
Welche Ursache hatte das akute Nierenversagen?

Der Fall
Ein 56-jähriger Patient kommt zur weiteren nephrologischen Betreuung. Es bestehen Übelkeit, Gewichtsverlust und starker Juckreiz.
- Vor vier Monaten akutes Nierenversagen nach Ibuprofen-Einnahme
- Diabetes Typ 2
- Chronische Hepatitis C mit Leberzirrhose
Diagnosen:
- Terminale Nierenerkrankung im CKD Stadium 5
- Z.n. akutem Nierenversagen bei nierenbioptisch nachgewiesener diffuser mesangial fokaler mesangiokapillären proliferativen IgA-Glomerulonephritis. Des Weiteren mit fokaler segmentaler Glomeruloskleroser und akutem diffusem potentiell reversiblem Tubulusepithelschaden
- Hämaturie und Proteinurie
- Z.n. Ibuprofendauereinnahme 800 mg täglich über 4 Wochen
- Diabetes mellitus Typ 2
- Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis C Virusinfektion,
- Therapie mit Epclusa bis Frühjahr 2021
- Splenomegalie
- Thrombozytopenie
- Rezidivierende chronische Pankreatitiden seit 2003
- Bipolare affektive Störung mit manisch-depressiven Phasen
- Z.n. Abhängigkeit von Opiaten (Analgetika)
- Z.n. chronischem Alkoholabusus bis 2005
- Z.n. Nikotinabusus bis 2003
Anamnese:
Der 56-jährige Patient stellt sich zur weiteren nephrologischen Betreuung bei Zustand nach akuten Nierenversagen in der Sprechstunde vor.
Vor vier Monaten wurde erstmalig ein akutes Nierenversagen festgestellt. Zuvor erfolgte eine Ibuprofen-Einnahme über 4 Wochen mit 800 mg täglich. In der hieraufhin durchgeführten Nierenbiopsie zeigte sich eine diffuse mesangiale fokale mesangiokapillär proliferative IgA-Glomerulonephritis. Des Weiteren eine fokale segmentale Glomerulosklerose und ein akuter diffuser potentiell reversibler Tubulusepithelschaden.
An Vordiagnosen sind eine Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis-C-Virusinfektion bekannt. Aufgrund der verminderten Nierenfunktion wurde die Therapie der Hepatitis C mit Epclusa im Frühjahr 2021 beendet. Weiterhin bestehen eine Splenomegalie, eine Thrombopenie, seit 2003 rezidivierende chronische Pankreatitiden und ein 2007 diagnostizierter Diabetes mellitus Typ 2.
Bipolare Störung seit 1990 mit manisch-depressiven Phasen.
Z.n. Opiatabhängigkeit, Z.n. Nikotinabusus bis 2003, Z.n. chronischem Alkoholabusus bis 2005.
Der Patient beklagt eine seit einigen Wochen bestehende starke Übelkeit, manchmal ringförmige abdominelle Schmerzen, der Blutdruck sei niedrig um 100/70 mmHg, die Wassertablette wurde bereits abgesetzt. Dyspnoe wird verneint, auch bei Belastung, Diurese sei gut, keine Dysurie. Es bestehe starker Juckreiz. In letzten 2 Monaten habe er 35 kg abgenommen, aktuelles Gewicht 112 kg. Es fand bis zum heutigen Tage urologische Betreuung statt. Trinkmenge betrage ca. 2 l täglich.
Körperlicher Untersuchungsbefund:
- Guter AZ bei adipösem EZ, Größe 183 cm, Gewicht 112,8 kg, BMI 33,68 Kg/m².
- Blutdruck im Sitzen: am linken Oberarm 124/72 mmHg, am rechten Oberarm 94/62 mmHg, SpO2 ohne Sauerstoff 98 %.
- Integument und Skleren anikterisch, keine Effloreszenzen, kein Exanthem.
- Herz/Kreislauf: kardiopulmonal kompensiert, Herztöne rein und rhythmisch, keine Halsvenenstauung, Carotiden frei, kein Perikardreiben.
- Periphere Pulse beidseits kräftig palpabel, Peripherie warm, keine peripheren Ödeme.
- Lunge: Thorax symmetrisch, vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, atemabhängig seitengleiche Verschieblichkeit der Lunge.
