
Tuberkulose im Gepäck

Als die European Respiratory Society ihr Webinar zum Thema „Tuberkulose bei Migranten und Geflüchteten“ vorbereitete, standen zwar bereits erste russische Soldaten vor der ukrainischen Grenze. Mit Krieg rechneten die Organisatoren aber nicht. Nun mussten sie ihr Programm kurzfristig anpassen, auch weil einer der vorgesehenen Referenten, Daniel Kashnitsky, exakt zum Zeitpunkt des Webinars wegen Teilnahme an einer Antikriegsdemonstration in Moskau vor Gericht stand. Zuvor konnte er seine Unterlagen noch an Paul Sommerfeld aus London, Vorsitzender der TB Europe Coalition, übergeben, der sie an seiner Stelle präsentierte.
Zwischen 2016 und 2020 hatte die Ukraine einen deutlichen Rückgang der Tuberkuloseinzidenz um mehr als ein Drittel erreicht, berichtete Sommerfeld. Viele dieser Fortschritte stehen aber wegen Pandemie und Krieg auf dem Spiel oder sind bereits verloren. Zum Vergleich: In der Ukraine betrug die Inzidenz zuletzt etwa 40/100.000 Einwohner, in Deutschland lag sie fast zehnmal niedriger bei 4,8/100.000. Jeder dritte Patient in der Ukraine ist mit multiresistenten M. tuberculosis infiziert. In Deutschland liegt der Anteil bei gerade mal 3 %.
Informationsmaterial in ukrainischer Sprache
- dzk-tuberkulose.de - auf der Webseite bietet das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose u.a. Info-Materialien auf Ukrainisch zum Download an.
- explaintb.org - Explain-TB steht sowohl als App als auch als Webseite zur Verfügung. Man findet Informationen in rund 30 Sprachen, darunter auch Ukrainisch.
- rki.de/DE/Content/GesundAZ/F/Flucht/Flucht_inhalt.html - Ärzte finden auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts umfangreiche Informationen zum Thema Flucht und Gesundheit inklusive Tuberkulose. Diese wurden kürzlich um aktuelle Hinweise zur Ukraine ergänzt.
Mit einigen Hundert Tbc-Patienten rechnen
Wie viele Menschen mit Tuberkulose aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind oder es noch tun werden, lässt sich nur schätzen, zumal viele privat unterkommen. Ausgehend von etwa 300.000 Schutzsuchenden, die Deutschland im ersten Kriegsmonat erreicht haben, dürften darunter einige Hundert Tuberkulosepatienten sein. Sie rasch zu finden und einer adäquaten Therapie zuzuführen, ist eine Herausforderung für alle im Gesundheitswesen Beschäftigten.
Im Webinar schilderten außerdem Oxana Rucsineanu aus Moldau und Ivan Solovic aus der Slowakei die Situation in ihren Ländern, die wie auch Polen besonders viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben. Interessierte Kollegen können sich das Webinar noch auf dem ERS Respiratory Channel anschauen und die meisten Präsentationen dort herunterladen, auch die von Daniel Kashnitsky.
Bestehende Therapien rasch fortsetzen- Im Interview mit Prof. Dr. Torsten Bauer, Lungenklinik Heckeshorn
Werden Tuberkuloseerkrankungen bei den Menschen, die aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind, systematisch erfasst?
Nur wenn diese Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht werden. Dann greift das Infektionsschutzgesetz. Aktuell lässt sich nicht beurteilen, wie hoch der Anteil derer ist, die dort unterkommen. Insofern haben wir kein vollständiges Bild der Situation. Bei mindestens 300.000 Menschen, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind, müssen wir aber mit einer gewissen Zahl an Tuberkulosekranken rechnen – wie vielen genau, versuchen wir gerade in der Zusammenarbeit aller Institutionen zu prognostizieren. Auf jeden Fall wird die Anzahl medizinisch gut handhabbar sein.
Ein Problem liegt darin, die Kontinuität der Therapie unter Kriegs- und Fluchtbedingungen zu gewährleisten. Was können niedergelassene Kollegen tun, um die Situation zu verbessern?
Wir müssen unterscheiden. Es gibt Geflüchtete, bei denen die Infektion bereits bekannt und in der Heimat behandelt war. Die werden wahrscheinlich relativ schnell medizinische Fürsorge suchen. Für sie ist wichtig, dass die Therapie nicht zu lange unterbrochen wird, genau gesagt: nicht länger als zwei Monate. Die Kollegen sollten solche Patienten getrost in spezialisierte Zentren überweisen, um die Therapie überprüfen zu lassen. Alle, die schon in Behandlung sind, sollten noch einmal reevaluiert werden, um sicherzustellen, dass der Erreger noch sensibel und die Medikation noch die richtige ist.
Bei den anderen gilt es, vor allem an die Möglichkeit einer Tuberkulose zu denken. Die Prävalenz in der Ukraine ist zehnmal so hoch wie bei uns, wo die Tuberkulose zu den seltenen Erkrankungen zählt. Wir appellieren an die niedergelassenen Kollegen, z.B. bei chronisch Kranken, bei Gewichtsverlust, starkem Schwitzen und ähnlichen Symptomen an die Tuberkulose zu denken und entsprechende Diagnostik zu veranlassen – Röntgen-Thorax, ggf. auch einen IGRA*-Test.
Weiß man denn bei allen, welche Medikation sie zu Hause hatten? Viele Geflüchtete haben ihre Medikamente nicht mitnehmen können und ihre Patientenakte erst recht nicht.
So ist es, auch deshalb der Appell zur Reevaluation. Bei Patienten mit unkomplizierter Tuberkulose ist es relativ einfach, denn die Behandlung ist standardisiert und läuft praktisch weltweit gleich ab. Die Behandlung der MDR-Tuberkulose ist dagegen hochgradig individualisiert und hängt auch von der Verfügbarkeit der Medikamente ab, die selbst vor dem Krieg in der Ukraine nicht überall gegeben war. Das ist ein weiterer Grund, die Patienten in ein Zentrum zu schicken, das sich mit der Behandlung von MDR-Tuberkulosen auskennt (Infos auf dzk-tuberkulose.de).
Gibt es noch etwas, das Sie den Kollegen mit auf den Weg geben möchten?
Vielleicht eines noch: Der wichtigste Ansteckungsweg bei der Tuberkulose läuft genauso wie bei Corona über Aerosole. Die allgemeinen Maßnahmen, die vor Corona schützen, allen voran das Masketragen, schützen noch hundertmal wirksamer vor Tuberkulose, weil Bakterien noch viel besser in der Maske hängenbleiben als Viren. Aber selbst wenn man keine Maske trägt, ist die Infektiosität der Tuberkulose um ein Vielfaches niedriger als bei Virusinfektionen.
Kongressbericht: Webinar der European Respiratory Society
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