Kommt die Opioidkrise nach Europa?

Friederike Klein

Die schwierige Dosierung von Fentanyl fordert jährlich viele Opfer. Die schwierige Dosierung von Fentanyl fordert jährlich viele Opfer. © iStock.com/Hailshadow

Seit 2000 ist der Opioidkonsum in den USA und Kanada dramatisch gestiegen. Mit ihm ging auch die Zahl der Todesfälle in die Höhe. Manche Suchtursachen sind hausgemacht, aber Risiken gibt es auch in Europa.

In den USA starben 2015 etwa 64 000 Menschen an der Überdosis eines Opioids – mehr als bei Autounfällen oder durch Schusswaffen. Die Mortalität betrifft vor allem Weiße im mittleren Lebensalter. Die Zahl ist so hoch, dass sie bereits die mittlere Lebenserwartung in den USA verringert hat, berichtete Professor Dr. Michael Krausz von der Universität Vancouver. Für ihn ist die Überdosiskrise zuallererst Zeichen eines Fehlverhaltens der Gesundheitsversorgung in Nordamerika, die Menschen mit Opiatabhängigkeit zu wenig anbietet. Denn:

  • Eine Substitutionsbehandlung ist nur sehr eingeschränkt verfügbar.
  • Die Therapie ist von schlechter Qualität.
  • Es gibt kaum offizielle Daten zu den Substituierten (z.B. psychische Diagnosen) sowie zur Art der Substitution und zu ihrer Organisation.
  • Eine integrierte psychosoziale Behandlung fehlt weitgehend.

Der Fokus der politisch Verantwortlichen in den USA ist ein anderer. Weil die meisten Todesfälle mit Fentanyl assoziiert sind, liegt das Hauptaugenmerk auf einer Einschränkung der Verfügbarkeit dieses Opiats. Das gefährdet aber eine adäquate Schmerzbehandlung vieler Patienten.

Salzkorngroße Menge genügt für eine schwere Intoxikation

Tatsächlich hat die Verunreinigung mit Fentanyl stark zugenommen. 2017 wiesen bereits 60,1 % der untersuchten Heroin-Stichproben in Kanada Fentanyl auf, im Jahr 2012 gab es eine solche Beimischung praktisch noch nicht. Das synthetische Opioid ist etwa fünfzigmal so potent wie Morphin. Schon eine salzkorngroße Menge im Heroin kann eine schwere Intoxikation hervorrufen, betonte Prof. Krausz. Deshalb ist die Beimischung für Laien so schlecht zu handhaben. Sie ist aber für Drogenkartelle ökonomisch interessant, weil das synthetische Opioid aus billigen chemischen Vorstufen hergestellt werden kann. Bekannt ist die Produktion in China und die gezielte Beimengung zu Opiaten durch mexikanische Kartelle.

Dass die Drogenmärkte in Europa derzeit noch nicht von dieser Strategie durchdrungen sind, muss nicht so bleiben, betonte Prof. Krausz. Ein Beispiel ist Estland, 2011 traten dort 123 Fentanyl-assoziierte Todesfälle unter der russischen Minderheit auf. Alle gingen auf eine bestimmte Drogenquelle in Russland zurück.

Tod durch Schmerzpflaster

In Deutschland werden etwa 7 % aller Drogentodesfälle auf einen Fentanylmissbrauch zurückgeführt. Dahinter steckt allerdings häufig das Auskochen von Fentanylpflastern, nicht die systematische Beimengung durch Drogenkartelle.

Prof. Krausz lobte, dass viele Länder in Europa ein gutes Niveau der Schadensbegrenzung und Substitutionsbehandlung für Menschen mit Opiatabhängigkeit erreicht haben. Es sei aber keineswegs sicher, dass nicht auch auf den hiesigen Drogenmärk­ten mehr Fentanylbeimengungen auftauchen. „Der Drogenmarkt ist international und gewinnorientiert und der Handel mit den Vorläufersubstanzen synthetischer Opioide existiert überall“, sagte Prof. Krausz. Zudem sieht er eine Gefahr in der Marginalisierung der Suchtmedizin und der Ausgrenzung der substituierenden Ärzte hierzulande. Das verstärke den Nachwuchsmangel und gefährde die erreichte Versorgung. Es bleibt also eine Herausforderung, das Erreichte in der Suchttherapie zu erhalten. Politik und Medizin sieht Prof. Krausz außerdem in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Qualität der Schmerzbehandlung nicht eingeschränkt, sondern weiter verbessert wird. Ein rationaler Einsatz von Opiaten verhindert seiner Überzeugung nach letztlich auch Drogentote.

Quelle: Kongressbericht, 19. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin

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Die schwierige Dosierung von Fentanyl fordert jährlich viele Opfer. Die schwierige Dosierung von Fentanyl fordert jährlich viele Opfer. © iStock.com/Hailshadow