Varizellen
Varicella-Zoster-Virus (VZV) kann zwei verschiedene klinische Krankheitsbilder verursachen: Bei exogener Erstinfektion manifestiert sich die Erkrankung als Varizellen (Windpocken) und bei endogener Reaktivierung als Herpes zoster (Gürtelrose).
Das Virus aus der Familie der Herpesviridae ist neben dem Herpes-simplex-Virus 1 und 2 das dritte humanpathogene Alpha-Herpesvirus.
Außerhalb des Körpers kann es in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen, insbesondere im feuchten Milieu, für einige Tage seine Infektiosität bewahren. Mit einem Kontagionsindex von 90 % sind Windpocken extrem ansteckend – mehr als 95 % aller Erwachsenen weisen Antikörper gegen das Virus auf.
Übertragen wird das Virus über Tröpfchen-Infektion („fliegende Infektion“), z.T. über einen Abstand von mehreren Metern. Infektiös sind Erkrankte einen Tag vor Auftreten der Bläschen und bis zum Abfall des letzten Schorfs. Auch Patienten mit Herpes zoster können Patienten ohne Immunschutz (keine durchgemachte Erkrankung oder Impfung) mit Windpocken anstecken, die Kontagiosität der Zosterbläschen ist aber geringer ausgeprägt.
Die Ansteckungsfähigkeit der Varizellen beginnt 1 bis 2 Tage vor Auftreten des Exanthems und endet mit dem vollständigen Verkrusten aller bläschenförmigen Effloreszenzen (in der Regel 5 bis 7 Tage nach Exanthembeginn).
Bei Immunkompetenten verlaufen Windpocken meist unkompliziert und heilen narbenlos ab. Schwere Verläufe können unter fogenden Bedingungen auftreten:
- bei angeborenem oder erworbendem T-Zell-Defekt
- unter Immunsuppression
- bei Schwangeren
- bei Neurodermitis
- konnatales Varizellensyndrom (1–2 % der Schwangeren mit Windpocken in der 5.–24. Schwangerschaftswoche)
- kurz vor der Geburt erworbene Windpocken
Die Inkubationszeit liegt meist bei 14 bis 16 Tagen – kann aber auch 8 bis 21 Tage betragen.
- uncharakteristische Prodromi mit allgemeinem Unwohlsein, evtl. Kopf- und Gliederschmerzen (1–2 Tage)
- Auftreten von Fieber (selten > 39 °C) und einem generalisierten vesikulären Exanthem (für 3–5 Tage)
- nebeneinander von Papeln, Bläschen und Schorf in verschiedenen Entwicklungsstadien („Sternenhimmel“)
- zuerst Stamm und Gesicht – später auch andere Körperteile, Schleimhäute, behaarter Kopf
- kleinere Kinder bilden meist weniger Bläschen aus als ältere Personen.
Komplikationen:
Bakterielle Superinfektion durch Kratzen → Narbenbildung möglich
Varizellenpneumonie
- vor allem bei Erwachsenen (bis zu 20 %) und Schwangeren
- Beginn gewöhnlich 3–5 Tage nach Krankheitsausbruch
- Letalität bis 40 % bei Schwangeren
ZNS-Manifestationen
- 0,1 % der Erkrankungen
- meningeale Reizung (günstige Prognose)
- akute zerebelläre Ataxie (1:4000, gute Prognose)
- sehr selten aseptische Meningitis, Enzephalitis (schlechte Prognose), Myelitis transversa, Guillain-Barré-Syndrom oder Reye-Syndrom
Schwerer Verlauf mit Beteiligung innerer Organe
- vor allem bei Immunsuppression/Abwehrschwäche
- u.a. Myokarditis, korneale Läsionen, Nephritis, Arthritis, Blutungsneigung, akute Glomerulonephritis und Hepatitis
Fetales Varizellensyndrom
- beim Auftreten von Windpocken im 1. und 2. Trimenon der Schwangerschaft
- Vollbild: segmental angeordnete Hautveränderungen (Skarifikationen, Ulcera, Narben), neurologische Erkrankungen und Fehlbildungen (Hirnatrophie, Paresen, Krampfleiden), Augenschäden (Mikrophthalmie, Chorioretinitis, Katarakt) und Skelettanomalien
Neonatale Windpocken
- Infektion der empfänglichen Mutter innerhalb von 5 Tagen vor der Geburt oder bis zu 48 Stunden danach
- Neugeborenes hat diaplazentar keinen schützenden Antikörper erhalten (bei noch unreifem Immunsystem)
- schwere Verläufe mit Letalität bis zu 30 % – größte Gefährdung zwischen dem 5. und 10. Lebenstag
Typisch ist das generalisierte Exanthem mit Nebeneinander von Papeln, Bläschen und Schorf in verschiedenen Entwicklungsstadien („Sternenhimmel“).
Die Bläschen treten zuerst an Stamm und Gesicht auf – später auch an anderen Körperteilen, Schleimhäuten, behaarter Kopf.
Aufgrund des typischen klinischen Bildes ist eine spezifische Diagnostik nur in Einzelfällen erforderlich, z.B. bei:
- atypischem Verlauf bei Immundefizienz
- ZNS-Erkrankungen
- Pneumonie
- bei Schwangeren und Neugeborenen
- zur Unterscheidung von Impf- und Wildvirus bei geimpften Patienten
Bestätigung:
- direkter Virusnachweis mittels PCR aus Bläscheninhalt (ggf. auch aus Liquor, bronchoalveolärer Lavage und EDTA-Blut)
- spezifische IgM-Antikörper oder IgG-Anstieg (≥ 4-facher Titeranstieg) in 2 Proben
- Hand-Fuß-Mund-Krankheit (durch Infektion mit Coxsackie-Virus Typ A16)
- Infektionen durch Orthopoxviren (z.B. „Katzenpocken“)
Bei unkompliziertem Varizellen-Verlauf ist die Therapie rein symptomatisch:
- bei starkem Juckreiz evtl. juckreizmindernde Medikamenten (z.B. Antihistaminika)
- lokal Zinkschüttelmixtur, tägliches Baden, Hautpflege
- Fingernägel schneiden, um Kratzen zu verhindern
Bei immundefizienten Erkrankten ist auch eine spezifische antivirale Behandlung, z.B. mit Aciclovir möglich, um zum Beispiel die Erkrankungsdauer zu verkürzen.
Meldepflicht:
Dem Gesundheitsamt muss der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Windpocken sowie der direkte oder indirekte Nachweis von Varizella-zoster-Virus, soweit er auf eine akute Infektion hinweist, namentlich gemeldet werden.
Den besten Schutz bietet die Varizellen-Impfung, die von der STIKO seit 2004 für alle Kinder empfohlen wird.
Die erste Impfung sollte im Alter von 11 bis 14 Monaten erfolgen (entweder simultan mit der 1. MMR-Impfung oder frühestens 4 Wochen nach dieser). Die 2. Dosis Varizellenimpfstoff sollte dann im Alter von 15 bis 23 Monaten gegeben werden (auch als MMR-Varizellen-(MMRV)-Kombinationsimpfstoff möglich).
Bei allen ungeimpften Kindern ohne Varizellen-Anamnese sollte die Varizellen-Impfung mit 2 Dosen möglichst bald nachgeholt werden und nur einmal geimpfte Kinder und Jugendliche sollen eine zweite Impfung bekommen, da eine Erkrankung bei älteren Kindern und Jugendlichen mit einer höheren Komplikationsrate einhergeht.
Außerdem sollten folgende Personen geimpft werden:
- seronegative Frauen mit Kinderwunsch
- seronegative Patienten vor geplanter immunsuppressiver Therapie oder Organtransplantation
- empfängliche Patienten mit schwerer Neurodermitis
- empfängliche Personen mit engem Kontakt zu den unter Punkt 2. und 3. Genannten
- seronegatives Personal im Gesundheitsdienst (vor allem in den Bereichen Pädiatrie, Onkologie, Gynäkologie/Geburtshilfe, Intensivmedizin, Betreuung von Immundefizienten) sowie bei Neueinstellungen in Gemeinschaftseinrichtungen für das Vorschulalter
Expositionsschutz:
An Varizellen erkrankte Kinder dürfen bei unkompliziertem Verlauf etwa eine Woche lang nach Auftreten des Exanthems (bis zum Abfallen des letzten Schorfs) keine öffentlichen Einrichtungen besuchen.
Gesellschaft für Virologie:
Labordiagnostik schwangerschaftsrelevanter Virusinfektionen
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