Professor Dr. Frank Griesinger im Interview über seine NSCLC-Botschaften

ESMO 2021 Elisa Sophia Breuer

NSCLC sollten zukünftig molekular getestet werden – ob in der kurativen Situation oder in fortgeschrittenen Stadien. NSCLC sollten zukünftig molekular getestet werden – ob in der kurativen Situation oder in fortgeschrittenen Stadien. © Sergey Nivens – stock.adobe.com

Ob in der kurativen Situation oder in fortgeschrittenen Stadien: NSCLC sollten in Zukunft molekular getestet werden. Dies ist die wichtigste Message von Professor Dr. Frank­ Griesinger, Oldenburg, über die auf dem ESMO-Kongress vorgestellten Studien. Der Experte verrät, was er von Atezolizumab, Durvalumab und Co. erwartet.

Die IMpower010-Studie mit adjuvantem Atezolizumab gehörte bereits zu ihren diesjährigen ASCO-Highlights. Auf dem ESMO-Kongress wurden nun die Ergebnisse für NSCLC-­Patienten mit PD-L1-Expression von 1–49 % präsentiert. Inwiefern unterscheiden sie sich von den Daten zu Tumoren mit über 50%iger Expression?

Professor Dr. Frank­ Griesinger­: Patienten mit einer PD-L1-Expression in den Tumorzellen von 1–49 % haben keinen statistisch signifikanten Vorteil durch Atezolizumab. Rechnet man die EGFR- und ALK-positiven Patienten raus, bleibt die HR bei 0,82 und schneidet die 1. Ich vermute deshalb, dass die Zulassung für die über 50%ige PD-L1-Expression kommen wird, diese Patienten profitieren am meisten.

Reichen die DFS-Daten denn für die Zulassung aus?

Prof. Griesinger­: Wie anhand von AUDAURA zu sehen ist, hat die EMA bereits das DFS als patientenrelevanten Endpunkt akzeptiert. Für NSCLC mit hoher PD-L1-Expression würde ich deswegen erwarten, dass Atezolizumab zugelassen wird.

War das in IMpower010 eingeschlossene Patientenkollektiv repräsentativ für den Klinikalltag?

Prof. Griesinger­: Nein, es war ein sehr spezielles Kollektiv. Denn es sind NSCLC-Patienten, die nicht nur operiert worden sind, sondern auch eine platinhaltige Chemotherapie erhalten haben mussten. Das spiegelt sich auch in den Patientencharakteristika wider. Von den eingeschlossenen Teilnehmern waren 33 % Nie-Raucher, was i.d.R. mit einer besseren Fitness einhergeht. In der metastasierten Situation rechnen wir im Alltag mit maximal 20 % Nie-Rauchern. 

Dies korreliert mit dem sehr hohen Anteil von EGFR- und ALK-positiven Tumoren in der Studie. Bei Ersteren waren es 18 % statt der in der metastasierten Situation gängigen 10–12 %. ALK-positive Tumoren waren mit 5 % vertreten, man geht aber eher von der Hälfte aus. Dadurch entsteht also ein erheblicher Bias.

Eignen sich am Ende nur wenige Patienten für Atezolizumab?

Prof. Griesinger­: Legen wir einmal folgende Rechnung zugrunde: Daten aus Krebszentren belegen, dass wir etwa 40 % der Patienten nach einer OP „verlieren“, weil sie sich nicht schnell genug für die Chemotherapie erholen. Wenn dann noch mal wie in der Studie etwa 25 % ausscheiden zwischen Chemotherapie und Atezolizumab und die Zulassung auf Tumoren mit PD-L1-Status von über 50 % restriktiert wäre, dann würden gerade einmal 12 % aller operierten NSCLC-Patienten adjuvantes Atezolizumab bekommen. Falls die Zulassung für eine PD-L1-Expression ab 1 % erfolgt, wären es etwa 30 % der Erkrankten. Man sollte sich bewusst machen, dass viele operierte Patienten die adjuvante Atezolizumab-Therapie also nicht bekommen werden.

Sollte man – im Falle einer Zulassung – vor der Behandlung mit Atezolizumab ausschließlich die PD-L1-Expression analysieren?

Prof. Griesinger­: Nein, man sollte nicht nur auf PD-L1 testen, sondern auch auf molekulare Treiber. In der Studie IMpower010 profitierten die EGFR- und ALK-positiven NSCLC­ nicht, vermutlich kann man diese Daten auf andere molekular getriebene Tumoren übertragen. Daher sollten die Patienten umfassend, wie im Stadium IV, getestet werden.

