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Myasthenia gravis symptomatisch und immunsuppressiv therapieren

Vor 120 Jahren kam die Diagnose Myasthenia gravis (MG) praktisch einem Todesurteil gleich. Heute liegt die Letalität unter 5 % und die Lebenserwartung in der normalen Spanne, schreiben Dr. Frauke Stascheit von der Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kollegen.
Die MG zählt mit einer Prävalenz von 150–250 Fällen pro 1 Million Einwohner zu den seltenen Erkrankungen, in Deutschland gibt es ca. 16 000 Betroffene. Wenngleich insgesamt selten, ist die MG doch die verbreitetste durch Antikörper vermittelte Autoimmunerkrankung der neuromuskulären Endplatte. Pathogenetisch liegen ihr sowohl genetische als auch Umweltfaktoren zugrunde.
Man unterscheidet eine juvenile Form (early onset MG, EOMG), die vor allem Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr trifft, und eine Altersmyasthenie (late onset MG, LOMG) mit einem leicht erhöhten Anteil an Männern ab 50 Jahre. Etwa jede fünfte MG verläuft mild, mit gleicher Häufigkeit aber beobachtet man myasthene Krisen.
Antikörper zerstören die postsynaptische Membran
Mehrere Autoantikörper spielen für die Myasthenia gravis eine Rolle. Zahlenmäßig die größte Bedeutung haben diejenigen gegen den Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR), die sich bei 80 % der Patienten finden lassen. Über die Aktivierung von Komplement und die Bildung eines Membranangriffkomplexes zerstören sie die postsynaptische Membran. Außerdem bewirken sie ein Crosslinking der AChR, was zu deren Internalisierung und dem Untergang der Endplatte führt. Bis zu 10 % der Patienten – in Deutschland ca. 2–3 % – haben Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase (MuS-K). Die Bindung dieser Antikörper stoppt die Formation des Acetylcholinrezeptors, dessen Anzahl nimmt ab. Ein geringer Prozentsatz von Kranken, hierzulande vermutlich weniger als 1 %, weist Antikörper gegen das lipoprotein receptor-related protein 4 (Lrp4) auf. Sie stören ebenfalls die Formation der AChR und aktivieren wie die AChR-Ak das Komplementsystem. Im Gegensatz zu den anderen Antikörpern kann man mit ihnen aber experimentell keine MG induzieren, sodass ihre pathogenetische Bedeutung unklar bleibt. Neben den Antikörpern fällt der Thymus für die Krankheit ins Gewicht. 10–15 % der AChR-Ak-positiven Patienten leiden an einem Thymom, eine lymphofollikuläre Hyperplasie des Organs beobachtet man bei 70 % der Patienten mit EOMG. Je nach Klinik wird die MG in eine okuläre, bulbäre oder generalisierte Form eingeteilt. Leitsymptom ist immer die fluktuierende, belastungsabhängige Muskelschwäche. Die Hälfte aller Betroffenen klagt anfangs über okuläre Beschwerden, nur 50 % haben dann schon AChR-Ak. Bei 80 % dieser Erkrankten generalisiert die MG im Verlauf. Die Myasthenie dominiert dann meist in den Extremitäten oder der oropharyngealen Muskulatur, kann sich aber ebenso an Rumpf und Kopfhaltesystem manifestieren. Bei Befall der Atemmuskulatur droht eine partielle oder globale respiratorische Insuffizienz. MuSK-Ak-Positive zeigen öfter eine bulbäre Beteiligung mit respiratorischen Krisen, gelegentlich auch eine Atrophie von Gesicht und Zunge. Generell sprechen sie schlechter auf die Therapien an. Die LRP-4-Ak-positive MG kennzeichnet eine okuläre und generalisierte Beteiligung mit milderem Verlauf. Liegen gleichzeitig Antikörper gegen Titin, ein Strukturprotein des Sarkomers, vor, spricht das für ein paraneoplastisches Geschehen und damit für ein Thymom. Operationen, Schwangerschaften und bakterielle Infektionen können eine Myastenia gravis auslösen, gerade Letztere begünstigen myasthene Krisen. Auch viele Medikamente triggern die Erkrankung, z.B. Glukokortikoide, Benzodiazepine, manche Antibiotika (Fluorchinolone, Makrolide, Aminoglykoside) und Betablocker. In jüngerer Zeit mehren sich Fälle von Myasthenien durch Immuncheckpoint-Inhibitoren. Zur Diagnostik gehört neben dem Routinelabor (mögliche Begleit- und Autoimmunerkrankungen?) die Bestimmung von Antikörpern. Bei myasthenem Syndrom anti-AChR-Ak, bei überwiegend bulbären Krankheitszeichen auch MuSK-Ak. Besteht der Verdacht auf ein paraneoplastisches Geschehen, nimmt man bei Patienten unter 60 Jahren auch Titin-Ak ab. Die Throax-CT oder -MRT dient der Suche nach Thymuspathologien. Auch mit der Elektrophysiologie lässt sich die MG aufdecken. 