
Die hepatische Enzephalopathie wird von uns mehr als unterschätzt

Das Vorurteil ist schnell formuliert: Alkohol – Leberzirrhose mit entsprechenden Beschwerden – selbst schuld! Das mag ja im Einzelfall zutreffen, wie bei Ludwig van Beethoven. Doch so einfach ist es nicht immer. Denn bei der Leberzirrhose spielen noch ganz andere Ursachen eine gewichtige Rolle, z.B. Hepatitis B/C/D, NASH, NAFDL und Autoimmunhepatitis.
Der zirrhotischen Leber geht u.a. die Fähigkeit abhanden, das beim Verdauungsprozess entstehende Ammoniak zu entgiften. Über den Blutkreislauf gelangt das Zellgift ins Gehirn. Dort wird es zum Problem. Denn es gibt keinen Regelmechanismus, der das Ammoniak wieder abtransportiert. Was drin ist, bleibt drin und verursacht mit zunehmender Menge erhebliche gesundheitliche Probleme. Die Folgen dieser zerebralen „Ammoniak-Vergiftung“ werden zusammengefasst unter dem Begriff „Hepatische Enzephalopathie“ (HE). Das Symptomspektrum ist je nach Ausprägung vielfältig und reicht von leichter mentaler Verlangsamung und Konzentrationsschwäche bis zum Finalstadium, dem Koma.
Die Krankheit fängt ganz langsam an
Die hepatische Enzephalopathie wird im klinischen Alltag in ihrer Häufigkeit und Relevanz hinsichtlich der Prognose mehr als unterschätzt. Hier ist deutlich mehr Aufmerksamkeit durch uns erforderlich. So entwickeln rund 30–40 % der Patienten mit Leberzirrhose eine klinisch manifeste HE. Die hohe Mortalität der Betroffenen während und nach einer akuten Episode ist erschreckend. Die Ein-Monats-Sterblichkeit liegt bei 45 %, steigert sich auf 64 % nach einem Jahr und landet schließlich bei 85 % nach fünf Jahren.¹
Die motorischen und neuropsychiatrischen Symptome beginnen langsam. Je nach Schweregrad kommt es zu Störungen des Bewusstseins, des Gedächtnisses und allgemein der Kognition. Dazu kommen Beeinträchtigungen motorischer Fähigkeiten sowie der Persönlichkeit und der daraus resultierenden Lebensqualität.
Buntes Allerlei an diagnostischen Verfahren
Los geht es mit der minimalen HE (mHE), die episodisch auftritt. Ca. 50–70 % der Zirrhosepatienten weisen eine mHE mit subklinischen Symptomen auf. Bei Manifestation einer Leberzirrhose ist also stets auch hieran zu denken. Die Erkrankungskaskade endet schließlich bei der persistierenden Form Grad 4 (West-Haven-Kriterien).¹ Eine frühe Diagnostik tut not.
Die minimale HE lässt sich durch ein entsprechendes Screening mittels psychometrischer Tests nachweisen. Da gibt es z.B. die beliebten „Papier-und-Bleistift“-Tests wie den Zahlenverbindungs-, den Zahlen-Symbol- und den Liniennachfahrtest. Auch eine Schriftprobe oder der „Sternchenlegetest“ mit Streichhölzern können erste Hinweise auf eine mHE liefern. Ein weiteres Verfahren ist die Diagnostik per „Flickerbrille“, mit deren Hilfe sich die sogenannte kritische Flimmerfrequenz beim Patienten bestimmen lässt. Neu im Portfolio ist der Animal-Naming-Test. Innerhalb von 60 Sekunden soll der Patient möglichst viele Tiernamen nennen können. Sind es weniger als 15, spricht das für eine HE.
Autofahren kann zum Problem werden
Bei den charakteristischen Symptomen wie verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, Konzentrationsschwäche und abnehmende Reaktionsfähigkeit, die bereits in Stadium 1 auftreten, ist die Frage nach der Fahrtüchtigkeit relevant. Untersuchungen zeigen, dass bis zu 52 % der Patienten mit einer mHE bereits eine zweifelhafte oder eindeutig beeinträchtigte Fahrtüchtigkeit aufweisen. Ist die HE klinisch manifest, steigt der Anteil auf 61 %. Ein Fahrtauglichkeitstest ist folglich dringend indiziert. Durchführen lassen kann man ihn im Simulator oder im realen Straßenverkehr mit einem Fahrlehrer.
Hier aber fängt das Problem an: Die eigene Fahrtüchtigkeit wird meist erheblich überschätzt. Die Gefahr, am Ende des Tests bestätigt zu bekommen, dass man eigentlich kein Auto fahren dürfte, schreckt ab. Da gesetzliche Regelungen fehlen, bleibt dem behandelnden Arzt nur die eingehende Aufklärung des Patienten und ggf. seiner Angehörigen. Zur Katastrophe kann die mangelnde Fahrtüchtigkeit bei Berufskraftfahrern führen.
Hepatische Enzephalopathie ist in den Griff zu bekommen
Das Gute an der HE ist die Tatsache, dass sie reversibel ist. Lässt sich die Ammoniakzufuhr stoppen, verbessert sich zunehmend das Krankheitsbild. Aber wie schafft man das? Selbstredend gilt bei alkoholbedingter Leberzirrhose Alkohol als absolut tabu. Lactulose, der bekannte Standard in der Akuttherapie und zur Rezidivprophylaxe, wird wegen seiner abführenden Wirkung von den Patienten nicht sehr geschätzt. Über verschiedene Mechanismen senkt L-Ornithin-L-Aspartat den Ammoniakspiegel. Gerne gibt man es während einer akuten HE-Episode.
Das nicht-resorbierbare Antibiotikum Rifaximin baut schon im Darm die Ammoniakquellen ab und verhindert so, dass Ammoniak ins Gehirn gelangt. Daneben reduziert es das Risiko von Varizenblutungen und die Wahrscheinlichkeit einer spontan bakteriellen Peritonitis. Damit lässt sich die Mortalitätsrate der betroffenen Patienten um ein Drittel senken.
Der hepatischen Enzephalopathie sollte, nein, muss man eine größere Bedeutung beimessen. Die Komplikationen sind schwerwiegend, die Mortalität ist hoch. Diagnostiziert und lege artis behandelt ist sie aber kein Problem. Die Symptome gehen zurück, die Lebensqualität steigt und die Mortalität sinkt. Das hätte man Ludwig van Beethoven auch gewünscht. Er war ein begeisterter Weintrinker mit allen Anzeichen einer klinisch manifesten HE. Unvergessen einer seiner letzten Sätze auf dem Totenbett, als ihm noch eine Flasche Rüdesheimer Wein serviert wurde: „Schade, schade, zu spät.“
Quelle:
¹ Labenz C. Thieme-Refresher Innere Medizin 2018; 13: 45-60
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).