Jeder zweite Diabetiker und jede dritte Diabetikerin hat eine sexuelle Dysfunktion

Maria Fett

Die durch den Diabetes hervorgerufene Dysfunktion betrifft beide Geschlechter. (Agenturfoto) Die durch den Diabetes hervorgerufene Dysfunktion betrifft beide Geschlechter. (Agenturfoto) © iStock/PeopleImages

Viele Diabetespatienten wissen nicht, dass ihre sexuellen Probleme mit der Stoffwechselerkrankung zusammenhängen können. Zum Teil geht das aufs Konto der Niedergelassenen, meint Dr. Carla Pohlink. Ohne mit der Tür ins Haus zu fallen, sollten Kollegen das Thema ansprechen. 

Meist finden Männer den Weg in ihre Praxis, Frauen sieht die Ärztin und Sexualtherapeutin eher selten. Daran sei nicht (nur) das bekannte Vorurteil schuld, das „starke Geschlecht“ sei wehleidiger. Männer gehen einfach pragmatischer mit ihrer Gesundheit um, sagte Dr. Carla­ Pohlink­, Altenburg. Die Damen wären zum einen stolzer. Zum anderen liegt es an den für sie mangelnden Therapie­optionen, glaubt die Kollegin, keinesfalls am tatsächlichen Leidensdruck. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bringt es mit sich, dass in manchen Bereichen kaum Daten für Frauen existieren, wie bei der sexuellen Dysfunktion von Diabetikerinnen.

Differenzialdiagnosen

Die Beschwerden müssen nicht zwangsläufig vom Diabetes stammen, sagte Dr. Pohlink. Manchmal stecken auch andere Ursachen dahinter, etwa:
  • Probleme an der Wirbelsäule
  • psychische Belastungen (Psycho­somatik)
  • hormonelle, z.B. Hypogonadismus, Hypothyreose
  • urogenitale, z.B. polyzystisches Ovar-Syndrom, Endometriose, Fisteln
  • vaskuläre, wie Hypertonie, KHK
  • neurologische, u.a. Parkinson, Demenz
  • orthopädische/rheumatische, z.B. M. Bechterew, Hüftgelenkdysplasie
  • Nebenwirkungen von Medikamenten, Alkohol, Drogen oder Nikotin

Ganz allgemein scheinen sich viele Betroffene des potenziellen Zusammenhangs zwischen ihren sexuellen Schwierigkeiten und der Stoffwechselerkrankung nicht bewusst zu sein. Das mag kaum verwundern, liest man Patientenaussagen, wonach lediglich 11–13 % vom behandelnden Arzt auf Sexualität angesprochen werden. Wünschen würde es sich jedoch rund die Hälfte. Denn es sei keineswegs so, dass sie keine Lust mehr empfinde, betonte Dr. Pohlink. Noch im hohen Alter gibt mehr als ein Viertel der Befragten in einer Beziehung an, sexuell aktiv zu sein. Bei den Männern behauptet dies gar jeder Zweite.

Fragebogen nutzen, wenn man nicht direkt darüber reden will

Hausärzte sollten also mit Diabetikern regelmäßig über Sex reden, unterstrich Dr. Pohlink. Sie müssen dabei den Patienten nicht überfallen, sondern können das Gespräch in ein Disease-Management-Programm oder in die Routineunter­suchung einbauen und zum Beispiel sagen: „Menschen mit Diabetes leiden häufig unter sexuellen Funktionsstörungen. Wenn Sie möchten, können Sie mich darauf ansprechen.“ Bewährt habe es sich, die Angebote mit Broschüren, konkreten Gesprächsterminen oder einer Überweisung zu Fachkollegen zu unterstreichen. Wer das Thema nicht direkt zur Sprache bringen will, kann die Fragen auch in den Anamnesebogen integrieren (s. Tabelle).
Sexueller Beschwerdebogen
Frau
Mann
1. Sind Sie mit Ihrer Sexualität zufrieden? Ja – Nein (falls Nein, bitte zu Frage 2)
2. Wie lange sind Sie schon mit Ihrer Sexualität unzufrieden?
3. Haben Sie bei Ihrer Sexualität Probleme mit ... (Mehrfachnennung möglich)

a. wenig oder keinem sexuellen Interesse?

