Reizdarmsyndrom: „Es gibt keine Therapie, die allen hilft“

Leoni Burggraf/Kathrin Strobel

Patienten mit Reizdarm brauchen mehr als einen Wirkstoff. Patienten mit Reizdarm brauchen mehr als einen Wirkstoff. © iStock.com/sb-borg

Das Reizdarmsyndrom hat viele Gesichter und wird daher häufig verkannt. Erst der Ausschluss anderer Erkrankungen führt zur Diagnose. Die Behandlung orientiert sich an den Symptomen des Patienten und schließt neben diätetischen auch pharmakologische Interventionen ein.

Leidet Ihr Patient seit über drei Monaten an Bauchbeschwerden, die seine Lebensqualität einschränken, und lassen sich dafür mit konventionellen Methoden keine organischen Ursachen nachweisen? Dann liegt wahrscheinlich ein Reizdarmsyndrom vor. Betroffene klagen über abdominelle Schmerzen, Missempfindungen und/oder Blähungen, die oft mit verändertem Stuhlgang – Durchfall, Verstopfung oder Wechsel der beiden Symptome – einhergehen. Je nachdem, welche Beschwerden im Vordergrund stehen, spricht man von einem Diarrhö-, Obstipations-, Schmerz-, Meteorismus- oder Mischtyp.

Viele Laien verwenden den Begriff Durchfall falsch

Da sich das Krankheitsbild mit anderen Erkrankungen, z.B. Reizmagen, Nahrungsmittelunverträglichkeit bzw. -allergie, symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit, überlappen kann, ist die Diagnostik nicht gerade einfach, meinte der Gastroenterologe Professor Dr. Thomas Frieling vom Helios Klinikum Krefeld. Sie erfordere Mühe und Geduld.

Dies spiegelt sich auch darin wider, dass sich bei manchen eine Hypersensitivität gegenüber gastrointestinalen Reizen feststellen lässt, andere sezernieren zuviel Gallensäure in den Dickdarm. Wieder andere weisen auffällige Zellstrukturen in der Darmwand auf oder es finden sich veränderte Immunzellen im Darm. „Deshalb lohnt es immer, eine Koloskopie zu machen – gegebenenfalls mit Stufenbiopsie. Im Einzelfall muss man einfach in die Tiefe gehen“, meinte Prof. Frieling.

Vor allem wenn sich ein Patient mit der Eigendiagnose „chronischer Durchfall“ vorstellt, sollte man genau hinsehen. Denn in vielen Fällen verwenden Laien den Begriff falsch und weisen eigentlich eine Stuhlentleerungsstörung auf. „Handelt es sich aber um eine echte Diarrhö, müssen Sie das ganze diagnostische Armamentarium anwenden, um schnellstmöglich zu klären, was dahintersteckt“, so Prof. Frieling. Stehen Obstipation, Meteorismus, Schmerzen oder Nahrungsunverträglichkeiten im Vordergrund, orientieren sich Diagnostik und Therapie an den jeweiligen Symptomen (s. Kasten). Zuweilen lohnt es sich, probatorisch zu behandeln und z.B. bei Verdacht auf Nahrungsabhängigkeit zeitweise die Ernährung umzustellen.

Diagnostik am Symptom orientieren

  • Diarrhö: Stuhl auf pathogene Keime untersuchen, Magen- Darm-Spiegelung mit Biopsien, Atemtests, ggf. MR-Sellink oder Kapselendoskopie
  • Stuhlentleerungsstörung, Outlet Obstruction: Proktoskopie, Defäkographie, Bestimmung der Kolontransitzeit (Hinton-Test), anorektale Manometrie, Koloskopie 
  • Transitstörung, slow-Transit- Obstipation: Hinton-Test, Laktulose-Atemtest, Koloskopie
  • Nahrungsabhängigkeit: Atemtest, Diätetik
  • Meteorismus: Atemtest, auf Obstipation untersuchen, im Einzelfall Endoskopie 
  • Schmerzen: auf Hypersensitivität testen, Dünndarmdiagnostik, Untersuchung der Viszeralgefäße
Bei Frauen ist zusätzlich eine gynäkologische Untersuchung ratsam.

Dass diätetische Maßnahmen beim Reizdarm viel bewirken können, bestätigte Professor Dr. Martin A. Storr vom Gesundheitszentrum Starnberger See in Gauting. So führen z.B. fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (kurz: FODMAP, s. Tabelle) zu einer vermehrten Gas- und Wasserbildung. Schmerzhafte Blähungen, Flatulenz, Diarrhö und/oder Übelkeit können die Folge sein. Eine FODMAP-reduzierte Diät lindert diese Symptome oft, so Prof. Storr. Außerdem seien die Einnahme wasserlöslicher Ballaststoffe (z.B. Flohsamen), der Verzicht auf Gluten sowie Eliminationsdiäten zu empfehlen.

FODMAP-Gehalt in Lebensmitteln
vielwenig
Früchte
Apfel, Birne, Pfirsich, getrocknete FrüchteBanane, Blaubeeren, Kiwi, Weintrauben
Gemüse
Blumenkohl, Knoblauch, Paprika, SojaAubergine, Karotte, Salat, Spinat
Getreideprodukte
Weizen, Gerste, Roggen, DinkelMais, Hirse, Reis, Tapioka
Milchprodukte
Joghurt, Mascarpone, SahneButter, Frischkäse, laktosefreie Milch

Kausale medikamentöse Optionen fehlen bisher

„Behandlungen, die auf Einzelkomponenten abzielen, haben nur wenig Wirkung“, warnte dagegen Professor Dr. Emeran A. Mayer vom G. Oppenheimer Center for Neurobiology of Stress and Resilience in Los Angeles. Eine effektive Therapie solle daher möglichst ganzheitlich erfolgen. So gehören zum Behandlungsspektrum neben diätetischen Maßnahmen u.a. pharmakologische Interventionen. Infrage kommen dabei verschiedene Wirkstoffe – gegebenenfalls in Kombination, so Privatdozentin Dr. Viola Andresen von der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg.
  • Zur Regulation des Stuhls werden Laxantien und Macrogole, Peristaltikhemmer wie Loperamid oder Resorptionshemmer wie Colestyramin eingesetzt. Auch Ballaststoffe können helfen. Allerdings ist zu beachten, dass sie ihrerseits Blähungen und Schmerzen verursachen können.
  • Gegen Schmerzen helfen Spasmolytika und Antidepressiva.
  • Leidet der Patient unter Blähungen in Kombination mit Schmerzen oder bestehen überlappende Symptome zum Reizmagen, sind Phytotherapeutika die Mittel der Wahl.
  • Blähungen kann mit Probiotika oder nicht-resorbierbaren Antibiotika entgegenwirkt werden.
  • Gegen die Obstipation bieten sich Prokinetika an.
  • Treten Obstipation, Schmerzen und Blähungen zusammen auf, könnten Guanylatzyklase-C-Aktivatoren helfen.
Diese sind in Deutschland allerdings nicht erstattungsfähig. Es gibt viele symptomatische Behandlungsansätze, bislang aber nicht die eine Therapie, die allen Patienten hilft, so Prof. Andresen. Bis es kausale medikamentöse Optionen gibt, muss zusammen mit dem Patienten herausgefunden werden, was bei ihm mit seinem individuellen Symptomspektrum am besten wirkt.

Quelle: Kongressbericht, Viszeralmedizin 2018

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Patienten mit Reizdarm brauchen mehr als einen Wirkstoff. Patienten mit Reizdarm brauchen mehr als einen Wirkstoff. © iStock.com/sb-borg