Das Thema Männer-Brustkrebs wird sträflich vernachlässigt

Autor: Michael Brendler

Selten, aber möglich: ein Mann, der Brustkrebs hat. Selten, aber möglich: ein Mann, der Brustkrebs hat. © fotolia/Gorodenkoff

Einen Mann zur Mammographie schicken? Ungewöhnlich zwar, aber sehr wohl möglich. Gerade weil das typische Frauenleiden beim Mann so selten vorkommt, ist der „männliche“ Brustkrebs diagnostisch und therapeutisch eine echte Herausforderung.

Man muss sich nicht wundern, dass Tumoren der männlichen Brust so wenig Aufmerksamkeit bekommen: Nur etwa 1 % aller Brustkrebskranken sind Männer. Ein Promille beträgt ihr Lebenszeitrisiko, das von Frauen liegt 125-mal so hoch. Das hat Folgen: Es mangelt mächtig an Wissen zum Brustkrebs beim Mann, sagt Dr. Sharon H. Giordano vom M.D. Anderson Cancer Center der Universität Texas.

Klinische Studien zum Thema würden das starke Geschlecht für gewöhnlich ausschließen, gesonderte Untersuchungen dazu gebe es nur wenige, kritisiert die Expertin. „Die meisten Daten stammen von kleinen Patienten-Kohorten. Die Behandlungsempfehlungen stammen aus Studien, die ausschließlich Frauen einschlossen.“

Tumoren bei Männern haben andere Eigenschaften

Dabei gibt es beim Brustkrebs durchaus markante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So erkranken Männer durchschnittlich fünf Jahre später als Frauen, der Mittelwert liegt bei 67 Jahren. Auch Mutationen der BRCA-Gene spielen bei ihnen eine größere Rolle, weshalb man laut Autorin gerade bei männlichen Brustkrebs­patienten stets eine umfangreichere genetische Testung erwägen sollte. Brusttumoren beim Mann sind zudem überdurchschnittlich häufig Östrogenrezeptor-positiv und HER2-negativ. Auch sonst sind sie oft durch spezielle Mutationsmuster gekennzeichnet. „Das alles zeigt: Es gibt biologische Unterschiede zwischen den Brusttumoren von Mann und Frau, die potenziell von klinischer Bedeutung sind“, so Dr. Giordano.

Von den Überlebenden der Atombombenabwürfe weiß man, dass bei Männern zum Beispiel eine Strahlenbelastung eine wichtige Rolle bei der Karzinogenese spielt. Je größer die erhaltene Dosis, desto höher die Erkrankungswahrscheinlichkeit. Als Risikofaktor gelten auch erhöhte Östrogenspiegel. Dazu passt, dass auch andere Krankheiten, die mit einem Östrogenüberschuss einhergehen, mit einem Anstieg der Tumorrate assoziiert sind, wie Gynäkomastie, Leberkrankheiten, Abnormalitäten der Hoden und Übergewicht. Ein Klinefelter-Syndrom verfünfzigfacht infolge des niedrigen Testosteronspiegels das Tumorrisiko.

Die geringe Aufmerksamkeit, die der Krankheit beim Mann entgegengebracht wird, bringt weitere Herausforderungen mit sich. Denn zum Diagnosezeitpunkt hätten Männer oft die größeren Tumoren und häufiger regionale Lymphknotenmetastasen, berichtet die Autorin. Zudem seien die Betroffenen im Schnitt älter. All das trägt wahrscheinlich mit dazu bei, dass das starke Geschlecht die niedrigeren Überlebensraten hat.

Therapie auf Basis einer dünnen Datenlage

Eine adjuvante Bestrahlung ist auch beim Krebs der Männerbrust fester Bestandteil des Therapieplans – zumindest in der Theorie, denn angewandt wird sie längst nicht immer. Dafür werden männliche Patienten häufiger umfassender und nicht-brusterhaltend operiert. Adjuvante oder neo-adjuvante Chemotherapien sowie eine auf HER2 abzielende Behandlung werden ebenfalls empfohlen, zumindest bei hohem Rückfallrisiko, schlechter Prognose und entsprechendem Rezeptorprofil. Angesichts des hohen Anteils hormonsensibler Tumoren sei auch die endokrine Therapie von großer Bedeutung, erklärt Dr. Sharon Giordano. Allerdings finden sich gerade bei der Wirkung von Tamoxifen, von Aromatasehemmern und anderen Wirkstoffen oft Unterschiede zwischen den Geschlechtern – was angesichts der natürlichen Unterschiede in den Östrogenspiegeln kaum verwundert. Weitgehend deckungsgleich sind die Behandlungsempfehlungen für metastasierte Tumoren. Allerdings, so Dr. Giordano, sei auch hier die Datenlage recht dünn.

Erste spezifische Studien laufen gerade an

„Es gibt weiterhin große Lücken in unserem Wissen über Brustkrebs bei Männern“, klagt Dr. Giordano abschließend. Immerhin seien aber endlich erste Studien auf dem Weg, die sich speziell dieser Patientengruppe widmen oder zumindest beide Geschlechter einschließen würden. „Nur wenn diese Entwicklungen entschlossen fortgeführt werden“, so ihre Mahnung, „wird es uns gelingen, die Behandlung langfristig zu verbessern.“

Quelle: Giordano SH. N Engl J Med 2018; 378: 2311-2320