COVID-19: Stresshormon Kortisol spielt eine wichtige Rolle
COVID-19 lässt den Kortisolspiegel steigen. Darauf weist zumindest eine britische Kohortenstudie hin. Die 403 in die Untersuchung eingeschlossenen Patienten mit positivem SARS-CoV-2-Test oder klinischem oder radiologischem Verdacht auf COVID-19 wiesen deutlich erhöhte Konzentrationen des Stresshormons auf.1 Als Vergleich dienten Patienten mit anderen Infektionskrankheiten. Es zeigte sich, dass Patienten mit höheren Spiegeln eine schlechtere Prognose hatten. Inwieweit sich Kortisol als Marker für den Verlauf von COVID-19 eignet, wird derzeit in Studien geprüft.
Zu niedrige, aber auch zu hohe Spiegel sind gefährlich
Auf der anderen Seite steht der Vorabbericht einer weiteren Studie, bei der die Behandlung mit Dexamethason bei schwer an COVID-19 Erkrankten zu einem besseren Überleben und einem kürzeren Verlauf der Erkrankung geführt hat. Ob sich die Substanz deshalb als Coronamedikament eignet, bleibt abzuwarten. „Das ist noch keine endgültige Publikation“, gab Professor Dr. Matthias M. Weber von der Abteilung Endokrinologie und Stoffwechselstörungen der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu bedenken. Was voreilige Schlüsse bezüglich potenzieller Medikamente bedeuten, habe das Beispiel Hydroxychloroquin deutlich gemacht. WHO und Endokrinologen warnen daher vor einem routinemäßigen Dexamethasoneinsatz außerhalb klinischer Studien, da je nach Stadium der Infektion die Gabe auch negative Effekten haben könnte. „Hier besteht noch viel Forschungsbedarf“, so Prof. Weber.
Klar scheint: Sowohl zu viel als auch zu wenig Kortisol kann in Coronazeiten gefährlich werden. Chronisch erhöhte Spiegel, wie beim Morbus Cushing, wirken sich negativ auf das Immunsystem aus und machen anfälliger für Infektionen. Gleichzeitig drohen den Patienten schwerere Verläufe. Andererseits ist auch ein dauerhafter Mangel des Hormons, z.B. durch einen nicht kontrollierten Morbus Addison, mit einer gesteigerten Infektneigung und einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe verbunden. Ähnliches gilt für Patienten, die durch eine Langzeittherapie mit Steroiden eine Nebennierenschwäche entwickelt haben.
Steroide zur Infektbehandlung machen es komplex
Es ist wichtig, zu unterschieden, warum der Patient Glukokortikoide erhält, erklärte Prof. Weber. Zur Kompensation eines chronischen Mangels, z.B. beim Morbus Addison, sind sie für den Patienten lebensnotwendig und müssen bei einer SARS-CoV-2-Infektion unbedingt entsprechend erhöht werden, um eine potenziell lebensgefährliche Krise zu vermeiden. Erhalten Patienten (beispielsweise nach Organtransplantation) hoch dosierte Steroide, unterdrücken diese, wie gewünscht, das Immunsystem. Das macht die Patienten wiederum anfälliger – auch für SARS-CoV-2-Infektionen und schwere Verläufe von COVID-19. Komplex wird es, wenn Steroide zur Infektbehandlung gegeben werden. Da sie den Körper kurzzeitig in „Kampfmodus“ versetzen, können sie anfangs förderlich sein. Langfristig gegeben, kann sich dies ins Gegenteil umkehren.
Insgesamt „ist es besonders wichtig, dass gerade Patienten mit einer Über- bzw. Unterfunktion des Stresshormonstoffwechsels während der Coronapandemie besonders gut überwacht und vor Infektionen geschützt werden“, so Prof. Weber. Aus seiner eigenen Praxis weiß er: Es ist es derzeit essenziell, dass diese Patienten einen Ansprechpartner haben – in Zeiten von Lockdown und sozialer Isolation kein leichtes Unterfangen.
Quelle: Online-Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) vom 30.06.2020
1. Tan T et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2020; DOI: 10.1016/ S2213-8587(20)30216-3