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„Patienten mit Pankreaskarzinom gehören in zertifizierte Zentren“

Wie könnte die Früherkennung des Pankreaskarzinoms verbessert werden?
Professor Dr. Michael Geißler: Empfehlungen zur systematischen Früherkennung gibt es beim Pankreaskarzinom nicht. 70–80 % der Patienten befinden sich bei Erstdiagnose bereits im palliativen Stadium, weil Symptome meist erst spät auftreten und die Karzinome sehr früh metastasieren. Tumoren im Pankreaskopf machen sich eventuell früher durch eine Kompression des Gallengangs und Ikterus bemerkbar.
Gibt es bei der Therapie des Pankreaskarzinoms Fortschritte?
Prof. Geißler: Beim primär resektablen Pankreaskarzinom konnten wichtige Fortschritte erzielt werden. Erstens durch Intensivierung der adjuvanten Chemotherapie – sprich das modifizierte FOLFIRINOX-Regime – und zweitens durch den Wechsel von adjuvanter zu neoadjuvanter Chemotherapie. FOLFIRINOX ist eine Dreierkombination aus 5-Fluorouracil, Irinotecan und Oxaliplatin, die allerdings nur von ausgewählten Patienten mit gutem Allgemeinzustand toleriert wird. Bei diesen Patienten werden nach kompletter Tumorresektion und adjuvanter FOLFIRINOX-Therapie dramatisch längere Überlebenszeiten erreicht. In einer randomisierten Phase-III-Studie lagen die mittleren Überlebenszeiten bei 54 Monaten im Vergleich zu 35 Monaten unter Gemcitabin. Inzwischen überblicken wir Nachbeobachtungszeiträume von bis zu fünf Jahren.
Wenn Patienten über fünf Jahre rezidivfrei sind, können sie dann als geheilt gelten?
Prof. Geißler: Ja, das kann man so sagen, weil Rezidive in aller Regel in den ersten zwei Jahren auftreten. Nach vorliegenden Daten – unter anderem Daten zum erkrankungsfreien Überleben – ist bei rund 25 % der Patienten nach Komplettresektion und FOLFIRINOX eine Heilung realistisch. Nach alleiniger Operation sind es unter 10 %.
Die Tendenz, früh und aggressiv zu metastasieren, ist ein Charakteristikum des Pankreaskarzinoms. Deshalb das Konzept, die Chemotherapie bereits vor der Operation – also neoadjuvant – zu geben. Ziel ist, eine Aussaat von Mikrometastasen in der Zeit zwischen Operation und Chemotherapie zu verhindern. Und erste randomisierte Studienergebnisse zeigen, dass sich die Prognose durch dieses Konzept tatsächlich deutlich verbessern lässt.
Die neoadjuvante Chemotherapie zielt also nicht in erster Linie auf eine Verkleinerung des Primärtumors ab?
Prof. Geißler: Nicht in erster Linie, so wie bei anderen Tumoren. Aber natürlich ist das auch beim lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinom ein relevanter Aspekt. In der NEO-LAP-Studie konnte gezeigt werden, dass es in rund 30 % der Fälle mithilfe der neoadjuvanten Chemotherapie gelingt, einen primär nicht-operablen Tumor zu resezieren – vorausgesetzt der Chirurg verfügt über entsprechende Erfahrung. Drei Monate nach Beginn der Chemotherapie wird eine Kontroll-Computertomographie (CT) gemacht, um auszuschließen, dass sich in der Zwischenzeit Metastasen gebildet haben. Sind keine Metastasen nachweisbar, ist zusätzlich immer eine Laparotomie erforderlich. Denn eventuell ist der Primärtumor jetzt operabel, obwohl das CT keine Verkleinerung erkennen lässt.
