Arzneimittelinduzierte Angioödeme können auch Jahre nach Ersteinnahme auftreten

Dr. Alexandra Bischoff

Abb.1: Bei diesem Patienten trat unter Ramipril-Dauermedikation eine umschriebene Zungenschwellung auf. Abb.1: Bei diesem Patienten trat unter Ramipril-Dauermedikation eine umschriebene Zungenschwellung auf. © Halling F. Hessisches Ärzteblatt 2017; 9: 482-484; © Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, sowie Halling F. Zahnärztliche Mitteilungen 2015; 19: 72-74; © Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Köln

Etwa sieben Millionen Menschen nehmen in Deutschland regelmäßig ACE-Hemmer ein. Trotz jahrelanger beschwerdefreier Medikation kann plötzlich eine Lippenschwellung bis hin zu Atemnot auftreten. Denn Angioödeme zählen zu den klassischen Nebenwirkungen dieser Arzneimittelgruppe. Nun ist schnelles Handeln gefragt.

Ein 70-Jähriger stellte sich wegen eines kariösen Backenzahns in der Praxis für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie von Dr. Dr. Frank­ Halling­ in Fulda vor. Außer dem maroden Zahn zeigte er keine Auffälligkeiten im Mund- und Gesichtsbereich. Bei der Anamnese gab der Patient an, dass ihn in den letzten Wochen gehäuft immer wieder Lippen­schwellungen geplagt hätten. Erst vor wenigen Tagen hatte sich eine plötzlich aufgetretene derartige Schwellung innerhalb weniger Stunden auf das gesamte Gesicht ausgedehnt (s. Abb. 2 & 3), sodass er über die Notaufnahme des örtlichen Klinikums stationär aufgenommen werden musste.

Eine intraorale Beteiligung oder Atemnot hatte er nicht. Unter der Gabe von Adrenalin (inhalativ) und hochdosierten Kortikosteroiden war das Weichteilödem deutlich rückläufig und der Mann konnte bereits am nächsten Tag wieder entlassen werden. Sein Hausarzt reagierte daraufhin sofort und setzte den seit sieben Jahren aufgrund einer Hypertonie eingenommenen ACE-Hemmer Enalapril ab. Stattdessen verschrieb er Candesartan, einen AT1-Antagonisten, der eine Alternative bei ACE-Hemmer-Intoleranz bietet. Die Zahnextraktion verschob Dr. Halling wegen der aktuell schwankenden Blutdruckwerte auf einen späteren Zeitpunkt.
Angioneurotische Ödeme sind keine Seltenheit. Vermutlich hat jeder Zehnte im Laufe seines Lebens eine Angioödemepisode unterschiedlicher Ausprägung. Neben der al­lergischen, histaminergen Form mit Juckreiz und Urtikaria gibt es noch die hereditäre nicht-allergische (C1-Esterase-Inhibitor-Mangel) und die arzneimittelinduzierte (Bradykinin-vermittelte) Variante wie im Fallbeispiel.

Nebenwirkung ist unabhängig von der Dosis

Da ACE-Hemmer den Bradykinin­abbau inhibieren, kann es zu einer plötzlich erhöhten Vasodilatation und Zunahme der vaskulären Permeabilität kommen. Etwa 0,1–2,2 % der Behandelten (ca. 30 000 Personen jährlich) sind von dieser dosisunabhängigen Nebenwirkung betroffen, die durchschnittlich erstmalig nach dreijähriger Medikation auftritt.

Die Schwellung beginnt meist im Bereich der Lippen und kann sich innerhalb von Stunden auch auf die Zunge (s. Abb. 1) oder das gesamte Gesicht ausweiten. Besonders gefürchtet ist das lebensbedrohliche Larynxödem, das bei etwa einem Drittel auftritt.Nach der Erstversorgung – je nach Ausprägung auch notärztlich – müssen die Patienten klinisch überwacht und das auslösende Medikament muss sofort abgesetzt werden.

Alternativ können zur Bluthochdruckeinstellung Sartane (AT1-Blocker) gegeben werden. Bei diesen sollte man allerdings im Hinterkopf haben, dass sie potenziell ebenfalls arzneimittelinduzierte Angioödeme auslösen. Zwar ist das Risiko im Vergleich zu ACE-Hemmern um das Dreifache niedriger – eine befriedigende Lösung bieten sie dennoch nicht. Bisher gibt es kein adäquates Medikament, das für die Behandlung eines ACE-Hemmer-induzierten Angioödems zugelassen ist. In der Literatur wurden probatorische Therapien mit einem C1-Esterase-Inhibitor oder dem Bradykinin-Antagonisten Icatibant beschrieben, die üblicherweise zur symptomatischen Behandlung des hereditären Angioödems eingesetzt werden.

Quelle Text und Abb.: Halling F. Hessisches Ärzteblatt 2017; 9: 482-484; © Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, sowie Halling F. Zahnärztliche Mitteilungen 2015; 19: 72-74; © Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Köln

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Abb.1: Bei diesem Patienten trat unter Ramipril-Dauermedikation eine umschriebene Zungenschwellung auf. Abb.1: Bei diesem Patienten trat unter Ramipril-Dauermedikation eine umschriebene Zungenschwellung auf. © Halling F. Hessisches Ärzteblatt 2017; 9: 482-484; © Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, sowie Halling F. Zahnärztliche Mitteilungen 2015; 19: 72-74; © Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Köln
Abb. 2: Alles begann mit einer diskreten Schwellung an der rechten Oberlippe ohne Rötung. Abb. 2: Alles begann mit einer diskreten Schwellung an der rechten Oberlippe ohne Rötung. © Halling F. Hessisches Ärzteblatt 2017; 9: 482-484; © Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, sowie Halling F. Zahnärztliche Mitteilungen 2015; 19: 72-74; © Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Köln
Abb. 3: Fünf Stunden später waren die gesamte
Oberlippe und Teile des Gesichts ödematös verändert, weitere sieben Stunden später dann das gesamte Gesicht. Abb. 3: Fünf Stunden später waren die gesamte Oberlippe und Teile des Gesichts ödematös verändert, weitere sieben Stunden später dann das gesamte Gesicht. © Halling F. Hessisches Ärzteblatt 2017; 9: 482-484; © Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, sowie Halling F. Zahnärztliche Mitteilungen 2015; 19: 72-74; © Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Köln