Neue Regeln für schwere Gicht: Leitlinie setzt auf Ernährung und Allopurinol

Dr. Dorothea Ranft

Liegen Tophi vor, wird die harnsäuresenkende Therapie ausdrücklich empfohlen. Liegen Tophi vor, wird die harnsäuresenkende Therapie ausdrücklich empfohlen. © Adul10 – stock.adobe.com

Wenn Gichtpatienten immer wieder unter Anfällen leiden oder das Urat sich in Tophi sammelt, reichen Lebensstiländerungen meist nicht mehr aus. Trotzdem will der Punkt, ab dem eine harnsäuresenkende Therapie gestartet werden sollte, gut überlegt sein.

Als chronisch gilt eine Gicht, wenn ein Patient Tophi hat – mit oder ohne dauerhafte Beschwerden. Therapeutisch stehen auch in diesen schweren Fällen diätetische Maßnahmen an erster Stelle. Günstig wirken sich vegetarische Nahrungsmittel aus, selbst bei hohem Harnsäuregehalt. Alkohol wird differenziert betrachtet: Bei Männern scheint ein täglicher Konsum von einem Viertelliter Wein die Anfallsfrequenz nicht zu erhöhen (Frauen 1/8 l). Größere Alkoholmengen (v.a. Bier und Hochprozentiges) sowie mit Zucker gesüßte Getränke und sehr fettes Essen sollte man dagegen meiden.

Für die medikamentöse Harnsäuresenkung empfiehlt die aktuelle Leitlinie der DEGAM* zwei Xanthinoxidase-Hemmer. Allopurinol stuft sie als Mittel der ersten Wahl ein, Febuxostat als Reservemedikament. Es kann beispielsweise zur Therapie von Patienten mit schweren oder anders nicht behandelbaren Uratablagerungen dienen. Falls Allopurinol nicht infrage kommt oder in einer Dosis bis 800 mg unzureichend wirkt, können Urikosurika wie Probenezid oder Benzbromaron (alternativ oder zusätzlich) gegeben werden. Zu beachten: Niereninsuffizienz und Lebererkrankungen stellen Kontraindikationen für Benzbromaron dar, harnsäurebedingte Nierensteine eine für beide Urikosurika.

Medikamente erst ab zwei Anfällen pro Jahr

Bei wiederholten Gichtanfällen sollten Sie den potenziellen Nutzen und eventuelle Nebenwirkungen einer harnsäuresenkenden Therapie mit dem Patienten besprechen. Eine medikamentöse Behandlung sollten Sie nach Einschätzung der Autoren um Dr. Horst Prautzsch, Trochtelfingen, erst in Betracht ziehen, wenn ein Patient mindestens zwei Gichtanfälle im Jahr erleidet. Ausdrücklich empfohlen wird die Urat-Reduktion bei chronischer Gicht oder wenn Tophi vorliegen.

Die harnsäuresenkende Therapie sollte allerdings frühestens 14 Tage nach dem Gichtanfall starten, wenn die Symptome vollständig abgeklungen sind. Denn am Beginn der medikamentösen Harnsäuresenkung kann es zu vermehrten Gichtanfällen kommen. Deshalb empfiehlt sich bei hoher Krankheitslast (z.B. häufige Anfälle, schwere Symptome, viele/große Tophi) eine Anfallsprophylaxe. Dazu eignen sich NSAR in Standarddosierung (z.B. Naproxen 500 mg/Tag) oder niedrig dosiertes Colchizin (0,5–1,2 mg/Tag). Setzen Sie die vorsorgliche Behandlung mindestens über einen Zeitraum von zwei bis maximal sechs Monaten fort. Angesichts häufiger schwerer Nebenwirkungen unter einer längerfristigen NSAR-Therapie können Sie aber auch zusätzliche Attacken in Kauf nehmen und diese dann „stand-by“ behandeln.

Als unklar beurteilt die DEGAM derzeit noch den Stellenwert einer Treat-to-Target-Strategie. Dabei verstärkt man die Therapie bis zum Erreichen eines bestimmten Harnsäure-Zielwertes. Voraussetzung dafür: regelmäßige Spiegelkontrollen. Bisher ließ sich jedoch noch nicht beweisen, dass treat-to-target einer klinischen Überwachung überlegen ist.

Einen Harnsäure-Zielwert für alle gibt es nicht

Regelmäßige Kontrollen des Harnsäure-Spiegels können aber die Adhärenz verbessern und die Patienten zur Fortsetzung der Therapie ermutigen. Sie bieten auch eine Option, falls eine klinische Einschätzung nicht gelingt. Allerdings gibt es bisher keinen evidenzbasierten Zielwert für die Harnsäure, der sich als „cut-off“ für alle Patienten eignet, bemängeln die Verfasser der Leitlinie. Außerdem darf man mit einem Nutzen der Eskalation erst nach etwa einem Jahr rechnen.

Wie häufig ist die Gicht?
Harnsäure
Gichtinzidenz
< 7 mg/dl0,1 %
7,0–8,9 mg/dl0,5 %
≥ 9 mg/dl4,9 %

Um einen individuellen Zielwert festzulegen, sollte man bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit einer Gichtmanifestation bei Gesunden schon unterhalb von 9 mg/dl deutlich sinkt. Zudem fällt die Harnsäure unter physiologischen Bedingungen bereits unterhalb von 7 mg/dl nicht mehr aus. Strenge Zielwerte von 6 mg/dl allgemein bzw. 5 mg/dl bei schwerer Erkrankung dürften in der hausärztlichen Praxis nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, so die Leitlinien-Autoren. Dazu zählen die unzureichende Rückbildung von Tophi und die uratbedingte chronische Arthritis. Außerdem muss die harnsäuresenkende Behandlung nicht unbedingt lebenslang dauern. Nach fünf Jahren können Sie über eine Beendigung nachdenken, wenn die Therapie erfolgreich war.

Für die Behandlung von Patienten mit symptomloser Hyperurikämie gibt es bisher keine ausreichende Evidenz, betonen die Leitlinienautoren. Außerdem lässt sich kein allgemeiner Grenzwert angeben, ab dem eine Behandlung sinnvoll wäre. Eine mögliche Indikation könnte die Uratnephropathie sein. Allerdings bezweifeln die Verfasser, dass diese außerhalb von schweren Krankheitsbildern wie dem Tumorlysesyndrom auftritt. Die prophylaktische Behandlung von Gicht und Nephrolithia­sis bleibt deshalb spezialisierten Zentren vorbehalten. Eine routinemäßige Bestimmung der Harnsäurewerte ohne Gicht oder Uratablagerung lehnen die Autoren ab, nicht zuletzt weil sie die Patienten unnötig verängstigen könnte.

* Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Quelle: Leitlinie „Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht“; AWMF-Register-Nr. 053-032a, www.awmf.org

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