23 alle fünf Jahre (NCCN* 2A). Der Schutz funktioniere am besten, wenn in frühen Krankheitsstadien, vor dem Beginn einer Behandlung oder beim Erreichen eines Ansprechens geimpft wird.
  • Die Monotherapie mit Lenalidomid verbessert das Ansprechen auf die Vakzinierung, sofern die Patient:innen nicht gleichzeitig Dexamethason erhalten.
  • 6–24 Monate nach einer autologen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT) sollten Erkrankte eine erneute Immunisierung erhalten. Die Expert:innen raten besonders zu einer Impfung mit einer rekombinanten Zoster-Vakzine nach der autologen HSCT (NCCN 1).
  • Die rekombinante Zoster-Vakzinierung sollte auf alle Betroffenen mit Multiplem Myelom ausgeweitet werden. Eine kontinuierliche Prophylaxe mit der Varicella-Zoster-Impfung empfehlen die Kolleg:innen, solange diese indiziert ist – und das unabhängig vom Impfstatus (NCCN 2B).
  • Patient:innen sollten eine passive Immunisierung erhalten, wenn sie mit Hepatitis A, Varicella oder Masern in Kontakt gekommen sind (NCCN 2B).
  • Die Forschenden raten zu regelmäßigen Routineimmunisierungen für nahe Kontaktpersonen von Betroffenen. Myelom-Erkrankte sollten den engen Kontakt mit Menschen, die Lebendimpfstoffe bekommen haben, möglichst vermeiden (NCCN 2A).
  • Mitarbeiter in Gesundheitsberufen, die Myelom-Patient:innen betreuen, sollten alle empfohlenen Impfungen erhalten, besonders diejenige gegen die saisonale Grippe (NCCN 2A).
  • Intravenöse Immunglobuline bleiben spezifischen Situationen vorbehalten, darunter lebensbedrohlichen Infektionen und IgG-Konzentrationen unter 400 mg/dl bei wiederkehrenden Infektionen (NCCN 2A).
  • Patient:innen, die in endemische Gebiete reisen, sollten entsprechende Reiseimpfungen und eine antimikrobielle Prophylaxe erhalten und sich bei einer Reiseklinik vorstellen. 

Timing von Impfungen

  • Die Impfung bei Patient:innen mit MGUS** kann effektiver sein, wenn Betroffene niedrigere Konzentrationen des M-Proteins aufweisen. Eine Impfung bei Personen mit schwelendem Myelom ist evtl. nicht anhaltend, es sei denn, sie wird wiederholt.
  • Erkrankte sollten so früh wie möglich, vorzugsweise 14 Tage vor Therapiestart, geimpft werden.
  • Im Fall einer nicht-influenzabedingten Atemwegsinfektion während der Grippesaison raten die Expert:innen dazu, die Immunisierung temporär zu vermeiden.
  • Gleiches gilt für Personen, die eine Chemotherapie erhalten: Hier sollte keine Vakzinierung erfolgen, bis die Krankheit kontrolliert ist.
  • Eine Immunisierung vor einer autologen HSCT und während einer aktiven, rezidivierten/refraktären Erkrankung gilt es, zu vermeiden.

Vorgehen abhängig von Risikofaktoren

Risiko

Empfehlung

niedrig

Es ist kein antibakterielles oder antimykotisches Vorgehen erforderlich. Antivirale Maßnahmen erachten die Forschenden als nur dann notwendig, wenn vorangegangene Herpes-simplex-Episoden aufgetreten waren. In diesem Fall setzen sie auf Aciclovir.

intermediär

  • antimikrobielle Prophylaxe: einmal täglich 500 mg Levofloxacin in Betracht ziehen

  • antimykotische Prophylaxe: Im Zuge einer schweren Mucositis und verlängerten Neutropenie die Gabe von Fluconazol oder Micafungin erwägen

  • antivirale Prophylaxe: Betroffenen, die seropositiv für Herpes simplex oder Herpes zoster sind, Aciclovir oder Valaciclovir geben

hoch

  • antimikrobielle Prophylaxe: einmal täglich 500 mg Levofloxacin in Betracht ziehen

  • antimykotische Prophylaxe: Im Zuge einer schweren Mucositis und verlängerten Neutropenie die Gabe von Fluconazol oder Micafungin erwägen; bei Patient:innen mit einer absoluten Neutrophilenzahl von ≤ 100 Zellen/µl die Gabe von Voriconazol oder Posaconazol für mindestens sieben Tage in Betracht ziehen; Maßnahmen gegen eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol oder anderen Substanzen erwägen

  • antivirale Prophylaxe: Betroffenen, die seropositiv für Herpes simplex oder Herpes zoster sind, Aciclovir oder Valaciclovir geben; bei Erkrankten mit intermediärem bis hohem Risiko einer HBV-Reaktivierung eine Prophylaxe, bei Personen mit niedrigem Risiko eine frühe präemptive Behandlung erwägen; Tenofovir oder Entecavir einer Lamivudin-Gabe für die Behandlung und präemptive Therapie vorziehen; Tenofovir bei Patient:innen, die zuvor Lamivudin bekommen haben, einsetzen; die antiviralen Maßnahmen für mehrere Monate aufrechterhalten und die HBV-Last überwachen; wenn sich diese normalisiert, die Beendigung der antiviralen Behandlung in Betracht ziehen und die immunsuppressive Therapie stoppen

Empfehlungen entsprechend des Krankheits-Status

Neu diagnostizierte Erkrankung
Bei der Diagnose ist S. pneumo­niae ein weit verbreitetes Pathogen. Die Autor:innen raten daher zu einer möglichst frühen Impfung gegen Pneumokokken sowie zu einer Prophylaxe mit Breitspektrum-Antibiotika. Während der ersten drei Monate der Induktion kann eine antimikrobielle Strategie mit Levofloxacin sinnvoll sein, besonders bei Patient:innen mit hohem Risiko für eine frühe Infektion. Es sei aber nicht bekannt, ob diese Erkrankten unter Triple- und Vierfachtherapien einen Vorteil bringt (NCCN 2A). Das Nutzen-Risiko-Profil für die Gabe von Fluoroquinolonen sollte abgewogen werden, da die Gefahr einer Tendopathie inkl. Ruptur besteht.

Auch während einer autologen HSCT besteht ein hohes Infektionsrisiko, weshalb die Forschenden zu einer antimikrobiellen Prophylaxe raten – gegen Pneumocystis für drei Monate und gegen Herpes simplex bzw. Varicella zoster für ein Jahr (NCCN 2A). Sie lenken aber ein, dass dies bisher keinen Einfluss auf die Mortalität habe und dass stets die Gefahr für die Entwicklung von resis­tenten Keimen besteht.
Während der Erhaltung seien schwere Infektionen meist auf eine Neutropenie zurückzuführen; dafür bestehe aber ein geringes Risiko mit einer Sterblichkeitsrate von unter 1 %.

Rezidiviertes Myelom
Im Fall eines Rezidivs kann ein risikoadaptiertes antineoplastisches und antimikrobielles Vorgehen die infektionsbezogene Mortalität und Mortalität verringern. Für Erkrankte mit rezidiviertem Myelom bestehe ein hohes Risiko für lebensbedrohliche Infektionen. Auch kann sich eine Pilzpneumonie entwickeln.

* National Comprehensive Cancer Network
** Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz

Quelle: Raje NS et al. Lancet Haematol 2022; 9: e143-e161; DOI: 10.1016/S2352-3026(21)00283-0

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