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Von Eisenmangel bis Dauerschluckauf

Die Krankheitsbilder in der hämatologischen Onkologie sind sehr heterogen, was sich auch in der Prognose widerspiegelt. So beeinträchtigt beispielsweise eine chronische lymphatische Leukämie die Lebenserwartung von Älteren kaum, während eine akute myeloische Leukämie akute Lebensgefahr bedeutet. Oft sind die Verläufe aber auch unvorhersehbar. „Dazu kommt, dass fast immer eine Stammzelltransplantation, also theoretisch eine Heilung, am Horizont steht“, betonte Dr. Ralph Simanek vom Gesundheitszentrum Floridsdorf der Österreichischen Gesundheitskasse in Wien. Das bedeutet, dass die Patienten bis zum Ende intensive Therapien erhalten und eher selten in Palliativstationen oder Hospize integriert werden.
Erschwert wird die Aufnahme in diese Einrichtungen auch dadurch, dass häufig aufgrund einer Knochenmarkinsuffizienz ein großer Substitutionsbedarf besteht. Viele hämatologisch Erkrankte brauchen regelmäßig lebensrettende Erykonzentrate, was sich nicht überall durchführen lässt.
Blutungen nötigenfalls mit Tranexamsäure begegnen
Die Symptomlast der Betroffenen ist jedoch ähnlich hoch wie bei anderen onkologischen Patienten, etwa durch Fatigue oder Schmerzen – ein Dilemma: „Die Patienten sollten nicht wählen müssen zwischen der Transfusion und dem Hospiz“, erklärte der Kollege.
Losgelöst von der hämatologisch-onkologischen Grunderkrankung entwickeln viele Palliativpatienten hämatologische Komplikationen. Etwa 70 % leiden an einer Anämie, 40 % an einem Eisenmangel. Bei der Anämie lohnt es, die Genese zu klären und dann gezielt zu behandeln. Dazu gehört, auf Blutverluste zu achten, die beispielsweise durch Medikamente wie NSAR und Antikoagulanzien, wiederholte Blutentnahmen oder Endoskopien entstehen. Eventuell sollte man die Gabe von Tranexamsäure erwägen.
Eine Anämie entsteht zudem häufig im Rahmen einer Kachexie. Die Kachexie ist Ausdruck gesteigerter Inflammation, es kommt zur interleukin- und hepcidingetriebenen Eisenverwertungsstörung mit nachfolgendem funktionellem Mangel. Die orale Substitution bleibt daher meist erfolglos. Wenn ausgeglichen werden soll, dann intravenös. Zu erythropoesestimulierenden Substanzen wie Epoetin alfa riet Dr. Simanek nicht routinemäßig. Sinnvoll sind sie bei myelodysplastischem Syndrom oder renaler Anämie, „aber erst ab einem Hb < 10 g/dl“. Erykonzentrate können einige Symptome wie Fatigue, Dyspnoe oder Schwäche lindern, der Effekt hält aber nicht lange an. Zudem gibt es für ihre Anwendung in dieser Indikation nur wenig Evidenz.
Die Thrombosegefahr wird in der Palliativmedizin unterschätzt, bemängelte der Onkologe. Im Rahmen eines auf Station durchgeführten Screenings fanden sich, unabhängig von einer Prophylaxe, bei 34 % der Patienten tiefe Femoralvenenthrombosen. Die Inzidenz lag aber in der Untersuchung lediglich bei 2 %, auf das Überleben hatten die Gerinnsel keinen Einfluss. Da die meisten Patienten ihre Thromben offenbar bereits mitgebracht hatten, lässt sich ableiten, dass eine Prophylaxe in der letzten Lebensphase auf einer Palliativstation vermutlich zu spät kommen dürfte, meinte Dr. Simanek. Dezidierte Leitlinienempfehlungen für die letzte Lebensphase gibt es nicht.
Cave: Muskelverlust!
Ein großes Problem in der Palliativmedizin ist die Sarkopenie. Sie kann sehr rasch vonstattengehen, wie Dr. Simanek anhand einer eigenen Untersuchung belegte. Eingeschlossen waren 55 Patienten mit hämatologischer Grunderkrankung (z.B. Multiples Myelom, akute lymphatische Leukämie, Hodgkin-Lymphom), die nicht am Lebensende standen. Mittels bioelektrischer Impedanzanalyse wurde jeweils vor Stammzellreinfusion und vor Entlassung die Körperzusammensetzung bestimmt. Durchschnittlich lagen 17 Tage zwischen den beiden Messzeitpunkten.
Das Team berechnete einen mittleren Gewichtsverlust von 2,7 kg, die Körperzellmasse sank um 2,8 kg, der Phasenwinkel als Maß für die Muskelmasse fiel um 0,5 ° ab. Fettmasse und extrazelluläres Wasser blieben gleich. „Muskelabbau ist ein Waldbrand, der Wiederaufbau ähnelt der Aufforstung“, mahnte der Onkologe.