Zwei Studien zu Durvalumab gehören ebenfalls zu ihren ESMO-Highlights. Welche und warum?

Prof. Griesinger­: In der französischen Studie von Mariona Riudavets Melia et al. (1172MiniOral) wurden 43 Patienten mit Treibermutation identifiziert. Diese profitieren nicht von der konsolidierenden Therapie mit Durvalumab. Nur bei KRAS-Mutation half der Antikörper. Das passt gut zu dem, was wir in der metastasierten Situation bereits über KRAS wissen und was wir bei der Monotherapie gesehen haben, u.a. für EGFR und ALK. Zwar sind es vorläufige Daten, jedoch zeigen sie, dass man auch Durvalumab-Kandidaten molekular testen sollte. 

In der Phase-2-Studie COAST wurde Durvalumab mit Oleclumab bzw. Monalizumab ergänzt. Unter dualer Therapie waren Ansprechrate und PFS erhöht. Interessanterweise ohne signifikante Zunahme der immunassoziierten unerwünschten Ereignisse. Phase-3-Studien sind geplant, es werden sich auch einige deutsche Zentren daran beteiligen.

Wie lautet Ihre Hauptbotschaft zu den beiden Studien?

Prof. Griesinger­: Ich habe zwei Messages: Offensichtlich gibt es Ansätze, die bei dualer Immuntherapie über die CTLA-4-Inhibition hinaus Erfolg versprechend sind. Zudem wird eine Medikamentenentwicklung in der kurativen Situation verfolgt und nicht nur in der metastasierten.

Gibt es Neues zu Studienendpunkten, die schneller eintreten als das klassische Gesamtüberleben?

Prof. Griesinger­: Wir haben ja neo­adjuvante Therapien – wie z.B. CheckMate816 ergeben hat –, wissen aber noch immer nicht genau, wie wir mit den Endpunkten pCR oder MPR umgehen sollen. Und wie sie mit DFS und OS korrelieren. In der IONESCO-Studie wurde nun neoadjuvant Durvalumab gegeben und geschaut, ob der Anteil residualer vitaler Tumorzellen als kontinuierlicher Marker mit DFS und OS korreliert. Und das tut er, wie die multivariante Analyse bestätigt hat. 

Sicherlich ist eine Patientenzahl von 43 nicht sonderlich viel, aber der erste Hinweis dafür, dass offensichtlich die pathologische Remission auch unter einer Immuntherapie mit dem DFS und OS korreliert. Bisher hatten wir hierzu nämlich nur Daten unter Chemotherapie. Somit ist vorstellbar, wenn pCR und MPR in großen Untersuchungen zeigen können, dass sie mit DFS und OS korrelieren, Studien auf pCR und MPR als primäre Endpunkte konzipiert werden. Das könnte zu einer erheblichen Beschleunigung der Entwicklung beitragen.

Es erscheinen in letzter Zeit viele Studien zu Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten. Wurden relevante Daten hierzu auf dem Kongress vorgestellt?

Prof. Griesinger­: Neben den bereits bekannten Daten zu Anti-HER3 gibt es nun die DESTINY-Lung01-Studie mit Trastuzumab-Deruxtecan bei HER2+ NSCLC. Es sind immerhin 91 Patienten gewesen. Die Ansprechrate lag bei 55 %, die PFS und die DOR waren sehr erfreulich. Wichtig ist, dass man auf HER2-Mutationen testet. Durch die Zulassung beim Mammakarzinom kann man Trastuzumab-Deruxtecan bereits off label geben.

Als Problem sehe ich allerdings die interstitielle Lungenerkrankung, die 25 % der Patienten in DESTINY-Lung01 entwickelt haben. Es ist aktuell noch unklar, wer ein erhöhtes Risiko hierfür trägt. 

Welche Patienten unter Trastuzumab-Deruxtecan würden Sie in der Klinik engmaschiger auf eine mögliche interstitielle Lungenerkrankung kontrollieren?

Prof. Griesinger­: Ich würde es genauso machen wie bei der Therapie mit Mitomycin oder Bleomycin. Das sind ja auch Patienten, die eine Lungenfibrose oder eine interstitielle Lungenerkrankung entwickeln können. Bei ihnen sollte man regelmäßig Lungenfunktionstest und entsprechende Bildgebung durchführen. Hier würde ich mich – insbesondere wenn Erfahrungswerte fehlen – an den zeitlichen Intervallen aus den Studien orientieren. 

