Coronavirus: Medikamentöse Therapie bei COVID-19-Infektion ungewiss

Autor: Friederike Klein

Derzeit lassen sich keine konkreten Empfehlungen zur medikamentösen Therapie aussprechen. Derzeit lassen sich keine konkreten Empfehlungen zur medikamentösen Therapie aussprechen. © dottedyeti – stock.adobe.com; iStock/apomares

Derzeit müssen Ärzte schwierige Entscheidungen treffen, wenn sich Patienten, die unter schweren Grunderkrankungen leiden, mit COVID-19 infizieren. Die Chemotherapie wirklich jetzt beginnen? Ibuprofen vermeiden? Und kann man das Virus mit Immuntherapien in den Griff bekommen? Wissenschaftler aus London haben sich um mehr Evidenz bemüht.

Aktuell existieren unterschiedliche Empfehlungen, ob nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) und insbesondere Ibuprofen bei Patienten mit COVID-19 angewendet werden sollen oder nicht. Es gibt derzeit keine Evidenz, die für oder gegen die Anwendung der Schmerzstiller bei Patienten mit COVID-19 spricht, konstatierten die Autoren um Dr. Beth Russell­ vom Kings College nach ihrer aktuellen systematischen Literaturanalyse.1 Hinweise fanden sich für einen möglicherweise günstigen Effekt einer Kortikosteroidgabe in der frühen Infektionsphase. Die Evidenz für die Einschätzung von Nutzen und Risiken dieser und anderer Therapien ist aber so schwach, dass man derzeit keine konkreten Empfehlungen aussprechen kann.

In einer weiteren systematischen Übersichtsarbeit haben sich Dr. Russell und Kollegen mit Assoziationen von immunsuppressiven oder immunstimulierenden Medikamenten und der Infektion beschäftigt.2 Das ist besonders relevant für die Versorgung von Krebs- oder Transplantionspatienten. Diese haben ein hohes Risiko, bei COVID-19-Infektion schwere oder fatale Atemwegserkrankungen zu entwickeln. Andererseits könnten Immuntherapien die Virusinfektion auch zurückdrängen oder abmildern.

In die systematische Auswertung wurden 89 Publikationen eingeschlossen, die sich mit Assoziationen von COVID-19 oder vorangegangenen Coronavirus-Infektionen (SARS, MERS) und folgenden Therapien beschäftigt haben: Zytostatika, niedrig dosierte Kortikosteroide, Tumornekrosefaktor(TNF)-α-Hemmer, Interleukin(IL)-­6-­Hemmer, Januskinase(JAK)-Inhibitoren, IL-1-Hemmer, Mycophenolat mofetil, Tacrolimus, Anti-CD20-Therapien und CTLA4-gerichtete Immuntherapie.

Klinische Daten fehlen

Für die beiden letztgenannten fanden die Autoren keine Studien mit COVID-19-Bezug. Bei den anderen Wirkstoffen existieren häufig zwar Hinweise auf Effekte bei COVID-19-Infektion aus In-vitro-Studien. Bislang konnten diese aber meist nicht bestätigt werden. Das gilt beispielsweise für die zytostatische Chemotherapie, die in einigen Fällen in vitro eine hemmende Wirkung auf COVID-19 gezeigt hatte. Entsprechende klinische Daten fehlen jedoch.

Der bei COVID-19-Infektion hochregulierte JAK-STAT-Signalweg oder die hohe IL-1-Freisetzung könnten potenzielle Ziele einer Therapie gegen die Viruserkrankung sein. Es gibt dazu aber keine Studiendaten mit JAK-Hemmern oder IL-1-Inhibitoren. Bekannt ist auch eine vermehrte IL-6-Ausschüttung bei COVID-19-Infektion. Hohe IL-6-Spiegel sind klar mit einem erhöhten Risiko für schwere pulmonale Komplikationen assoziiert. Ob eine IL-6-Hemmung diesen Verlauf modulieren könnte, ist aber ebenfalls ungewiss.

Therapieentscheidung bei Infizierten mit Grunderkrankung bleibt Herausforderung

Auch hinsichtlich der Frage, ob eine gegen TNF-α gerichtete Therapie einen ungünstigen Effekt auf Patienten mit COVID-19-Infektion hat, existieren noch keine sicheren Erkenntnisse. Die Rolle von Methotrexat bei COVID-19-Infektion ist ebenfalls unklar. Am Ende bleibt die klinische Therapieentscheidung bei COVID-19-Infizierten mit Grunderkrankungen eine Herausforderung. Behandelnde Ärzte werden noch eine Weile ohne valide Evidenz auskommen müssen.

Bei kritisch kranken Patienten sehen die Autoren auf Basis der Daten der ersten SARS-Coronavirus-Epidemie Evidenz dafür, dass niedrig dosiertes Prednisolon und Tacrolimus einen günstigen Effekt auf den COVID-19-Verlauf haben könnten. Mycophenolat mofetil wurde wegen vermuteter antiviraler Effekte schon bei den vorangegangenen SARS- und MERS-Coronavirus-Epidemien untersucht, allerdings mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen, sodass Vorsicht geboten ist. Am vielversprechendsten scheint den Autoren, die IL-6-Blockade zur Vermeidung schwerer Verläufe bei COVID-19-Infektion weiter zu untersuchen. 

Quellen:
1 Russell B et al. ecancer 2020; 14: 1023; DOI: 10.3332/ecancer.2020.1023
2 Russell B et al. ecancer 2020; 14: 1022; DOI: 10.3332/ecancer.2020.1022