Individuelle Abwägung bei der Thromboseprophylaxe
Bei bestimmten Tumorentitäten mit sehr hohem Risiko – z.B. bei Pankreas- oder Magenkarzinomen – könnte die frühe Gabe niedermolekularer Heparine allerdings zumindest vor einer Lungenembolie schützen. Der Kollege riet zusammenfassend zu einer pragmatischen und individuellen Entscheidung pro oder contra Prophylaxe.
Schluckauf gilt gemeinhin als Bagatellbeschwerde, wegen der kaum jemand einen Arzt aufsucht. Anders sieht das aus, wenn das Leiden chronisch wird, erklärte Norbert Schürmann von der Abteilung für Palliativmedizin und Schmerztherapie am St. Josef Krankenhaus in Moers. Als chronisch gilt ein Singultus, wenn er länger als 48 Stunden andauert. Die Frequenz kann zwischen zwei und sechzig Mal pro Minute schwanken. Bei schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen ist ein Schluckauf manchmal das einzige Zeichen für ein entzündliches Geschehen im Zentralnervensystem, z.B. bei der Neuromyelitis optica, oder ein erster Hinweis auf ein ischämisches Geschehen im Hirnstamm.
Unter den Palliativpatienten sind 6–8 % (zumindest vorübergehend) von einem chronischen Singultus betroffen. Zu den möglichen Ursachen gehören:
- Tumoren im oberen Gastrointestinaltrakt mit Zwerchfellirritation
- Reizung des Zwerchfells bei Peritonealkarzinose
- Tumoren im Kopf-/Halsbereich mit Irritationen des N. vagus
- Medikamente inklusive Chemotherapeutika
- psychische Belastung im Zusammenhang mit der Grunderkrankung
Das dauernde Hicksen schränkt nicht nur die Lebensqualität erheblich ein. Es erschwert darüber hinaus die Nahrungsaufnahme und begünstigt somit eine Kachexie. Außerdem fördert es Ängste, Depressionen und Schlafstörungen. Unter Umständen kann es auch eine Ösophagitis auslösen.
Medikamente gegen chronischen Schluckauf | ||
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Medikament | Wirkung | Dosis |
Metoclopramid/Domperidon | reduzieren die Magendehnung | mit 2 x 10 mg/d beginnen |
Baclofen | Muskelrelaxans, blockiert Singultusstimulus | mit 2 x 5 mg/d beginnen |
Gabapentin und Pregabalin | blockieren Singultusstimulus | Gabapentin: mit 3 x 100 mg/d beginnen Pregabalin: mit 2 x 25 mg/d beginnen |
Haloperidol | unterdrückt zentral Singultusreflex | 3 x 1–4 mg/d |
Fortecortin | abschwellend (wenn eine lymphknotenbedingte Phrenicusreizung vorliegt) | 8–24 mg/d |
Nifedipin | setzt Muskelspannung herab | 2–3 x 10 mg/d sublingual |
PPI | senken Magensäure | 1–2 x 20–40 mg/d |
Lidocain | blockiert spannungsabhängige Natriumkanäle in den Zellmembranen der Nervenzellen | als Gel 2%ig (vorzugsweise) oder Infusion s.c. mit 1–4 mg/kg/d |
Amitriptylin | unbekannt | 3 x 10–25 mg/d |
Chlorpromazin | Blockade verschiedener Neurotransmitterrezeptoren (wenig Daten) | 3 x 25–50 mg/d |
Valproat | blockiert spannungsabhängige Natrium- und Kalziumkanäle | einschleichend bis 20 mg/kg/d |
Eine kausale Therapie ist meist nicht möglich, es gibt aber eine Reihe von Behandlungsansätzen (s. Tabelle). Die größte Evidenz liegt für Baclofen vor, als einzige Medikation oder in Kombination mit Gabapentin. Auch Neuroleptika allein oder zusammen mit Baclofen/Gabapentin zeigen häufig Erfolg. Lidocain wird nach einem Zufallstreffer heute ebenfalls genannt: Ein Patient mit Schluckauf, der gleichzeitig wegen einer Mukositis Lidocain topisch anwenden sollte, hatte das Arzneimittel aus Versehen verschluckt – und der Singultus stoppte.
Neben Medikamenten kann man es mit Atemmanövern, nasaler/pharyngealer/vagaler Stimulation oder Akupunktur, Oberbauchmassagen zur Beruhigung des N. phrenicus, mit Stromapplikation oder Verhaltenstherapie versuchen. Schürmann hält vor allem die Akupunktur für ein vielversprechendes Verfahren. Ultima Ratio ist die partielle Resektion des Zwerchfellnervs.
Quelle: Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2024
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