- Abdomen: weich, indolent, keine Resistenzen, keine palpable Organomegalie, DGs regelrecht in allen vier abdominellen Quadranten
- Bewegungsapparat: kein Wirbelsäulenklopfschmerz
- Nierenlager: beidseits nicht klopfschmerzhaft
- Grobneurologisch unauffällig
- Klinisch keine Hinweise für eine Vaskulitis
Abdominalsonographie:
Leber: normal groß, homogene Binnenstruktur und Textur vermehrt, echogen, keine Erweiterung der intrahepatischen Gallengänge, Randwinkel stumpf, Gallenblase normal groß, keine Gallensteine, DHC nicht einsehbar.
Pankreas: nicht einsehbar.
Milz: vergrößert.
Rechte Niere: orthotop gelegen, normal groß: 11,3 x 5,8 cm, Parencymbreite 1,4 cm; kein Aufstau, keine Zysten, keine Raumforderung, RI 0,74.
Linke Niere: orthotop gelegen, normal groß: 11,5 x 6,5 cm, Parencymbreite 1,2 cm; kein Aufstau, keine Zysten, keine Raumforderung, RI 0,74.
Harnblase: glatte Oberfläche, orthotop gelegen, unauffällige Wandverhältnisse, intraluminal keine path. Echostrukturen, normale Organgröße.
Aorta abdominales: unauffällig.
Beurteilung:
Eingeschränkte Untersuchungsbedingungen bei Adipositas und Darmgasüberlagerung.
- Altersentsprechende Nieren, keine Zysten, kein Harnaufstau bds., keine Raumforderung, nach indirekten Kriterien kein Hinweis auf eine Nierenarterienstenose bds.
- Splenomegalie
- Leberzirrhose, keine Aszites
Weitere stationäre Abklärung:
Gastroskopie:
Ausschluss Tumor im Ösophagus, Magen, Duodenum bei ausgeprägter Kontaktvulnerabilität.
Koloskopie:
Vereinzelte Teleangiektasien im Kolon bei auch hier ausgeprägter Kontaktvulnerabilität.
Rö-Thx in 2 Ebenen:
Keine Pathologie.
Laborwerte:
Kenngröße | Maßeinheit | Laborparameter | Referenzbereich |
---|---|---|---|
Kreatinin | mg/dl | 5,5 | 0,67 – 1,18 |
eGFR nach CKD-EPI | ml/min | 10,4 | |
PTH | mmol/l | 300 | 15 – 65 |
Ca | mg/dl | 1,9 | |
Hämoglobin | g/dl | 11,1 | 12,5 – 17,2 |
HST | mg/dl | 140 | 16,6 – 48,5 |
HbA1c | % | 8,6 |
Immunologische Diagnostik | Maßeinheit | Laborparameter | Referenzbereich |
---|---|---|---|
ANA | 1:80 | <1:80 | |
Doppelstrang-DNS-Ak | <5 | <5 | |
ANCAs | <1:20 | <1:20 | |
Bence-Jones-Protein im Urin | nicht nachweisbar | ||
κ-Leichtketten im Serum | g/l | 0,0044 | 0,003 – 0,01 |
λ-Leichtketten im Urin | g/l | 0,005 | 0,006 – 0,02 |
Pospholipase-2-Rezeptorantikörper (PLA-2-Rezeptor-Antikörper) | U/ml | 12 | <14 |
HIV 1/2 | Pos. | Pos. | |
Hepatits B | Neg. | Neg. | |
Komplementfaktoren C3 | mg/dl | 90 | 88 – 228 |
Komplementfaktoren C4 | mg/dl | 20 | 16 – 47 |
HbA1c | % | 6,7 % | < 6 % |
Urinstatus | |||
---|---|---|---|
Ery qual. | Pos. | Negativ | |
Leuko qual. | Neg. | Negativ | |
Protein qual | Pos. | Negativ | |
Glukose qual. | Pos. | Negativ/Norm | |
Keton qual | Neg. | Negativ | |
Bili qual. | Neg. | Negativ | |
Urobilinogen qual. | µmol/l | 3,2 | <16 |
ph-Wert | 6,6 | ||
Nitrit qual. | Neg. | Negativ | |
Dichte | 1,010 |
24h-Sammelurin | ||
---|---|---|
Proteinurie | 5 g/Tag | < 150 mg/Tag |
Albuminurie | 3 g/Tag | < 30 mg/Tag |