Es ist zwar unklar, ob z.B. eine vorherige Checkpoint-Inhibition oder eine Bestrahlung mit Beteiligung der Lunge für eine interstitielle Lungenerkrankung prädestinieren. Diese Patienten würde ich trotzdem auf jeden Fall besonders beachten – ohne zu wissen, ob sie wirklich ein erhöhtes Risiko haben.

Möchten Sie noch ein weitere Studie vom Kongress erwähnen?

Prof. Griesinger­: Die Studie Lung ART. Leider konnte auch in dieser Analyse nicht das Patientenkollektiv eindeutig identifiziert werden, das eine adjuvante Radiotherapie bekommen sollte. Aber insgesamt gibt es in Deutschland den Konsens, dass man NSCLC-Patienten mit einem Multilevel-N2-Befall oder kaspelüberschreitendem Wachstum nachbestrahlt. 

Erachten Sie eine aktuelle Publikation abseits vom ESMO-Kongress als relevant?

Prof. Griesinger­: Auf dem WCLC wurde die POSEIDON-Studie vorgestellt. Sie ist formell positiv für die duale Immuntherapie und die Signale sind vereinbar mit denen aus CheckMate 9LA – mit einem Unterschied bei Plattenepithelkarzinomen. Hierfür sind die Daten noch präliminär. Bei den Nicht-Platten­epithelkarzinomen zeichnet sich eine verbesserte Prognose ab. Die immunassoziierten unerwünschten Ereignisse waren dabei generell nicht erhöht unter der dualen Immuntherapie. Warum, ist unklar.  

Ich finde interessant, dass es die einzige Studie ist, in der das Konzept Immuntherapie mit dualer Immuntherapie-Maintenance tatsächlich verglichen wurde. Ich hoffe auf Informationen, wer wirklich von dieser doppelten Immuntherapie profitiert.

Fakten der besprochenen NSCLC-Studien
Studie
Design
Ergebnis
IMpower010Phase 3: adjuvantes Atezolizumab vs. Best Supportive Care nach OP und platin­basierter Chemotherapie bei NSCLC im Stadium IB–IIIA

DFS PD-L1 TC < 1 %: HR 0,97

DFS PD-L1 TC 1-49 %: HR 0,87

DFS PD-L1 TC ≥ 50 %: HR 0,43

1172MOretrospektive Studie: Durvalumab Konsolidierung nach Chemo-Radiotherapie bei nicht-resektablem NSCLC Stadium IIIPFS KRAS+: NR; EGFR+: 19 Monate, BRAF+: 3,9 Monate, BRAFV600E+: 8,4 Monate, ALK+: 7,8 Monate
COAST Phase 2: Durvalumab plus Oleclumab bzw. Monalizumab bei nicht-resektablem NSCLC Stadium III

ORR: 25,4 % vs. 38,3 % vs. 37,1 %

PFS: 6,3 Monate vs. NR vs. 15,1 Monate

IONESCO
Phase 2: Durvalumab bei NSCLC Stadium IB–IIIAmedianes OS und DFS noch nicht erreicht
Lung ART
Phase 3: Post-operative Radiotherapie vs. keine bei komplett reseziertem NSCLC und mediastinaler N2-Lymphknotenbeteiligung

Drei-Jahres-Raten: mRFS: 68,5 % vs. 72,3 % und

Mediastinal-Relapse-free-Survival: 86,0 % vs. 72,3%

DESTINY-Lung01
Phase 2: Trastuzumab-Deruxtecan bei HER2-positivem NSCLC

ORR 50 %; DOR: 9,3 Monate; PFS 8,2 Monate;

OS: 17,8 Monate

POSEIDON Phase 3: Chemotherapie (Kontrolle) ergänzt um Durvalumab und im dritten Studienarm auch um Tremelimumab

PFS: 4,8 Monate vs. 5,5 Monate vs. 6,2 Monate

OS: 11,7 Monate vs. 13,3 Monate vs. 14,0 Monate

Medical-Tribune-Interview

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NSCLC sollten zukünftig molekular getestet werden – ob in der kurativen Situation oder in fortgeschrittenen Stadien. NSCLC sollten zukünftig molekular getestet werden – ob in der kurativen Situation oder in fortgeschrittenen Stadien. © Sergey Nivens – stock.adobe.com
Professor Dr. Frank Griesinger, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin – Onkologie Pius Hospital Oldenburg Professor Dr. Frank Griesinger, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin – Onkologie Pius Hospital Oldenburg © z.V.g.