Folgen der Bevölkerungsentwicklung: Mehr Alte, mehr Krebs, mehr Komorbidität

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die 10-Jahres-Prävalenz von Krebserkrankungen steigt laut Studie bis 2025 um rund 8 %. Die 10-Jahres-Prävalenz von Krebserkrankungen steigt laut Studie bis 2025 um rund 8 %. © oneinchpunch – stock.adobe.com

2013 stellte die DGHO eine Studie zu den Herausforderungen des demografischen Wandels für die Onkologie in Deutschland vor. Eine Folgebetrachtung ergänzt die damaligen Prognosen. Fazit: Die Prävalenz nimmt weiter zu, aber auch die Komplexität der Patienten.

In der deutschlandweiten DGHO-Untersuchung zur Morbiditätserwartung für häufige Krebsarten wurden, wie Professor Dr. Carsten Bokemeyer, Vorsitzender der DGHO, berichtete, Datenquellen wie Bevölkerungsregister und epidemiologische Krebsregister genutzt, um die voraussichtliche Entwicklung bei Kenngrößen wie Krebsneuerkrankungen und Prävalenzen bis auf Landkreisebene zu modellieren. „Dadurch werden sehr genaue und sehr differenzierte Aussagen zu den Trends bei der Krebsversorgung in Deutschland möglich“, so der am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätige Spezialist.

Wie die Studie zeigt, wird die Gesamtbevölkerung in Deutschland zwischen 2014 und 2025 um etwa 1,3 Mio Menschen anwachsen (+1,6 %). Zu erwarten ist hierbei eine unterschiedliche Verteilung in den Altersstufen. So steigt die Zahl der Männer bzw. Frauen, die 60 Jahre und älter sind, um 21 bzw. 15 %. Bei den über 80-Jährigen sind es 51 bzw. 26 %. Die Zahlen präsentierte Institutsdirektor Professor Dr. Wolfgang Hoffmann, MPH.

Zunahme bei der Prävalenz

Die 10-Jahresprävalenz von Krebserkrankungen wird zwischen 2014 und 2025 rechnerisch um insgesamt 243 585 auf 2 846 400 Fälle ansteigen. Unberücksichtigt sind dabei mögliche Effekte von Screening-Maßnahmen und Therapieentwicklungen, welche die Überlebenswahrscheinlichkeit positiv beeinflussen und die Prävalenzen ggf. erhöhen können. Die größten Anstiege der prävalenten Fälle sind bei Männern zu erwarten: Prostatakrebs mit etwa +75 750 prävalenten Fällen (Zunahme +16 %), Darmkrebs mit etwa +24 750 prävalenten Fällen (Zunahme +14 %) und Harnblasenkrebs mit etwa +8700 Fällen (Zunahme +15 %). Prostatakrebs hat ebenso den höchsten prozentualen Anstieg an den prävalenten Fallzahlen in 2025. Bei Frauen ist im gleichen Zeitraum mit einem Prävalenz-Anstieg bei Brustkrebs mit etwa +32 500 prävalenten Fällen (Zunahme +6 %) zu rechnen, bei Darmkrebs mit etwa +14 000 prävalenten Fällen (Zunahme +9 %) und bei Gebärmutterkörperkrebs mit etwa +6150 prävalenten Fällen (Zunahme +8 %).

Mehr als eine halbe Million Neuerkrankungen jährlich

Die Zahl der Krebsneuerkrankungen werden – basierend auf der wachsenden Zahl an Menschen in höherem Alter – auch ansteigen: Zwischen 2014 und 2025 rechnen die Wissenschaftler mit einem Zuwachs um etwa 10 % auf dann über 520 000 Fälle pro Jahr. Der stärkste Zuwachs wird für den Prostatakrebs bei Männern und Brustkrebs bei Frauen vorausgesagt. Darüber hinaus wird auch die 10-Jahresprävalenz von Krebserkrankungen im genannten Zeitraum aufgrund besserer Therapien und höherer Überlebensraten zunehmen und zwar um etwa 8 % auf fast 3 Mio. Patienten. Prof. Hoffmann gab allerdings zu bedenken, dass die Unvollzähligkeit der Datenerhebung zu einer Unterschätzung der Prävalenzen bis 2025 geführt haben könne. Außerdem geht er davon aus, dass durch weitere zu erwartende Verbesserung der Überlebensraten die tatsächliche Prävalenz im Jahr 2025 höher liegen wird als in der rein demografiebasierten Hochrechnung. Umgekehrt könnten Erfolge bei der Prävention dazu führen, dass Inzidenz und Prävalenz geringer ausfallen als prognostiziert. Der Versorgungsepidemiologe berichtete zudem darüber, dass vor allem ältere Krebspatienten oft an mindestens einer weiteren chronischen Erkrankung leiden wie Dia- betes mellitus, COPD, koronarer Herzkrankheit, Adipositas, Niereninsuffizienz oder an Demenz. Die Schätzungen für 2014 reichen von ca. 103 000 Betroffenen beider Geschlechter, die unter Demenz und Krebs leiden, bis zu ca. 529 000 Personen beider Geschlechter, die sowohl von Adipositas als auch von Krebs betroffen sind. Aufgrund der starken Altersassoziation und der demografischen Entwicklung würden die Fallzahlen in 2025 für alle Erkrankungen steigen. Zurzeit gehen die Autoren jedoch von einer Unterschätzung der Fallzahlen bei Komorbiditäten aus, da die jeweilige Erkrankung noch vor dem Tumor diagnostiziert worden sein musste. Zudem gibt es z.B. bei Diabetes mellitus eine Dunkelziffer. Geschätzt werden mindestens 2 Mio. unerkannter Erkrankungsfälle.

