Palliativbetreuung Gespräche am Lebensende
Wenn der Tod näherrückt, steht für viele Menschen die Lebensqualität bzw. die Zeit, die sie noch zu Hause verbringen können, im Vordergrund. Das gilt für Patienten mit fortgeschrittenem Malignom ebenso wie für Menschen mit Organerkrankung (Herz, Niere etc.) im Endstadium oder bei Gebrechlichkeit und Demenz. Deshalb sollten keine Untersuchungen und Therapien angeboten werden, ohne die Prognose sowie Präferenzen und Behandlungsziele des Betroffenen zu eruieren. Für das Gespräch eignet sich ein Leitfaden wie der Serious Illness Conversation Guide, der von der kanadischen Sektion der Choosing-Wisely-Kampagne entwickelt wurde.
Nicht jeder Patient will über alles reden
Eine randomisierte Studie konnte zeigen, dass ein derartig strukturiertes Vorgehen z.B. Angst und Depression infolge einer schweren Krebserkrankung deutlich reduzieren kann. Auch die Zahl der stationären Aufenthalte und aggressiven Therapien am Lebensende lässt sich so verringern, schreiben Dr. Justin Sanders von der Abteilung für Familienmedizin an der McGill University in Montreal und Kollegen.
Am Anfang steht das Gesprächsangebot: Der Patient soll Gelegenheit bekommen, mehr über den voraussichtlichen Krankheitsverlauf zu erfahren. Er soll seine Therapiewünsche mitteilen können – vorausgesetzt, dass er dies möchte. Erklärtes Ziel ist es, Maßnahmen zu vermeiden, die dem Kranken subjektiv mehr schaden als nutzen. Wenn der Betroffene das Angebot annimmt, folgt im nächsten Schritt die Frage, wie er selbst seine aktuelle gesundheitliche Situation einschätzt. Wichtig zu klären ist auch, wie viele Informationen zur weiteren Entwicklung seiner Krankheit er wünscht.
Die wichtigsten Ziele des Patienten kennen
Der Arzt sollte sein Wissen um die voraussichtliche Prognose mit dem Kranken teilen – sofern dieser mit dem Vorschlag einverstanden ist. Etwaige Unsicherheiten zum individuellen Verlauf werden am besten offen angesprochen. Gleiches gilt für die Sorge, dass sich der Zustand des Patienten rasch verschlechtern könnte, worauf man sich vorbereiten sollte. Je nach Situation hilft eine Abschätzung der wahrscheinlich noch verbleibenden Lebenszeit: Handelt es sich um Tage, Wochen, Monate oder vielleicht noch ein Jahr? Zudem sollte man auf drohende funktionelle Einschränkungen hinweisen. Dies kann auch allgemein formuliert werden, z.B. „die Dinge werden schwieriger“. Derartige Ankündigungen sind für Patienten leichter zu ertragen, wenn sie mit der Hoffnung geäußert werden, dass sie nicht zwingend eintreten müssen.
Für den Fall einer gesundheitlichen Verschlechterung ist es entscheidend, dass der Arzt die wichtigsten Ziele des Patienten kennt. Darunter fällt z.B. die Frage, ob er statt einer stationären Therapie lieber zu Hause bleiben möchte. Ebenso bedeutsam für das weitere Vorgehen sind die größten Ängste des Kranken (Atemnot, Einsamkeit, Abhängigkeit von Angehörigen etc.). Auch persönliche Fähigkeiten, ohne die er nicht mehr weiterleben möchte, sind zu eruieren. Am besten erkundigt man sich zudem, was dem Betroffenen bisher geholfen hat, schwierige Situationen zu meistern.
Wenn es dem Patienten schlechter geht, sollte man ihn fragen, was er für einen möglichen Gewinn an Lebenszeit bereit ist auszuhalten, also z.B. den Verlust der Kommunikationsfähigkeit oder der Kontrolle über die eigenen Körperfunktionen. Hilfreich zu wissen ist auch, wie weit die Familie die Wünsche des Kranken kennt. Auf Basis der eingeholten Informationen kann man einen individuellen Therapievorschlag erarbeiten, der den Prioritäten des Kranken Rechnung trägt – immer verbunden mit der Zusicherung, dass man ihn in jedem Fall begleiten wird, egal wofür er sich entscheidet.
Quelle: Sanders JJ. BMJ 2022; 376: e067572; DOI: 10.1136/bmj-2021-067572