Fehlende Adhärenz – Herausforderung beim Diabetesmanagement

Autor: Christine Vetter

Ein Burnout entwickelt sich schleichend. Warnsignale müssen ernst genommen werden. Ein Burnout entwickelt sich schleichend. Warnsignale müssen ernst genommen werden. © iStock.com/davincidig

Rund jeder zweite chronisch Kranke befolgt die Behandlungsempfehlungen des ihn betreuenden Arztes nicht, zumindest nicht wie vereinbart. Dabei machen Diabetespatienten keine Ausnahme. Die Gründe für die fehlende Adhärenz sind vielschichtig und auch bei bester Motivationsarbeit durch den Arzt nicht immer zu beheben.

Fehlende Krankheitseinsicht, Schwierigkeiten von liebgewonnenen Gewohnheiten zu lassen und seinen Lebensstil umzustellen, aber auch psychosoziale Belastungen wie Stress sowie eine manifeste Komorbidität z.B. in Form einer Depression hindern Patienten nicht selten daran, den Anweisungen und Empfehlungen „ihres Doktors“ zu folgen.

Selbst bei optimaler Motivation hapert es mit der Adhärenz

Das betrifft die medikamentöse Therapie ebenso wie die Allgemeinmaßnahmen. So nehmen laut Professor Dr. Frank Petrak, Ruhr Universität Bochum, nach einem Jahr 38 % der Patienten die ihnen verordneten Antidiabetika nicht mehr regelmäßig ein. Bei einzelnen Medikamentengruppen ist die Non-Adhärenz sogar noch ausgeprägter: Ein Jahr nach der Verordnung halten sich 66 % der Patienten unter einem GLP1-Rezeptoragonisten und 73 % der Typ-2-Diabetespatienten unter einer Insulintherapie nicht wie vereinbart an die Medikation.

Bei der körperlichen Aktivität ist die Situation noch schwieriger: „Selbst bei optimaler Motivation und mittels eines Schrittzählers schaffen es sogar unter Studienbedingungen die wenigsten Patienten, ihre körperliche Aktivität dauerhaft zu steigern“, erklärte der Psychologe.

Im Einzelfall ist dabei der Frage nachzugehen, warum es dem betreffenden Patienten nicht möglich ist, therapietreu zu sein. Laut Prof. Petrak können Informations- und Kompetenzdefizite, abweichende Patientenziele, ein sekundärer Krankheitsgewinn durch den Diabetes, aber auch eine gewisse Verleugnung sowie Komorbiditäten von Depressionen über Angststörungen und eine mögliche Substanzabhängigkeit bis hin zur Demenz die Ursache sein.

Unabhängig von den Ursachen der Non-Adhärenz ist es nach Prof. Petrak als Arzt kaum möglich, Patienten nachhaltig zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme oder gar zu einer Lebensstiländerung zu motivieren. „Der Diabetes ist eine lebenslange Erkrankung. Eine nachhaltige Verhaltensänderung braucht deshalb eine intrinsische Motivation“, betonte der Psychologe. Mit anderen Worten: Es ist bestenfalls möglich, den Patienten darin zu unterstützen, sich selbst zu motivieren.

Nicht verärgert auf die fehlende Motivation reagieren

Die Verantwortung für die Umsetzung der Angebote liegt laut Prof. Petrak dann jedoch beim Patienten. Hält sich der Patient nicht an den Therapieplan, so ist das kein Grund, verärgert auf den „unmotivierten Patienten“ zu reagieren. Denn tatsächlich demonstriert der Patient auch so Kooperation. „Er zeigt, dass die vereinbarten Ziele für ihn nicht tragfähig waren“, so Prof. Petrak. Das eröffnet neue Chancen auf eine partizipative Entscheidungsfindung, „ohne den Patienten zu kritisieren oder zu entmündigen“.

Davon abgesehen ist es nach Prof. Petrak das Recht des Patienten, sich einer Therapie zu entziehen: „Eine klare, informierte und eigenverantwortliche Patientenentscheidung gegen einen Behandlungsvorschlag belässt die Verantwortung dort, wo sie hingehört, nämlich beim Patienten.“ Dazu gehört es auch, als Arzt zu akzeptieren, dass der Patient nicht therapieadhärent sein muss.

