„Künstliches Pankreas“: Closed-Loop-Systeme im Überblick

Dr. Andrea Wülker

Die erhaltenen Messdaten werden durch eine Software auf dem Smartphone ausgewertet und der aktuelle Insulinbedarf ermittelt. Die erhaltenen Messdaten werden durch eine Software auf dem Smartphone ausgewertet und der aktuelle Insulinbedarf ermittelt. © Carlo – stock.adobe.com

Seit Jahrzehnten tüfteln Wissenschaftler, Techniker und Entwickler an Geräten, die den Blutglukosespiegel von Menschen mit Diabetes automatisch und bedarfsgerecht regulieren. Die ersten dieser Closed-Loop-Systeme sind erfolgreich im Einsatz.

Closed-Loop-Systeme bestehen aus einer Insulinpumpe, einem Glukosesensor für die Echtzeitmessung des Zuckerspiegels (rtCGM, real-time continous glucose monitoring) und einem Kontrollalgorithmus. Diese Software, die entweder auf der Pumpe oder auf einem Empfangsgerät wie zum Beispiel dem Smartphone installiert ist, berechnet auf der Basis der empfangenen rtCGM-Messwerte den aktuellen Insulinbedarf und reguliert die Insulinabgabe der Pumpe.

Teil- vs. vollautomatisch

Closed-Loop-Systeme können grundsätzlich teilautomatisch oder vollautomatisch (Hybrid- bzw. Fully-Closed-Loop-System) funktionieren. Bei den Hybrid-Closed-Loop-Systemen regelt der Algorithmus die Abgabe des Basalinsulins. Den Insulinbolus zur Abdeckung von Mahlzeiten muss sich der Patient weiterhin manuell verabreichen. Auch hohe Glukosewerte muss er selbstständig korrigieren. Dagegen übernehmen Fully-Closed-Loop-Systeme die komplette Insulinabgabe entsprechend den aktuellen rtCGM-Messwerten, ohne dass der Nutzer eingreifen muss. Aber: Bei Typ-1-Diabetes gelingt mit diesen Geräten aufgrund der verzögerten Pharmakokinetik von subkutan verabreichtem Insulin noch keine zufriedenstellende Kontrolle der post­prandialen Blutzuckerwerte. Daher werden Typ-1-Diabetiker bisher ausschließlich mit Hybrid-Closed-Loop-Systemen versorgt. In einer Studie mit hospitalisierten Typ-2-Diabetikern war ein vollautomatisches Closed-Loop-Gerät der Standardtherapie dagegen deutlich überlegen.

Seit 2011 werden solche Closed-Loop-Systeme bei Menschen mit Typ-1-Diabetes klinisch getestet. Im Vergleich zu einer rtCGM-gestützten Insulinpumpe als Standardtherapie sind die Behandlungsergebnisse, die sich mit diesen „künstlichen Bauchspeicheldrüsen“ erzielen lassen, bemerkenswert, schreibt die Arbeitsgruppe um Dr. ­Andreas ­Melmer vom Universitätsspital Bern.
  • Gegenüber der Standardtherapie lagen die Patienten mit Closed-Loop-Systemen um durchschnittlich 2,4 Stunden pro Tag länger im glykämischen Zielbereich.
  • Vor allem nachts war die glyk­ämische Kontrolle besser. Dann lagen 15 % mehr rtCGM-Messungen im Zielbereich.
  • Die Zeit in Hypoglykämie wurde um 20 Minuten pro Tag verkürzt.
  • Der mittlere HbA1c-Wert sank innerhalb von drei Monaten um 0,3 %.
  • Die Blutzuckervariabilität besserte sich.
Patienten, die initial höhere HbA1c-Werte aufgewiesen hatten, profitierten am meisten von der Technologie. Auch im Alltag machte sich die neuartige Diabetestherapie positiv bemerkbar, und zwar sowohl bei den Anwendern selbst als auch bei Bezugspersonen und Angehörigen. Sie berichteten über erholsamere Nächte, weniger Angst vor Unterzuckerung und einer Vereinfachung des Diabetesmanagements.

Zukünftig auch Glukagon automatisch verabreichen?

Das erste Hybrid-Closed-Loop-System wurde 2016 in den USA zur Insulintherapie bei Menschen mit Typ-1-Diabetes zugelassen. 2018 folgte die CE-Kennzeichnung. Das System steuert lediglich die Dosierung der Basalrate autonom, sodass für den Patienten noch einiges zu tun bleibt. Er muss das Mahlzeiten-Insulin und nach Aufforderung das Korrektur-Insulin manuell dazugeben. Zudem ist das rtCGM-System täglich zu kalibrieren. Trotz der neuen (Hybrid-)Closed-Loop-Systeme bleiben die wesentlichen Herausforderungen in der Insulintherapie des Typ-1-Diabetes bestehen, nämlich die Blutzuckerkontrolle nach den Mahlzeiten sowie beim Sport. Gerade bei intensiver körperlicher Aktivität kann man das Unterzuckerungsrisiko nicht mehr ausschließlich über das Insulin ausreichend senken, erläutern die Autoren. Möglicherweise lässt sich dieses Problem in Zukunft mit Closed-Loop-Systemen lösen, die zusätzlich zu Insulin auch Glukagon verabreichen. Die ersten Daten aus Studien zu diesen sogenannten Dual-Hormon-Systemen stimmen optimistisch.

Selbstgebastelte Closed-Loop-Systeme

Einigen technikaffinen Diabetes­patienten ging die Entwicklung in der Medizintechnik offenbar zu langsam. Sie legten selbst Hand an und begannen, aus CGM-Sensoren, Insulinpumpen und anderen frei verfügbaren Einzelkomponenten selber Closed-Loop-Systeme zu bauen. Do-it-yourself-Anleitungen und Algorithmen dafür sind im Internet frei verfügbar und werden über soziale Medien verbreitet. Retrospektive Datenanalysen von Nutzern der Eigenbauten belegen eine sehr gute glykämische Kontrolle. Der Haken an der Sache ist: Es gibt weder kontrollierte Studien noch Sicherheitsnachweise zu diesen Geräten. Im Schadensfall übernimmt also niemand die Haftung, der Einsatz erfolgt komplett auf eigenes Risiko.

Die Kontrolle postprandialer Blutzuckerexkursionen mit (Hybrid-)Closed-Loop-Systemen ist nach wie vor schwierig. Möglicherweise helfen adjuvante Medikamente wie SGLT2-Inhibitoren, GLP1-Rezeptor­agonisten oder Therapien mit dem Amylin-Analogon Pramlintide weiter, die sich derzeit in der Entwicklung befinden.

Quelle: Melmer A et al. Ther Umsch 2020; 77: 312-318; DOI: 10.1024/0040-5930/a001197

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Die erhaltenen Messdaten werden durch eine Software auf dem Smartphone ausgewertet und der aktuelle Insulinbedarf ermittelt. Die erhaltenen Messdaten werden durch eine Software auf dem Smartphone ausgewertet und der aktuelle Insulinbedarf ermittelt. © Carlo – stock.adobe.com