b. vermindertem Gefühl an der Klitoris (Kitzler) und/oder Vagina (Scheide)?

c. vaginaler Trockenheit (Scheidentrockenheit), z.B. Jucken, Brennen?

d. Erreichen eines Orgasmus (Höhepunkt)?

e. Schmerzen oder Verkrampfungen während sexueller Aktivität?

f. etwas anderem?

a. wenig oder keinem sexuellen Interesse?

b. der Erektion (Steifigkeit des Penis)?

c. zu früher Ejakulation (Samenerguss) während der sexuellen Aktivität?

d. zu später Ejakulation (Samenerguss) oder sind sie unfähig einen Samenerguss bzw. einen Orgasmus (Höhepunkt) zu erreichen?

e. Schmerzen während sexueller Aktivität?

f. Penisverkrümmung bei der Erektion?

g. etwas anderem?

4. Welches Problem (a–f bzw. g) belastet Sie am meisten?
5. Möchten Sie mit Ihrem Arzt darüber sprechen? Ja – Nein (falls Nein, bitte zu Frage 6)
6. Möchten Sie mit einem anderen Arzt/Spezialisten darüber sprechen? Ja – Nein
7. Falls Ja, wünschen Sie eine Empfehlung oder Überweisung? Ja – Nein

Orgasmusstörung, Dyspareunie und Scheidentrockenheit

Bei etwa einem Drittel der Frauen mit Diabetes kommt es zu sexuellen Dysfunktionen, allen voran mangelnde Lubrikation, Orgasmus- oder sekundäre Appetenzstörung und Dyspareunie. Egal ob Typ 1 oder Typ 2: Sie besitzen ein zweifach höheres Risiko für die genannten Komplikationen als Ottilie Normalverbraucherin. Der Effekt verliert sich allerdings nach der Menopause. In der „weiblichen“ Diagnostik bietet sich neben der gynäkologischen Untersuchung auch eine neurologische des Beckens an, inklusive Elektromyo­grafie der Beckenbodenmuskulatur mit Neurofeedback. So lässt sich ein normaler Tonus von einem niedrigen bzw. überaktiven unterscheiden, genauso wie Dysfunktion und -regulation von An- und Entspannung. Abseits der Gabe von Östrogenen bzw. Testosteron in Form von Gelen, Pflastern, Tabletten oder Spritzen, können die Störungen mit Flibanserin oder Metformin angegangen werden. Mancher Frau hilft auch die Stimulation der äußeren Sexualorgane, z.B. mit Liebeskugeln oder Vibratoren. Anders sieht es bei Männern aus: Laut einer Metaanalyse mit Daten von mehr als 88 500 Diabetikern klagt etwa die Hälfte über sexuelle Funktionsstörungen. Angeführt wird die Liste von erektiler Dysfunktion, mangelnder Kontrolle bzw. ausbleibendem Orgasmus und Ejakulationsstörungen. Für Ersteres tragen die Patienten ein 3,5-fach erhöhtes Risiko gegenüber Gesunden. Zudem tritt das Problem im Schnitt 10–15 Jahre früher auf, ist schwerer ausgeprägt und schlechter zu behandeln. Nächtliche Tumeszenzmessung, Duplex der zuführenden Penisgefäße, Penisangio, Schwellkörperinjektionstestung oder -biopsie sowie Kaverenosographie und -metrie, elektro- und neurophysiologische Abklärung adressieren die Beschwerden. Bei erektilen Dysfunktionen haben sich Prostaglandin sowie Phosphodiesterase-Hemmer bewährt, führte die Kollegin aus. Dapoxetin (bei Ejakulationsproblemen), Testosteron (bei Hormonmangel) und mechanische Hilfsmittel wie Vakuumpumpen, Schwellkörper­implantate sowie Stimulatoren können ebenfalls helfen. Physiotherapie, Sexual- und ggf. Psychotherapie ergänzen das Behandlungsspektrum.

Quelle: Dialate 2019 Kongress

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Die durch den Diabetes hervorgerufene Dysfunktion betrifft beide Geschlechter. (Agenturfoto) Die durch den Diabetes hervorgerufene Dysfunktion betrifft beide Geschlechter. (Agenturfoto) © iStock/PeopleImages