Psychologische Herausforderungen im Umgang mit Diabetes und Diabetestechnik
Das Selbstmanagement bei Diabetes erfordert viel Zeit und Ressourcen. Gut 8700 Stunden pro Jahr verbringen Patienten damit, ihren Blutzucker zu kontrollieren, an ihre orale Medikation zu denken, CGM-Verläufe zu studieren oder ihr Insulin zu spritzen. „Menschen mit Diabetes benötigen ein gehöriges Maß an Impulskontrolle“, sagte die Psychologin Professor Dr. Karin Lange, Medizinische Hochschule Hannover.
„Der Berliner Hauptbahnhof zum Beispiel, das ist doch eigentlich eine Riesen-Imbissbude mit Gleisanschluss – da wundert es einen doch nicht, wenn es Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht gelingt, all den Versuchungen zu widerstehen.“
Vorbildliches Management wird nicht immer gleich belohnt
Insulinpflichtige Diabetespatienten wiederum müssen den Impuls kontrollieren, sofort nach der Insulininjektion essen zu wollen, anstatt den notwendigen Spritz-Ess-Abstand einzuhalten. Ebenso müssen sie aber auch dem Drang widerstehen, einen hohen Glukosewert zu früh zu korrigieren, weil noch ein Bolus wirkt. Auch ein hohes Maß an Frustrationstoleranz wird im Alltag mit Diabetes benötigt: „Es gibt nicht immer Belohnungen für die Anstrengungen, die man unternimmt, um den Diabetes gut zu managen“, erklärte Prof. Lange, und auch bei einem vorbildlichen Diabetesmanagement gibt es Zufälle, mit denen nicht zu rechnen war.
Hinzu kommt, dass der Umgang mit Diabetes ein hohes Verständnis für komplexe nicht-lineare Assoziationen erfordert: Wie wirkt Insulin? Welchen Effekt hat der Verzehr von Kohlenhydraten, Fett und Proteinen? Wie wirkt sich körperliche Aktivität aus? Warum wirkt Insulin nicht sofort nach der Injektion? Wieso ist der Gewebeglukosewert gegenüber der Blutglukose verzögert? „Leider ist es um die Gesundheitskompetenz bei über der Hälfte der Bevölkerung in Deutschland nicht gut bestellt. Diese Menschen können selbst mit basalen Informationen nichts anfangen, die für eine allgemeine Therapieadhärenz erforderlich wären.“
Welchen Einfluss hat die Datenflut auf Jugendliche?
Technische Helfer: Fluch und Segen zugleich
Der Einsatz von Diabetestechnologie kann die Betroffenen im Alltag durchaus entlasten. So zeigen Studien, dass mit technischen Hilfsmitteln wie Blutzuckermessgeräten, Boluskalkulatoren, Insulinpumpen, CGM-Systemen, sensorunterstützter Pumpentherapie oder Closed-Loop-Systemen die Angst vor Hypoglykämien und auch allgemeine Belastungen im Alltag zurückgehen. Gleichzeitig verbessert sich die allgemeine und diabetesspezifische Lebensqualität. Doch manchmal sind die technischen Helfer Segen und Fluch zugleich: Da piept der Memory-Pen, weil seine Batterie leer ist, die Pumpe meldet einen Katheterverschluss, oder der CGM-Empfänger schlägt Alarm, weil der Glukosewert stark ansteigt – oder auch nur, weil er gerade kein Signal vom Sensor erhält. Außerdem zeigen lückenlose Glukoseprofile erbarmungslos jeden Ausreißer und jede Nachlässigkeit. eHealth-Angebote wie Online-Schulungen oder Telemonitoring können Prof. Lange zufolge helfen, im Umgang mit der Diabetestechnik mehr Sicherheit zu gewinnen. „Doch die Technologie kann die persönliche Beratung und Begleitung nicht ersetzen.“Neue Gesprächstechniken sind dringend notwendig
In den Diabetespraxen muss man sich auf Patienten einstellen, die jede Menge Technik und Diabetesdaten mit sich herumtragen: „Ärzte brauchen neue Gesprächstechniken, um mit ihren Patienten über Sensordaten zu sprechen“, forderte die Psychologin, „außerdem gibt es noch keine Studien, in denen untersucht wurde, was es psychologisch mit Menschen macht, wenn ihrem Behandler wirklich alle Daten offenliegen.“Quelle: Diabetes Kongress 2018