Am richtigen Ende sparen

Dr. Sonja Kempinski

Striae nach jahrelanger Glukokortikoidtherapie. Striae nach jahrelanger Glukokortikoidtherapie. © Science Photo Library

Patienten, die langfristig Glukokortikoide brauchen, droht eine ganze Reihe unangenehmer bis gefährlicher Nebenwirkungen. Kortison einzusparen, ist deshalb Ziel aktueller Therapiestrategien. Ob neue Medikamente das wirklich können, zeigt der in immer mehr klinischen Studien gemessene Glukokortikoid-Toxizitäts-Index.

Glukokortikoidinduzierte Nebenwirkungen spielen in der Behandlung von Vaskulitiden eine große Rolle, berichtete Professor Dr. John Stone von der Rheumatologischen Klinik an der Harvard Medical School in Boston. In der Praxis klagen die Patienten häufig über z. T. extreme Gewichtszunahmen, Fettumverteilungen, Akne und Schlaflosigkeit. Weniger von außen erkennbar, aber umso gefährlicher sind Hypertension, Hyperlipidämie, Osteoporose und Glukoseintoleranz. In extremen Fällen drohen u.a. Sehnenrupturen, Magengeschwüre, Retinopathien, Glaukom und Katarakt.

Neue Therapiestrategien zielen darauf ab, die glukokortikoidinduzierte Toxizität (GT) zu verringern. Doch bisher wurden in klinischen Studien mit neuen Medikamenten die Auswirkungen einer Komedikation auf Steroide nur unzureichend dokumentiert und ausgewertet. Dies ist aber nötig, um die GT systematisch zu erfassen und daraus Handlungsempfehlungen für die Praxis abzuleiten, unterstrich Prof. Stone.

Doch das Messen der GT bereitet Probleme. Bei der großen Bandbreite der möglichen Auswirkungen werden weniger auffällige leicht übersehen, wenn man nicht gezielt danach fragt. Erschwerend kommt hinzu, wie unterschiedlich schnell sich die Beschwerden entwickeln. Akne, Psychosen, schwere Infektionen treten meist innerhalb weniger Wochen auf und die Hyperglykämie manchmal schon nach der ersten Dosis.

Glukokortikoid-Toxizität standardisiert messen

Im Gegensatz dazu dauert es meist Jahre, bis sich Striae zeigen. Avaskuläre Nekrose und Katarakt entstehen ebenfalls vor allem bei chronischer Glukokortikoidtherapie. Auch die große Anzahl von Erkrankungen, für die Glukokortikoide eingesetzt werden, die höchst unterschiedlichen Dosierungen und Einnahmedauern komplizieren es, die GT zu messen.

Zur systematischen Erfassung der GT erstellten Rheumatologen 2016 deshalb den sogenannten GT-Index (GTI). Mit diesem standardisierten Instrument misst man die Veränderung der GT zwischen zwei Messpunkten. Neun Domänen werden dabei berücksichtig (siehe Kasten). Bis auf die Knochendichte lassen sie sich mit einfachen Untersuchungen erfassen. Diese Domänen wurden gewählt, weil entsprechende Pathologien besondere Relevanz haben, häufig auftauchen (bei mindestens 5 % der behandelten Patienten) und sich durch Dosissteigerungen oder -reduktionen wieder verändern können. 

Die neun Domänen des GTI

  • BMI
  • Blutdruck
  • Glukosetoleranz
  • Lipide
  • Infektion
  • Myopathie
  • Hautveränderungen
  • neuropsychiatrische Effekte
  • Knochendichte

Ein Anstieg des Scores bedeutet Verschlechterung, ein Abfall Verbesserung. Jede Domäne ist gewichtet. So zählt beispielsweise der Anstieg vom HbA1c bei gleichzeitiger Steigerung der Kortisondosis +44 Punkte, fällt der HbA1c bei gesteigerter Dosierung, heißt das: -44 Punkte, keine Veränderung des HbA1c ergibt 0 Punkte. Aufgrund der insgesamt gewonnenen Daten werden zwei Subcores errechnet: Der GTI-CWS (Cumulative Worsening Score) erfasst alle nach der Basisuntersuchung aufgetretenen neuen Toxizitäten, auch wenn sie im Verlauf der Zeit wieder besser werden. Der GTI-AIS (Aggregate-Improvement Score) berücksichtigt die Tatsache, dass viele Patienten schon bei der Ba-sisuntersuchung an glukokortikoidbedingten Toxizitäten litten. Bei diesem Score rechnet man deshalb neu hinzutretende ein und eliminiert wieder verschwundene. Angewendet wurde der GTI bisher in zwei großen Asthmastudien, aber auch in der aktuell publizierten ADVOCATE-Studie mit Patienten, die an einer ANCA-assoziierter Vaskulitis litten. In der insgesamt 52 Wochen dauernden Behandlungsphase erhielten alle 330 Patienten Cyclophosphamid über 13 Wochen, gefolgt von Azathioprin oder Rituximab für vier Wochen. Die 166 Patienten der Avacopangruppe bekamen 52 Wochen lang zweimal täglich 30 mg Avacopan sowie ein Dummy-Kortison, getapert über 20 Wochen von maximal etwa 20 mg/Tag bis 0. Die 164 Patienten der Placebogruppe erhielten ein avacopangleiches Placebo und Prednison, reduziert von 60 mg/Tag bis 0 über 20 Wochen. Insgesamt entfielen auf die Avacopangruppe etwa zwei Drittel weniger Prednison im Verlauf des gesamten Jahres. Die mediane Tagesdosierung betrug in der Avacopangruppe 4,4 mg, in der Placebogruppe 11,8  mg, die totale Dosis 1348,9 vs. 3654,5 mg.

Kortison-Spareffekt in ADVOCATE nachgewiesen

In Woche 26 war Avacopan bezüglich der Remission – dem primären Endpunkt – gegenüber Prednison nicht unterlegen. In puncto GT zeigte sich Avacopan in Woche 26 sogar überlegen. Gemessen wurde der GTI nach 13 und 26 Wochen. Der GTI-CWS unterschied sich nach 13 Wochen um -11,0, nach 26 Wochen um -16,8 im Vergleich zu Placebo (in beiden Fällen hoch signifikant). In den allermeisten Domänen lag der GTI unter Avacopan niedriger, nur im Bereich Blutdruck gab es praktisch keine Unterschiede. Auch für den GTI-AIS ermittelte man zu beiden Messzeitpunkten hochsignifikante Unterschiede zugunsten des Avacopan (nach 13 Wochen -13,3, nach 26 Wochen -12,1). Die Entwicklung neuer, kortisonsparender Wirkstoffe und die Messung ihres Einflusses auf die GT mithilfe des neu implementierten GTI sind mit entscheidend für die Durchbrüche in der Therapie von Vaskulitiden, betonte Prof. Stone. Wichtig sei es nun, den GTI rigoros in klinische Studien einzubinden. Denn nur so lässt sich beweisen, dass ein Wirkstoff Glukokortikoide einsparen kann.

* European Alliance for Rheumatology

Quelle: EULAR* 2021 Virtual Congress

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Striae nach jahrelanger Glukokortikoidtherapie. Striae nach jahrelanger Glukokortikoidtherapie. © Science Photo Library