Aktuelle Medikation:
ISENTRESS 400 mg Filmtabletten 1 - 0 - 1 - 0
DARUNAVIR Heumann 800 mg Filmtabletten 1 - 0 - 0 - 0
NORVIR 100 mg Filmtabletten 1 - 0 - 0 - 0
BUPRENORPHIN AL 20 µg/h transd.Pfl. 20mg/Pfl.7T 2 - 0 - 1 - 0
PANTOPRAZOL AAA 40 mg magensaftres.Tabletten 0 - 0 - 1 - 0
FLUVASTATIN AbZ 20 mg Hartkapseln 0 - 0 - 1 - 0
RAMIPRIL AbZ 5 mg Tabletten ½ - 0 - 0 - 0
AMLODIPIN AAA 5 mg Tabletten 0 - 0 - 0 - 0
Pause, bei Blutdruck über 120/80
bitte wieder einnehmen 1 x 5 mg
TOREM 10 Tabletten 0 - 0 - 0 - 0
Pause durch die HÄ
LANTUS 100 E/ml SoloStar 0 - 0 - 0 - 0
Inj.-Lsg.i.e.Fertigpen nach Schema
ACTRAPID InnoLet 100 I.E./ml 0 - 0 - 0 - 0
Inj.-Lsg.i.Fertigpen nach Schema
BICANORM magensaftresistente Tabletten 1 - 0 - 0 - 0
ALLOPURINOL 100 Heumann Tabletten 1 - 0 - 0 - 0
COLECALCIFEROL Aristo 20.000 I.E. Weichkapseln 0 - 0 - 0 - 0
1 Kapsel am 1. und 15. des Monats
Welche Erkrankung, die uns der Patient nicht mitgeteilt hat, könnte mit ursächlich für und assoziiert mit einer IgA-Nephritis sein? Könnte sie verantwortlich sein für ein akutes Nierenversagen sowie für eine chronische Nierenerkrankung?
Lösung
Diagnose:
Mit HIV assoziierte IgA-Nephropathie
Am ehesten erscheint hier eine HIV-Erkrankung ursächlich zu sein, sie ist mit einer IgA-Nephropathie assoziiert.
Auf Nachfrage bestätigte der Patient, dass diese seit längerem vorlag.
Beurteilung:
Die Nierenfunktion ist mit einer eGFR von 10,4 ml/min anhand des Cystatin C und Kreatinin schwer eingeschränkt im terminalen Bereich.
Ursächlich für das akute Nierenversagen im Rahmen einer IgA-Nephropathie könnte die HIV-Erkrankung sein. Begleitend könnte die NSAID-Einnahme eine Rolle gespielt haben. Zusätzlich könnten aber auch die HIV-Medikamente eine Rolle gespielt haben.
Raltegravir kann zu akutem Nierenversagen, Nephritis, Nephrolithiasis, Nykturie, Nierenzysten, Nierenfunktionsstörungen und tubulointerstitieller Nephritis führen.
Darunavir kann ebenfalls zu einem akuten Nierenversagen führen.
Im Urinstatus zeigte sich eine Mikrohämaturie. Das Urinsediment war nicht nephritisch verändert.
In der Urindiagnostik konnten eine signifikante Proteinurie sowie moderat erhöhte Albuminurie nachgewisen werden.
Sonographisch zeigten sich die Nieren altersentsprechend ohne Harnaufstau.
In der duplexsonografischen Untersuchung der Nierengefäße waren die intrarenalen Widerstandsindices normwertig. Somit ist eine Nierenarterienstenose bds. sehr unwahrscheinlich.
Die Elektrolyte waren ausgeglichen.
In der BGA konnte eine metabolische Azidose diagnostiziert worden. Hier wurde eine bicaNorm Therapie begonnen.
Die Blutbildung zeigte sich insuffizient bei bereits erfolgter diagnostischer Abklärung am ehesten im Rahmen einer renalen Anämie.
Der Blutzuckerhaushalt und Lipidstoffwechsel waren unter der aktuellen Medikation gut eingestellt.
Es lag ein sekundärer Hyperparathyreoidismus bei Vitamin-D-Mangel vor. Die orale Substitution wurde initiiert. Die Harnsäure war deutlich erhöht.