Burnout als Grund für fehlende Adhärenz?

Andererseits muss selbstverständlich alles versucht werden, die Gründe der Non-Adhärenz zu eruieren. Nicht selten verbirgt sich dahinter ein Burnout, der möglicherweise sogar durch die Belastungen infolge der Erkrankung und deren Behandlung bedingt ist. So kann sich ein Gefühl des Ausgelaugtseins bezüglich der eigenen psychischen und körperlichen Reserven breitmachen und eine emotionale Erschöpfung bedingen. Mit dem resultierenden Energiemangel verbunden sind nach Professor Dr. Norbert Hermanns, Forschungsinstitut an der Diabetes-Akademie (FIDAM), Bad Mergentheim, oft weitere Symptome wie Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und die Unfähigkeit zu entspannen. Die betroffenen Patienten klagen häufig über Schlafstörungen und entwickeln weitere Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Kopf- und Rückenschmerzen sowie eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte.

Auf einen sich manifestierenden Burnout weisen nach den Worten des Referenten ein idealisiertes Verhältnis zur Arbeit hin, das jedoch zunehmend von Frustrationen geprägt ist. Es kommt zur Distanzierung, zum Zynismus und schließlich oft sogar zur Depersonalisierung mit immer mehr Schwierigkeiten, sich mit den Anforderungen der Diabetesbehandlung auseinanderzusetzen.

Stress als Folge der chronischen Erkrankung

Es sollte nicht unterschätzt werden, dass der alltägliche Umgang mit der Erkrankung bei so manchen Patienten in Schwierigkeiten und sogar in einer Überforderung mündet, wodurch die Behandlungsmotivation nachhaltig beeinträchtigt wird. So wird z.B. das Nicht-Erreichen des Therapieziels von vielen Patienten als Misserfolg und somit als zusätzliche emotionale Belastung erlebt. Ängste vor Folgekomplikationen können hinzukommen und das Stresserleben noch verstärken.

Die Alarmsignale (siehe Kasten) sollten ernst genommen werden und dem Patienten müssen Hilfestellungen angeboten werden, um seine Belastung durch die Erkrankung zu minimieren. Gelingt das nicht, drohen zusätzlich Depressionen, die ihrerseits als Verstärker der diabetesspezifischen Belastungen fungieren können – ein Teufelskreis, aus dem der Patient im Wesentlichen nur durch eine gute Schulung herausgeführt werden kann. „Wir müssen dem Patienten helfen, sich aus dem Würgegriff des Diabetes zu befreien“, so Prof. Hermanns.

Alarmsignale für Probleme des Patienten beim Diabetes-Selbstmanagement:

  • erhebliche Sorgen hinsichtlich potenzieller Folgeerkrankungen,
  • Angst vor Hypoglykämien,
  • Probleme mit dem Diabetes im Beruf und/oder im Alltag,
  • eine Überforderung, immer wieder komplexe Entscheidungen zu treffen und den sich immer wieder ändernden Regeln in der Diabetestherapie gerecht zu werden,
  • Schwierigkeiten, auch in kritischen Situationen mit dem Diabetes gut umzugehen,
  • Probleme mit dem Essen.

Belastungen durch Diabetes sind für viele Patienten relevant

Diese Problematik ist größer als oft angenommen: Immerhin geben 20–30 % der Patienten in der diabetologischen Schwerpunktpraxis an, durch den Diabetes belastet zu sein, 10 % der Typ-1-Diabetespatienten gelten sogar als hochbelastet, berichtete Dr. Rainer Paust, Elisabeth-Krankenhaus Essen. Die Probleme verschärfen sich in kritischen Lebenssituationen, die jedoch ebenfalls durch den Diabetes geprägt sein können. Als Beispiel nannte der Psychologe die Entwicklung schlecht heilender Wunden, eine psychische Erschöpfung, eine durch den Diabetes bedingte zeitweilige Immobilität und/oder das Gefühl bei der Behandlung keine Fortschritte zu machen. Kommt es zu solchen sich oft krisenhaft zuspitzenden Situationen, so sollten laut Dr. Paust unbedingt psychosoziale Hilfs- und Unterstützungsangebote in Anspruch genommen werden. 

Quelle: 33. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie e.V. der DDG