Betrug und Unterschlagung: Versicherer warnen vor kriminellen Mitarbeitern
Wie die Auswertung der 2400 Schadensfälle 2018 durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeigt, machen Betrug und Unterschlagung das größte Risiko für Unternehmen hierzulande aus. Zu 75%sind dafür Kollegen verantwortlich.„ Angesichts unserer Erfahrungen müssen wir davon ausgehen, dass jedes Jahr 5 bis 10 % der deutschen Unternehmen von eigenen Mitarbeitern betrogen werden“, sagt Rüdiger Kirsch, Vorsitzender der AG Vertrauensschadenversicherung im GDV. Im Schnitt bringen kriminelle Mitarbeiter ihre Arbeitgeber um fast 115 000 Euro, ehe sie auffliegen. Externe Betrüger kämen nur auf die Hälfte dieser Summe.
Betrug flog erst auf, als die Geschäftsführerin erkrankte
Eine Buchhalterin, die sich bis in die Geschäftsführung hochgearbeitet hatte und für ihre Kollegen „wie eine Schwester“ war, zweigte zwölf Jahre lang Gelder aufs eigene Konto ab. 20 bis 30 Fälle waren es jedes Jahr, rund 750 000 Euro wurden so veruntreut. Damit das nicht während Vertretungen auffallen konnte, nahm die Frau nie mehr als drei Tage Urlaub am Stück. Erst als sie lange erkrankte, kam die Tat ans Licht.
In einem anderen Fall griff der Mitarbeiter einer Krankenkasse verbotenerweise zu. 3,5 Jahre war er im Unternehmen. Sechs Monate dauerte es, bis er durch Stichproben der Revision aufflog. Sein Trick: Er kopierte reale Krankenhausrechnungen und legte die Duplikate erneut im IT-System an. Für die Duplikate gab er als Zahlungsempfängerin eine Freundin und deren Kontodaten an.
Preisabsprachen, Schwarzgeldzahlungen, nicht weitergegebene Rabatte durch Leasingunternehmen, Kontomanipulationen – es gibt zahlreiche Betrugsvarianten.
Rund 225 Mio. Euro Schaden ist Unternehmen im vergangenen Jahr entstanden. Alle Bereiche sind tangiert, von kleinen bis großen Unternehmen. Allerdings verweist die GDV-Spitze darauf, dass es sich nur um gemeldete Fälle handelt und viele Firmen keine Vertrauensschadenversicherung besitzen.
Der Jurist Professor Dr. Hendrik Schneider, Universität Leipzig, hat viele Einzelfälle analysiert. Dabei zeigte sich, dass fehlende Sicherheitsmechanismen in den Unternehmen günstige Tatgelegenheiten bieten. Insbesondere bei längerer Unternehmenszugehörigkeit könne ein Mitarbeiter der Versuchung der günstigen Gelegenheit erliegen, erklärte der Strafrechtswissenschaftler. Bisweilen kämen persönliche Risikokonstellationen hinzu, die Taten begünstigten, z.B. „wenn der Täter meint, ‚einen Extrabonus verdient zu haben‘ oder wenn er sich vom Chef gekränkt und zurückgesetzt fühlt“.
Bei seinen Studien fand Prof. Schneider heraus, dass die „Täter in der Regel über 40 Jahre alte Männer deutscher Staatsangehörigkeit mit überdurchschnittlicher Bildung“ sind. Auch ließen sich vier Tätertypen identifizieren: Da ist der Täter mit wirtschaftskriminologischem Belastungssyndrom (Anteil an allen Tätern rund 20 %) – häufig Quereinsteiger mit schillernden Lebensläufen und einem Lebensstil, der mit legalen Mitteln nicht zu finanzieren ist. Beim Krisentäter (40 %) handelt es sich um den aufstiegsorientierten Mann/Topmanager mit kontinuierlicher Erwerbsbiografie. Der Abhängige (rund 15 %) ist hierarchisch dem Haupttäter untergeordnet. Er schuldet diesem einen Gefallen und fürchtet Repressionen bei Gefolgschaftsverweigerung. Und es gibt den Unauffälligen (rund 25 %), der nur gelegentliche Chancen nutzt.
Lob gab es von Prof. Schneider für das Gesundheitswesen. Dies sei „ein gigantischer Markt mit vielen Versuchungen“, wobei vor allem der Abrechnungsbetrug im Fokus stehe. Allerdings sei auch relativ viel präventiv getan worden. Hierzu nannte er die Stellen zur Vermeidung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, die bei der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen eingerichtet sind. Zusätzlich gebe es in einigen Bundesländern eine sehr gute Kooperation mit Staatsanwaltschaften. Dies alles führe zu viel mehr Transparenz.
Der Münchner Fachanwalt für Strafrecht Jesko Thrams warnte davor zu glauben, dass Täter nach dem ersten Mal aufhören: „Es wird weitergemacht bis zum Entdecken.“ Seiner Erfahrung nach ist in der Regel auch nicht mit einer Wiedergutmachung durch den Täter zu rechnen.
Pflicht zur Aufklärung eines Betrugsverdachts
Fatal kann das für den Geschäftsführer eines Unternehmens werden, der es versäumt hat, auf die Implementierung ausreichender Präventionsmaßnahmen zu achten. Laut Thrams besteht – um der Haftung zu entgehen – bei einem begründeten Betrugsverdacht eine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts. Bei hinreichenden Anhaltspunkten für Gesetzesverstöße gibt es die Pflicht, interne Ermittlungen durchzuführen. Aber: „Bis auf einige sozialgesetzliche Regelungen besteht grundsätzlich keine generelle Verpflichtung zur Anzeige der Täter oder Vorgänge bei Behörden!“ Bei Delikten durch Innentäter ergäben sich oft steuerliche Konsequenzen, die beim Finanzamt anzuzeigen seien.
Medical Tribune-Bericht