Mehr Bedarf an onkologischen und internistischen Therapien

In einem Positionspapier beschreibt die DGHO ausgehend von den Studienergebnissen die künftigen Anforderungen an die onkologische Versorgung in Deutschland. „Da im Alter sowohl Krebserkrankungen zunehmen als auch das Risiko für andere Erkrankungen steigt, ist die Analyse von Komorbiditäten bei Krebserkrankungem von besonderer Relevanz“, heißt es hier. Gesehen wird zudem ein steigender Bedarf an „onkologisch und internistisch ausgerichteten Therapien und Langzeitbehandlungen in der Versorgung, da eine Vielzahl der Krebserkrankungen bei älteren Patienten bereits fortgeschritten / metastasiert ist“. Gesehen wird weiterhin ein steigender Bedarf an Spezialisten. Die Anzahl fachgebietsübergreifender Weiterbildungen müsse erhöht werden, gleichzeitig die Anzahl verfügbarer Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie steigen und dem Bedarf angepasst werden. Auch sei die Anzahl der verfügbaren Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin für die Versorgung der älteren Patientengruppe wichtig: „Hier bedarf es ebenfalls einer zusätzlichen Expertise in der onkologischen Beurteilung der Erkrankungen.“ Laut Studie ist die Anzahl der Ärzte mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie zwischen 2014 und 2018 von 2213 auf 2650 gestiegen und 800 Kollegen haben die Zusatzweiterbildungen zur medikamentösen Tumortherapie absolviert. Die Autoren verweisen jedoch zugleich auf eine bevorstehende „starke Ruhestandswelle“, deren Auswirkungen auf die Zahl der Ärzte, die Krebserkrankte versorgen, sich nur schwer abschätzen lassen.

Ambulante Hämatologen und Onkologen in Schlüsselrolle

Prof. Dr. Maike de Wit von der Arbeitsgemeinschaft der Hämatologen und Onkologen im Krankenhaus e.V. machte deutlich, dass die Versorgungsstrukturen auf dem Land dringend angepasst werden müssen – weil „überproportional viele ältere Menschen – und damit auch Krebspatientinnen und -patienten – in den ländlichen Regionen leben werden“. PD. Dr. Ingo Tamm, Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e. V., zeigte sich hinsichtlich immer besserer Therapiemöglichkeiten zuversichtlich. Bei der chronischen myeloischen Leukämie steige die Prävalenz enorm, und zwar bis auf 20 000 Menschen und mehr in den nächsten Jahren. Das bedeute aber auch, dass für diese Patienten die ambulante, orale Therapie optimal zu organisieren sei. Die DGHO sieht die ambulant tätigen Hämatologen und Onkologen in einer Schlüsselrolle – neben den spezialisierten Zentren. Alle müssten aber „effizient unterstützt werden durch spezialisierte onkologische Pflegekräfte, palliative Versorgungsteams, in onkologischer Mitbetreuung geschulte Hausärztinnen und Hausärzte und telemedizinische Versorgungsangebote“. Für den DGHO-Vorsitzenden Prof. Bokemeyer sind die Ergebnisse der Studie zugleich „ein Aufruf an jeden von uns und an die Politik, die Krebsprävention voranzutreiben“. 

Quelle: Studie „Deutschlandweite Prognose der bevölkerungsbezogenen Morbiditätserwartung für häufige Krebserkrankungen – Auswirkung auf die Versorgung“