Sulfonylharnstoffe: Stärken und Risiken der Antidiabetika kennen und nutzen

Dr. Angelika Bischoff

Unter Sulfonylharnstoffen tritt lediglich eine therapiebedingte Hypoglykämie pro Patient und Jahr auf. Unter Sulfonylharnstoffen tritt lediglich eine therapiebedingte Hypoglykämie pro Patient und Jahr auf. © iStock.com/andresr

Seit verschiedene neue orale Antidiabetika Einzug in die Therapie gehalten haben, stehen Sulfonylharnstoffe in der Kritik. Bemängelt werden Hypoglykämierisiko, Gewichtszunahme und kardiovaskuläre Nebenwirkungen. Doch die Vorwürfe halten einer genauen Analyse nicht immer stand.

Professor Dr. Ulrich Alfons Müller vom Universitätsklinikum Jena und seine Kollegen haben die Vorwürfe gegen Sulfonylharnstoffe (SH) unter die Lupe genommen. Ihrer Meinung nach sprechen drei Argumente für die etablierte Substanzklasse:

  • Es gibt bereits mehr als 50 Jahre Erfahrung mit Sulfonylharnstoffen. Überraschungen sind nach dieser langen Zeit kaum mehr zu erwarten.
  • Sulfonylharnstoffe (SH) beeinflussen HbA1c-Wert und Glukosespiegel in der Monotherapie ebenso effektiv wie Metformin und senken den HbA1c-Wert stärker als andere orale Antidiabetika. In der Kombination mit Metformin sind SH vergleichbar wirksam wie DPP4- oder SGLT2-Hemmer.
  • Nur für drei orale Antidiabetika ist eine signifikante Reduktion der mikrovaskulären Endpunkte Retinopathie und Nephropathie aufgrund der antidiabetischen Wirkung nachgewiesen: Glibencl­amid, Glipizid und Metformin. Nach den Ergebnissen der UKPD-Studie senken SH das Risiko für mikrovaskuläre Endpunkte bei nicht-adipösen Patienten ebenso effektiv wie Insulin. Im Langzeitverlauf der Studie wurde auch eine Reduktion von Myokardinfarkt und Mortalität in der Insulin/SH-Gruppe signifikant.

Die Kritikpunkte bewerten die Kollegen wie folgt:

  • Hypoglykämien: SH können Hypoglykämien induzieren. Diese sind jedoch meist leicht und treten mit einer Häufigkeit von 0,5–1 Ereignis pro Patient und Jahr auf. Unter Insulin liegt das Risiko für Unterzuckerungen um den Faktor zwei bis vier höher. Dass schwere Hypoglykämien in Deutschland zugenommen haben, ist der Intensivierung der Diabetestherapie zuzuschreiben. Der Trend war jedoch nur bei Patienten unter intensivierter Insulintherapie signifikant.
  • Gewichtszunahme: Die Patienten legen unter einer SH-Therapie vor allem im ersten halben Jahr an Gewicht zu. Aber auch in Langzeitstudien bleibt diese Zunahme immer unter 2 kg und damit innerhalb der normalen Schwankungsbreite von 3 % (bei einem Körpergewicht von 70 kg).
  • Kardiovaskuläre Komplikationen: Für Verwirrung sorgte eine Metaanalyse, die für SH eine erhöhte Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität ermittelte. Allerdings stammen die hierfür verwendeten Daten aus Beobachtungsstudien. Wegen der fehlenden Randomisierung ist nicht auszuschließen, dass Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen behandelt wurden, aufgrund anderer Faktoren stärker kardiovaskulär gefährdet waren, z.B. wegen eines höheren Alters oder Blutdrucks. In der ADOPT-Studie lag das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter Glibenclamid nicht höher als unter Metformin. Nicht ganz eindeutig geklärt ist die kardio­vaskuläre Sicherheit bei Kombination von Glibenclamid und Metformin.

Was folgt daraus für die Praxis?

Der Sulfonylharnstoff der ersten Wahl sollte Glibenclamid sein, für das eine randomisierte klinische Endpunktstudie vorliegt. Um Hypoglykämien zu vermeiden, sollten zu Beginn niedrige Dosen verwendet werden. Schon 1 mg pro Tag kann den Blutzucker deutlich senken.

Keine Sulfonylharnstoffe für KHK-Patienten

Liegt der HbA1c-Wert unter 7 %, muss kritisch hinterfragt werden, ob der Sulfonylharnstoff überhaupt noch nötig ist. Auch wenn Wechsel­wirkungen mit Vitamin-K-Antagonisten und einer Reihe von Antibio­tika (Clarithromycin, Levofloxacin, Metronidazol, Sulfamethoxazol-Trimethoprim, Ciprofloxacin) zu befürchten sind, ist Vorsicht geboten. Wegen der nicht ganz klaren kardiovaskulären Datenlage sollten KHK-Patienten keine SH erhalten. Auch Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz müssen ausgenommen werden, da bei ihnen mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko zu rechnen ist.

Und last, but not least: Jeder, der mit SH behandelt wird, muss gut geschult sein, insbesondere im Bereich Hypoglykämien. Außerdem muss der Patient wissen, wann die Therapie vorübergehend unterbrochen werden muss. Wenn dies alles beachtet wird, sind SH nach wie vor effektive und wichtige Substanzen in der Diabetestherapie. 

Quelle: Müller U et al. Arzneiverordnung in der Praxis 2018; 45: 116-123

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Unter Sulfonylharnstoffen tritt lediglich eine therapiebedingte Hypoglykämie pro Patient und Jahr auf. Unter Sulfonylharnstoffen tritt lediglich eine therapiebedingte Hypoglykämie pro Patient und Jahr auf. © iStock.com/andresr