20 % der Patienten mit okulärer und 80 % derer mit generalisierter Form zeigen nach supramaximaler Serienreizung des N. facialis bzw. N. axillaris ein charakteristisches Dekrement, d.h. eine Abnahme vom 1. bis zum 5. Muskelsummenaktionspotential um 10–15 %. Die Sicherung der Erkrankung gelingt zudem über die probatorische Gabe eines Acetylcholinesterasehemmers, z.B. 30–60 mg Pyridostigmin oral. Nach etwa einer halben Stunde kommt es zur Besserung der Symptome. Im Einzelfall wird bei seronegativen Patienten eine Interkostalbiopsie erforderlich, um an der neuromuskulären Endplatte Komplementablagerungen nachzuweisen.Generalisierung mit Steroiden abwenden
Die symptomatische Therapie der MG erfolgt zumeist mit Pyridostigmin. Dosisabhängig kann es zu cholinergen Nebenwirkungen kommen, die manchmal den Einsatz limitieren. Allerdings tolerieren die Patienten individuell sehr unterschiedlich hohe Mengen. Eine cholinerge Krise bei Überdosierung wird gelegentlich mit einer myasthenen Krise verwechselt. Die Gefahr einer Generalisierung der MG lässt sich durch frühe, hoch dosierte Steroidgabe mindern. Doch große Mengen verschlechtern paradoxerweise oft die myasthenen Beschwerden (Steroid-Dip). Man sollte also die Dosis langsam steigern. Generalisiert der Verlauf dennoch, gilt die Fortsetzung der Steroidtherapie als Mittel der ersten Wahl. Werden aber Dosen über der Cushingschwelle von 7,5 mg nötig oder bleibt eine ausreichende Remission aus, muss man auf andere Immunsuppressiva umsteigen. Bewährt hat sich Azathioprin. Vor dem Einsatz empfehlen die Autoren, wegen der gefürchteten Myelotoxizität eine reduzierte Aktivität der Thiopurin-S-Methyltransferase auszuschließen, die für die Verstoffwechslung von Azathioprin verantwortlich ist. Etwa jeder zehnte Kaukasier hat eine solch verminderte Aktivität, durch die die Toxizität der Substanz stark steigen kann. Unter laufender Behandlung empfehlen sich zumindest anfangs regelmäßige Kontrollen des Differenzialblutbilds. Als Alternative stehen Mycophenol-Mofetil oder Methotrexat zur Verfügung, in dritter Linie Ciclosporin und Tacrolimus. Mit dieser Standardtherapie gelangen 85 % der Patienten in eine Remission, mehr als die Häfte beklagt aber eine eingeschränkte Lebensqualität und Schwierigkeiten in der Alltagskompetenz. Denjenigen mit AChR-Ak-positiver, generalisierter MG kann man den C5-Komplementinhibitor Eculizumab anbieten. Bereits nach vier Wochen zeigt er bei 60 % der Kranken eine überzeugende Wirkung und die Langzeitdaten sprechen für ein gutes Sicherheitsprofil. Allerdings liegen die Jahrestherapiekosten bei zirka 500 000 Euro. Seit Langem off label eingesetzt wird Rituximab, vor allem bei der MuSK-positiven Myasthenia gravis.Symptome bessern sich nach Thymektomie nur langsam
Thymome sollten in jedem Fall operativ entfernt werden, von einer elektiven Thymektomie profitieren einer Studie zufolge AChR-Ak-positive, generalisierte MG-Patienten, die jünger als 65 Jahre alt und noch nicht länger als fünf Jahre erkrankt sind. Die Entfernung der Drüse bessert binnen eines Jahres die Muskelkraft und der Bedarf an Immunsuppressiva sinkt. Myasthene Krisen behandelt man mit Plasmapherese, Immunadsorption oder i.v. Immunglobulinen (1–2 g/kg über 2–5 Tage). Einige weitere Präparate befinden sich in klinischen Studien. Zum einen handelt es sich um weitere Komplementblocker, zum anderen um Substanzen, die die intrazelluläre Antikörperdepletion fördern, also praktisch eine intrazelluläre Plasmapherese bewirken. Mit kausalem Ansatz werden zudem B-Zell-Therapien untersucht.Quelle: Stascheit F et al. internistische praxis 2020; 63: 1-18 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Was noch die Muskeln schwächt
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