Ich möchte an dieser Stelle betonen: Patienten mit Pankreaskarzinom gehören in ein zertifiziertes Zentrum. Expertise und Erfahrung von Chirurgen, internistischen Onkologen, diagnostischer und molekularer Pathologie, Endoskopikern und interventionellen Radiologen sind wichtig, um für Patienten mit dieser vergleichsweise seltenen, aber komplexen Tumorerkrankung das Bestmögliche herauszuholen.
Wie viele Patienten mit Pankreaskarzinom werden denn aktuell in zertifizierten Zentren vorgestellt?
Prof. Geißler: In zertifizierten Pankreaskarzinomzentren werden aktuell 5100 Primärfälle behandelt, was bei zirka 18 000 Neuerkrankungen 28 % entspricht. Das ist zu wenig, aber daran wird sich nichts ändern, solange die politischen Entscheidungsträger und die Krankenkassen nicht den Mut haben, sich für eine zentrenbasierte Hochleistungsmedizin – mit entsprechender Honorierung der Qualität – auszusprechen. In den Zentren ist eine Behandlung nach aktuellen Standards garantiert, und außerdem haben die Patienten die Möglichkeit, an Studien teilzunehmen und so von innovativen Therapiekonzepten zu profitieren.
Welche palliativen Therapiekonzepte gibt es denn aktuell beim metastasierten Pankreaskarzinom?
Prof. Geißler: In der palliativen Situation gibt es drei Standards je nach Fitnesszustand der Patienten: Gemcitabin, Gemcitabin plus nab-Paclitaxel oder modifiziertes FOLFIRINOX. In der Zweitlinie kommen u.a. das NAPOLI-Protokoll (nanoliposomales Irinotecan/5-FU) oder das gut verträgliche OFF-Schema (Oxaliplatin/5-FU) zur Anwendung. Die Chemotherapie zielt in dieser Situation auf eine Verlängerung der Überlebenszeit und eine Verbesserung der Lebensqualität ab.
Obwohl die Nebenwirkungen der Chemotherapie sehr belastend sein können, überwiegt der Zugewinn an Lebensqualität?
Prof. Geißler: Ja, das steht außer Frage und ist auch durch Studien belegt. Gemcitabin wurde die Zulassung nicht etwa primär wegen der antitumoralen Effektivität erteilt, sondern mit Blick auf Parameter der Lebensqualität wie z.B. den verringerten Schmerzmittelverbrauch.
Im Übrigen sollte jede Chemotherapie von einem adäquaten Nebenwirkungsmanagement begleitet sein. Zur Optimierung der Lebensqualität ist weiterhin eine konsequente enterale oder heimparenterale Ernährungstherapie erforderlich, da eigentlich alle Patienten in diesem Stadium unter Gewichtsverlust/Kachexie leiden. Und mit Blick auf die Sarkopenie hat sich ein leistungsangepasstes Bewegungsprogramm bewährt. Wird der Gallengang durch den Tumor komprimiert, ist ein konsequentes Stenting indiziert.
Haben zielgerichtete Therapien bereits Eingang in die Behandlung des Pankreaskarzinoms gefunden?
Prof. Geißler: Diese Medikamente spielen im Moment beim Pankreaskarzinom noch keine entscheidende Rolle. Aber das wird sich in Zukunft sicher ändern. Allerdings gibt es für die Treibermutationen, die beim Pankreaskarzinom im Vordergrund stehen, derzeit noch keine passgenauen Therapieoptionen. Ausnahme sind BRCA-Mutanten, die besonders gut auf Platinderivate und PARP-Inhibitoren anzusprechen scheinen. Eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI), die den Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren nahelegen würde, ist sehr selten beim Pankreaskarzinom. Eine wichtige Voraussetzung für differenzierte Therapieansätze wurde vor einigen Jahren mit der Definition von vier unterschiedlichen molekularbiologischen Subtypen des Pankreaskarzinoms geschaffen. Diese Subtypen besitzen unterschiedliche Gensignaturen und Signalwege und könnten der Schlüssel sein zu einer personalisierten Therapie.
Interview: Ulrike Viegener
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