Arzneiinformationssystem: Verordnungshilfe oder Regressfalle?
Ursprünglich sollte das Arzneimittelinformationssystem (AIS) im Juli in die Praxisverwaltungssysteme (PVS) integriert werden. Diese Frist konnte von den Softwareanbietern jedoch nicht eingehalten werden, weil die Testdatensätze vom G-BA zu spät veröffentlicht wurden.
Deshalb hat die KBV mit dem GKV-Spitzenverband vereinbart, dass die Praxen keine negativen Folgen befürchten müssen, wenn in ihrer Verordnungssoftware die gesetzlich vorgegebenen AIS-Inhalte erst im Oktober strukturiert angezeigt werden. Konkret: „Der GKV-Spitzenverband hat zugesichert, dass er seinen Mitgliedskassen empfehlen werde, den Vertragsärzten – aufgrund der unvermeidlichen Übergangszeit – daraus keine Nachteile entstehen zu lassen.“
Das klingt jetzt allerdings weniger nach Verordnungshilfe, sondern eher nach einem neuen Regress-Instrument. Wenn schon die verspätete AIS-Installation mit einer potenziellen Strafe in Verbindung gebracht wird, wie wird sich das AIS dann bei der Umsetzung auswirken – und wo sind seine Fußangeln?
Suchergebnisse mit Angaben zur Therapie angereichert
Rechtsgrundlagen des AIS sind das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz von 2017 sowie die Elektronische Arzneimittelinformationen-Verordnung. Bestimmt wurde: Bei der Anzeige des zu verordnenden Arzneimittels oder Wirkstoffs in den Suchergebnissen und Vergleichslisten der Praxissoftware erfolgt ein Hinweis, wenn ein Beschluss des G-BA hierzu vorliegt. Die Verordnungssoftware muss Recherchen nach dem Arzneimittel, dem Wirkstoff sowie dem zugelassenen Anwendungsgebiet ermöglichen.
Bei der Verordnung eines Medikaments außerhalb des Generikabereichs werden dem Verordner jetzt eine Vielzahl von Informationen zugespielt, die beim Verschreiben wohl zu beachten sind. Dazu gehören z.B.:
- Anwendungsgebiet des G-BA-Beschlusses und Patientensubgruppe
- Aussagesicherheit und Ausmaß des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie
- Ergebnisse der klinisch relevanten Endpunkte
- Anforderungen an die qualitätsgesicherte Anwendung
- Angaben, ob die Verordnung auf Ärzte beschränkt ist, die an einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung teilnehmen
- Angaben, ob es sich um ein Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen oder für neuartige Therapien (ATMP) handelt und ob eine Zulassung in Ausnahmefällen oder vorbehaltlich besonderer Bedingungen besteht.
Allein 2019 hat der G-BA 92 Beschlüsse gefasst, für 2020 werden 110 Beschlüsse erwartet. Macht man hier einen Fehler, kann die Kasse einen Einzelregressantrag stellen. In diesem Fall greift auch nicht der 2013 ins SGB V geschriebene Regressschutz, wonach Arznei- und Heilmittel-Regresse erst vollzogen werden dürfen, wenn zuvor eine Beratung des Arztes stattgefunden hat. Die Kassen haben darauf mit Einzelregressanträgen reagiert. Mit dem AIS bekommen sie nun erheblichen Rückenwind und eine Legitimation, weiter so zu verfahren.
Hinzu kommt: Die geänderte Arzneimittelverschreibungsverordnung verlangt seit Oktober 2020, dass auf dem Arzneirezept hinter dem verordneten Produkt auch die Dosierung anzugeben ist. Die alternative Kennzeichnung, dass ein Medikationsplan oder eine schriftliche Dosierungsanweisung vorliegt, erfolgt über ein Kürzel, ebenfalls am Ende der Verordnungszeile. Diese Neuerung birgt zwar keine zusätzliche Regressgefahr, steigert aber zusammen mit der AIS-Einführung die bürokratische Belastung in den Praxen, die ja eigentlich abgebaut werden sollte.
Fazit
Wer sich als Vertragsärztin oder Vertragsarzt seit diesem Quartal – insbesondere bei Erstverordnungen – nicht die Zeit nimmt, die AIS-Hinweise bei der Verordnung genau zu beachten, muss mit Einzelregressanträgen der Kassen rechnen. Solche Anträge dürfen zwar nur noch zwei Jahre rückwirkend gestellt werden, aber auch über einen solchen Zeitraum kann eine beachtliche Regresssumme entstehen.
Medical-Tribune-Bericht