Insgesamt zeigte sich eine Nierenfunktion im terminalen Bereich bei begleitenden renalen Folgeerkrankungen einer metabolischen Azidose und eines sekundären Hyperparathyreoidismus.
Hier wurde eine harnsäuresenkende nierenadaptierte Therapie mit Allopurinol begonnen.
Um der Progredienz der eingeschränkten Nierenfunktion entgegenzuwirken, sollte auf nephrotoxische Medikamente verzichtet werden, dies gilt insbesondere für nichtsteroidale Antiphlogistika.
Falls eine Kontrastmittel-Applikationen notwendig sein sollte, sollte diese nur unter Nephroprotektion erfolgen.
Der arterielle Bluthochdruck sollte im Tagesdurchschnitt 130/80 mmHg betragen. Des Weiteren sollten die kardiovaskulären Risikofaktoren so weit wie möglich minimiert werden.
HIV und Nierenbeteiligung
Eine HIV-Infektion kann zu einer akuten und einer chronischen Nierenerkrankung führen. Hierbei ist wichtig, dass die HIV-Infektion gezielt die Niere befällt. Es werden vor allem die Tubuluszelle und die Glomeruli direkt von der HIV-Infektion angegriffen.
Klinisch ist eine HIV assoziierte Nephropathie durch einen schnellen Nierenfunktionsverlust charakterisiert. Dieser tritt besonders bei afroamerikanischen Patienten mit dunkler Hautfarbe auf und führt in wenigen Monaten zur Dialysepflicht.
Begleitend kann eine Proteinurie von bis zu 3,5 g/d auftreten.
Sonographisch weisen die Nieren keine pathologischen Befunde auf.
Das histologische Bild ist gekennzeichnet durch:
- einen globalen und segmentalen Kollaps der Kapillaren ohne mesangiale Matrixvermehrung
- mikrozystische Dilatationen der Tubuli
- interstitielle Ödeme beziehungsweise Fibrose
- interstitielle entzündliche Infiltrate aus mononukleären Zellen (Lymphozyten und Monozyten) und Plasmazellen
Das erhöhte Risiko für eine HIV-assoziierte Nephropathie bei Patienten mit dunkler Hautfarbe ist im APOL1-Gen begründet. Dieses führt in diesen Fällen zu einer hypertensiven Nierenerkrankung, einer fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) und einer HIV-assoziierten Nephropathie.
Diese genetische Prädisposition in Wechselwirkung mit dem humanen Gen MYH9 scheint verantwortlich zu sein für diesen Nachteil, der jedoch zugleich ein genetischer Vorteil hinsichtlich der Schlafkrankheit ist.
Nur eine frühzeitige antivirale Therapie führt zu einer Stabilisierung beziehungsweise Verbesserung der Nierenfunktion. Ansonsten wären diese Patienten relativ schnell dialysepflichtig.
Andere Glomerulonephritiden bei HIV-Infektion
In Zusammenhang mit einer HIV-Infektion können HIV assoziierte renale Erkrankungen auftreten, vor allem in Form einer:
- Lupus-artigen Glomerulonephritis
- einer IgAN (Immunglobulin-A-Nephropathie)
- einer Membranösen GN
- einer Membranoproliferativen GN
- einer Immunkomplex-GN
- oder auch einer Amyloidnephropathie.
Bei kaukasischen Patienten sind vor allem die IgA Nephropathie und die Membranöse GN und die Membranoproliferative GN mit einer HIV-Infektion assoziiert.
Eine Proteinurie tritt häufiger auf, bei 5,6-30 % der Patienten.
Bei einer Membranösen GN sollte zuvor jedoch eine virale Hepatitis und ein Malignom ausgeschlossen werden.
Als Komplikation einer unbehandelten HIV-Infektion kann ein akutes Nierenversagen mit einer thrombotischen Mikroangiopathie in Form des hämolytisch-urämischen Syndroms sowie einer TTP (thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) auftreten.
Eine weitere Ursache einer Nierenfunktionsverschlechterung im Rahmen einer HIV-Infektion kann die komplexe antivirale Therapie sein.
Quelle: Nephrologie 20, 2015: 240 – 247, A. Rieke, K. Amann, J. Lutz: Nierenerkrankung bei HIV-Infektion, Bestandsaufnahme nach fast 40 Jahren mit HIV
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 6/2024
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).