Fetales Alkoholsyndrom von ADHS abgrenzen
Wie passend, dass die Häufigkeiten des fetalen Alkoholsyndroms (FAS) in Promille angegeben werden, scherzte Dr. Helmut Peters. Wären die Zahlen nicht so erschreckend gewesen, hätte der ehemalige ärztliche Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums Mainz sicher mehr Lacher für seinen Einstieg bekommen. Bis zu 30 % der Frauen trinken hierzulande während der Schwangerschaft Alkohol. „Und geben es zu“, unterstrich Dr. Peters. Auf ähnliche Mengen kommen nur noch die US-Amerikanerinnen. Diese Trinklust geht natürlich nicht spurlos am Nachwuchs vorbei: Zwischen 10 000 und 26 000 Neugeborene kommen mit einer fetalen Alkoholspektrumstörung in Deutschland zur Welt – jedes Jahr. Allein 4000 davon gehen auf das FAS zurück.
Faziale Merkmale sind keinesfalls spezifisch
Für das Vollbild fetales Alkoholsyndrom müssen Auffälligkeiten aus allen vier Bereichen vorliegen (s. Kasten). Lassen sich Symptome aus einer Gruppe finden, sollten die drei anderen mit abgeklärt werden, riet der Kinderneurologe. Eine dünne Oberlippe und ein verstrichenes Philtrum zum Beispiel kommen zwar typisch bei Kindern mit FAS vor. Die fazialen Merkmale sind jedoch keinesfalls spezifisch für das Syndrom.
Das spricht für ein fetales Alkoholsyndrom
(mindestens eine)
- Geburts- oder Körpergewicht < 10. Perzentile
- Geburts- oder Körperlänge < 10. Perzentile
- BMI < 10. Perzentile
(cave: nicht spezifisch!)
- kurze, deutliche Falten im Augenbereich
- Hautfalte am Augenwinkel
- flaches Mittelgesicht
- flacher Nasenrücken
- kurze Nase
- fehlendes Philtrum
- schmale Oberlippe
- schmaler Kiefer
- leichte Ohrenabnormität
(mindestens eine)
- funktionell, z.B. IQ < 70, große Leistungsminderung in mindestens drei Bereichen (Sprache, Aufmerksamkeit, Lern-/Merkfähigkeit, soziale Fertigkeiten/Verhalten, Feinmotorik ...)
- strukturell, z.B. reduziertes globales Gehirnvolumen oder einzelner Regionen wie Corpus callosum, Nucleus caudatus
ADHS-Patienten sind anfälliger für Alkoholabhängigkeit
Dieses Vorgehen wird jedoch dadurch erschwert, dass es außer „Symptomchecklisten“ keinen ausgewiesenen ADHS-Test oder ein technisches Verfahren gibt. Nach wie vor handelt es sich um eine klinische Diagnose, die u.a. eine sorgfältige Anamnese inklusive Fremdbeurteilungen, körperliche Untersuchungen (Sinnesorgane!) und eine psychologische Diagnostik plus IQ-Bestimmung beinhaltet. Wichtige Hinweise liefern zudem Komorbidiäten, die in jedem Alter auftreten und besonders bei Erwachsenen auffallen (s. Kasten).Dahinter könnte eine ADHS stecken
- visuelle oder auditive Wahrnehmungsstörungen
- Teilleistungsstörungen wie Dyskalkulie oder Legasthenie
- Einnässen
- Migräne
- muskuläre Hypotonie (!)
- Ungeschicklichkeit bzw. visuomotorische Auffälligkeiten
- Delinquenz und Suchtverhalten
Quelle: 1. Jahrestagung der VIFF*
* Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung