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Dicke Lippen – steckt Urtikaria dahinter?

Wenn sich Patienten mit den typischen juckenden Quaddeln – wie nach Brennnesselkontakt – in der Praxis vorstellen, fällt die Diagnose „Urtikaria“ in der Regel nicht schwer. Selbst bizarr geformte Effloreszenzen und größere konfluierende Herde wecken daran keinen Zweifel. An Händen und Füßen können zudem heftige Brennschmerzen auftreten, so der in Wuppertal niedergelassene Dermatologe Dr. Till Aßmann.
Symptome treten oft ohne konkreten Auslöser auf
Verwechslungsgefahr besteht im Sommer mit der polymorphen Lichtdermatose, die einer Urtikaria täuschend ähnlich sehen kann, warnt Dr. Sebastian Rotterdam, Dermatologe in Gelsenkirchen. Auch kutane Lymphominfiltrate oder Lupusherde können missdeutet werden. Als weitere wichtige Differenzialdiagnosen nennt Professor Dr. Marcus Maurer, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Urtikariavaskulitis und seltene autoinflammatorische Erkrankungen, wie das Schnitzler-Syndrom und CAPS*.
Diagnostik bei csU
- Anamnese, körperliche Untersuchung: Differenzialdiagnosen, ggf. Provokationstest (induzierbare Urtikaria)
- Basislabor: Blutbild, BSG bzw. CRP
- Absetzen potenziell auslösender Medikamente (z.B. NSAR)
- Ausschluss chronischer Infekte: Helicobacter pylori (ggf. Eradikation), HNO: Sinusitis, Tonsillitis, Otitis, dentaler Fokus (Zahnwurzelvereiterung)
Urtikaria-Patienten immer nach Angioödemen fragen
Auch wenn aktuell kein Angioödem sichtbar ist, sollte man Urtikaria-Patienten immer danach fragen, empfiehlt Prof. Maurer. Die Schwellungen bilden sich innerhalb von Minuten bis Stunden und verschwinden – im Gegensatz zu solchen anderer Ursache – spätestens nach wenigen Tagen wieder. Am häufigsten betroffen sind Gesicht (Lippen, Augen), Hände, Füße und Genitalien. Treten bei einem Patienten ausschließlich Angioödeme auf, ist zunächst eine potenziell gefährliche, Bradykinin vermittelte Schwellung auszuschließen. Diese entsteht z.B. durch Einnahme von Medikamenten (z.B. ACE-Hemmer, AT1-Blocker) oder infolge eines C1-Inhibitor-Defizits. Nach einer vorläufigen Auswertung der Beobachtungsstudie ASSURE-CSU, die kürzlich auf der DDG*-Jahrestagung präsentiert wurde, haben in Deutschland fast zwei Drittel der antihistaminika-refraktären Patienten mit chronisch spontaner Urtikaria (csU) Angioödeme. Diese Schwellungen, die zum Teil länger als 24 Stunden anhalten, verursachen eine erhebliche Krankheitslast: Betroffene bewerteten den Schweregrad von Angioödem und Juckreiz jeweils mit 7,5 von zehn möglichen Punkten (Schmerz 5,6 Punkte). Knapp 93 % der Patienten beklagten einen Leistungsverlust infolge der Erkrankung. Dem entsprechen frühere Beobachtungen, wonach eine chronische Urtikaria mit und ohne Angioödeme die Lebensqualität stärker einschränkt als beispielsweise Psoriasis, Akne inversa oder Ulzera cruris. Angioödem-Patienten leben nicht selten in ständiger Furcht vor den unvermittelt auftretenden, häufig entstellenden Schwellungen: „Wacht man morgens mit einer dicken Lippe auf, ist der Tag gelaufen.“ Mit einem solchen Schicksal muss sich ein csU-Patient heutzutage nicht mehr abfinden. Selbst für schwere Formen stehen inzwischen wirksame Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die die Lebensqualität entscheidend bessern. Das Therapieziel „Symptomfreiheit“ oder mindestens „befriedigende Symptomkontrolle“ sei auch für Patienten mit Angioödemen keineswegs unrealistisch, so Prof. Maurer.Antihistaminika reichen nicht aus? Antikörper einsetzen!
Eine entscheidende Bereicherung erfuhr die Urtikaria-Therapie durch die Zulassung des aus der Asthma-Therapie bekannten Anti-IgE-Antikörpers Omalizumab für die csU. Damit steht auch für Patienten, die auf Antihistaminika unzureichend ansprechen, eine wirksame therapeutische Option zur Verfügung. Je nach Krankheitsaktivität erreichen über 80 % durch die Zusatzbehandlung eine gute Symptomkontrolle oder werden komplett beschwerdefrei. Auch das Auftreten von Angioödemen lässt sich erheblich vermindern.
* Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrome
**Deutsche Dermatologische Gesellschaft
Medical Tribune-Bericht
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